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Die Facetten des österreichischen Goalie-Schwunds

Die Facetten des österreichischen Goalie-Schwunds

„Warum wirst genau du gegen die Ukraine im Tor stehen?“

Simple Frage im Rahmen der ÖFB-Pressekonferenz an die drei Kandidaten Heinz Lindner, Pascal Grünwald und Robert Almer, quasi eine Einladung die üblichen Worthülsen und Stehsätze von wegen „der Trainer muss entscheiden“ und „im Training aufdrängen“ abzusondern.

Hätte man die Rechnung nicht ohne Otto Konrad gemacht. „Beantworte die Frage! Warum spielst genau du?“, forderte der Steirer Lindner auf und erntete vornehme Zurückhaltung.

Letztlich traute sich nur Grünwald: „Ich spiele, weil ich überzeugt bin, dass der Trainer die richtige Entscheidung trifft.“

Einfacher hätte man den Unterschied zwischen den Generationen nicht verdeutlichen können, was weder positiv noch negativ wertend gemeint ist.

"Jedem von uns wären zehn Argumente eingefallen"

„Man stelle sich vor, der Konsel, der Wohlfahrt und ich wären am Podium gesessen und hätten diese Frage gestellt bekommen“, erklärte Konrad im Anschluss an den Medientermin, „jedem von uns wären zehn Argumente eingefallen, warum er spielen muss. Aber diese Entwicklung gibt es nicht nur bei den Torhütern.“

Die Zeiten ändern sich. So mag die moderne Medienwelt die Spieler in ihren Aussagen vorsichtiger und angepasster gemacht haben.

Eines hat sich definitiv geändert: Die einstige Torhüter-Hochburg Österreich darf sich aktuell nicht als selbige rühmen. Warum ist dies so? Die Gründe dafür sind vielschichtig. Doch der Reihe nach:

DER STATUS QUO:

Als neuer Tormanntrainer des Nationalteams geht Konrad in Abwesenheit der verletzten Jürgen Macho und Christian Gratzei sowie des nicht berücksichtigten Helge Payer mit einem Trio in den Test in der Ukraine, das insgesamt die Erfahrung von drei Länderspielen aufweist.

Für diese ist Grünwald im Alleingang verantwortlich. Der Tiroler verlor wiederum sein Stammleiberl bei der Austria an Lindner, weshalb die kuriose Situation entstand, dass zwei Keeper der Veilchen im Kader stehen, und eine ganze Fußball-Nation nach den Gründen für die vermeintliche Krise forscht.

„Wenn ich Vereinsangehöriger der Austria wäre, würde ich sagen: ‚Toll, ich habe ein Luxusproblem!‘ Ich bin auf der anderen Seite, also sage ich: ‚Das ist ein Wahnsinn!‘ Es hängt immer davon ab, aus welcher Perspektive man das sieht“, meint Konrad wohlwissend, dass ihm jener Austrianer, der sich auf Dauer nicht durchsetzt, in Bälde als Kandidat abhandenkommen dürfte.

DIE DISKUSSIONEN:

Die Frage, wer die Nummer eins im Nationalteam ist, wird schon seit vielen Jahren immer nur temporär beantwortet. „Wir haben in der Vergangenheit – zum Beispiel vor und nach der EURO – immer das Thema gehabt, dass sich kein Torhüter wirklich als Nummer eins herauskristallisiert hat“, betont Konrad.

Zur Erinnerung: Bei der Heim-EM 2008 lüftete der damalige Teamchef Josef Hickersberger erst am Tag des Auftakt-Matches gegen Kroatien das Geheimnis, dass sich Macho im Duell mit Alex Manninger durchgesetzt hat. In den zwei Jahren davor gab es eine Rotation, der auch Payer angehörte, ehe er kurz vor Turnierbeginn wegen seiner Erkrankung w.o. geben musste.

Auch danach vermochte sich kein Anwärter entscheidend durchzusetzen. Immer wieder kamen Verletzungen, Formkrisen oder andere Unwägbarkeiten dazwischen. Es fehlte schlichtweg an Konstanz. Konrad würde in diesem Kontext die statistische Beantwortung folgender drei Fragen interessieren:

  • „Wie oft hat uns im Nationalteam ein Torhüter Spiele gerettet?“
  • „Wie oft hat er Durchschnitt gespielt?“
  • „Wie oft hat er einen schlechten Tag gehabt?“

Auch ohne exakte Antworten parat zu haben, weiß der Neo-Tormanntrainer: „Im Nationalteam sind es immer Momentaufnahmen.“

DIE „KRISE“:

Gemessen daran, dass frühere Teamchefs stets aus einem Pool von drei bis vier hochkarätigen Kandidaten wählen konnten, ist der aktuelle Stand der Dinge natürlich nicht befriedigend.

Besonders verwöhnt wurde Österreich in den 90ern, als Salzburg-Held Konrad (später Saragossa) sich mit dem Rapidler Michael Konsel (später Roma) und dem Austrianer Franz Wohlfahrt (später Stuttgart) um das Einser-Leiberl matchte – allesamt international anerkannte Goalie-Größen. Ein konstant starker Bundesliga-Schlussmann wie Wolfgang Knaller hatte im Machtkampf dieser Alpha-Tiere für gewöhnlich das Nachsehen.

 „Man vergleicht immer wieder mit den goldenen Jahren, wo wir einen Topf von vier, fünf Gleichwertigen hatten, die auf einem sehr hohen Niveau gespielt haben und mit ihren Vereinen immer wieder international gefordert waren. Teilweise fehlt uns da etwas“, gibt Konrad zu.

Der heutigen Generation gehen laut Meinung des 47-Jährigen vor allem die regelmäßigen, großen Bewährungsproben jenseits der Landesgrenzen ab: „Internationale Spiele machen internationale Torhüter, nationale Spiele machen nationale Torhüter. Das ist der Unterschied.“

In der laufenden Saison ändert sich daran nur wenig. Legionär Macho würden bei Panionios auch ohne Verletzungspause die Europacup-Aufgaben fehlen, Gratzei verpasst aktuell einen Gutteil von Sturms Europa-League-Auftritten. Bleibt auf Vereinsebene nur der jeweilige Austria-Goalie.

Das Wort Krise ist für Konrad dennoch voreilig: „Ich will nicht von einer Krise sprechen, aber wir haben Nachholbedarf – vor allem in der Quantität. Nach manchen Spielen wird jemand gleich zur zukünftigen Nummer eins auf Lebzeiten auserkoren. Ein, zwei Spiele später geht etwas daneben, dann ist die Stimmung wieder im Keller und die Position wird wieder diskutiert.“

DIE VEREINE:

Das Problem beginnt im Prinzip nicht beim Nationalteam, sondern oftmals bei den jeweiligen Arbeitgebern der Kandidaten. So sind vom aktuell einberufenen Trio Almer (Düsseldorf) und Grünwald (Austria) derzeit nur Ersatz, Lindner war es über weite Strecken der Saison.

„Der richtige Schritt wäre, wenn diese Torleute bei den Vereinen wirklich sukzessive über längere Zeit zum Spielen kommen und sich dort profilieren können“, sagt Konrad Naheliegendes. Offenkundig leichter gesagt, als getan. Denn kaum ein ÖFB-Kandidat hatte in den letzten zwei, drei Jahren nicht zumindest kurzfristig Probleme beim jeweiligen Verein. Erst kürzlich musste etwa Hans-Peter Berger, im Frühjahr noch im Teamkader, bei der Admira Patrick Tischler weichen.

Die Gründe dafür mögen vielschichtig seien. Eine Auffälligkeit ist, dass seit dem Bosman-Urteil viele ausländische Keeper den Weg nach Österreich fanden. „Man ist am österreichischen Markt relativ leicht zu Torhütern gekommen, die auch ganz gut gespielt haben. Ich glaube, dass das sicherlich ein Grund war, dass man zu wenig auf die eigenen Talente geschaut hat“, so Konrad.

Als positive Beispiele seien ohne Anspruch auf Vollständigkeit Könner wie Stanislaw Tschertschessow, Ladislav Maier, Szabolcs Safar, Kazimierz Sidorczuk, Joey Didulica oder in der Gegenwart Eddie Gustafsson genannt. Dass in deren Windschatten auch der eine oder andere Fliegenfänger den Weg in die Bundesliga fand, versteht sich leider beinahe von selbst.

Davon wusste etwa Gratzei ein Lied zu singen, der sich bei Sturm bisweilen hinter einem „Kapazunder“ wie Radovan Radakovic anstellen musste. Manchen blieb mangels echter Chance in der höchsten Spielklasse nur die Flucht. Macho verdiente sich etwa in England seine Sporen, Michael Gspurning in Griechenland.

DAS EIGENVERSCHULDEN:

Der Personalpolitik der Vereine die Hauptschuld am unbefriedigenden Zustand zu geben, ginge zu weit. Abgesehen davon, dass bei manchen letztlich die Qualitätsfrage die negative Antwort liefert, ging in anderen Fällen auch der eine oder andere Wechsel in die Hose.

Konrad: „Ich sage es ein bisschen provokant: Es passiert recht oft, dass Spielerberater, Manager oder Dealer – wie auch immer man dazu sagt – es super finden, wenn sie einen Spieler verkaufen können. Und zwar nach Salzburg oder sonst wo hin. Das, was ihnen fehlt, können sie dort aber nicht erlernen – und das sind Spiele.“

Auf wen der 12-fache Internationale anspielt, ist unschwer zu erraten: Ramazan Özcan. Der inzwischen 27-Jährige kam in zwei Jahren bei den „Roten Bullen“ auf lediglich zwei Bundesliga-Einsätze, ehe er seine Chance in Deutschland bei Hoffenheim nicht nützte, als Leihspieler bei Besiktas Istanbul nicht zum Zug kam und aktuell beim Zweitligisten Ingolstadt die Bank drückt.

„Rambo war für mich eines der größten österreichischen Torhüter-Talente, er hat es auch bis ins Nationalteam geschafft. Dann hat er einen Ast gehabt, aus dem ihm keiner herausgeholfen hat“, ärgert sich Konrad.

DIE FRAGE ALLER FRAGEN:

Wer steht denn nun in der Ukraine im Tor? Nicht nur mangels Eigenwerbung seiner Kandidaten bleibt auch Konrad die Antwort schuldig. Die endgültige Entscheidung würde Teamchef Marcel Koller treffen: „Der Tormanntrainer gibt die Inputs. Wenn ich mir denke, das ist der richtige Mann, werde ich das auch so mitteilen.“

Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass die Karten 2012 mit der Rückkehr von Macho und Gratzei ohnehin neu gemischt werden. An der grundsätzlichen Problematik ändert jedoch auch das wenig.

Deshalb lautet Konrads Fazit: „Eines ist klar: Wir haben in Österreich Talente, und man muss irgendwann hergehen und diese Talente auch dementsprechend fördern.“

Peter Altmann

DAS VERTRAUEN:

Beispiele für gezielten Aufbau eines Torhüter-Talents finden sich auch aktuell in der Bundesliga nur wenige, weshalb die nächste Generation an Hoffnungsträgern zu scheitern droht. Als Parade-Negativbeispiel dafür dient stets der U20-WM-Jahrgang von 2007 (Andreas Lukse, Bartolomej Kuru, Michael Zaglmair), aus dem sämtlichen Goalies aus den verschiedensten Gründen der große Durchbruch bislang versagt blieb.

Beinahe neidvoll muss man daher nach Deutschland blicken, wo die Bundesliga beinahe von einer ganzen Welle an Youngstern wie Ron-Robert Zieler (Hannover), Marc-André ter Stegen (Gladbach) oder Bernd Leno (Leverkusen) überschwemmt wird.

Konrad: „Schaut man über die Grenze, ist es in Deutschland so, dass man sehr wohl auf junge Torhüter setzt. Das Problem in Österreich ist, dass die großen Talente zu den größeren Vereinen wollen, dort aber mehr oder weniger auf der Ersatzbank versumpern. Denn so richtig traut man es ihnen dann doch nicht zu.“

Exemplarisch nennt der Steirer seinen früheren U21-Nationalteam-Schützling Lukas Königshofer (22), dem die Verpflichtung von Jan Novota einen Aufstieg in der Hütteldorfer Hackordnung verwehrte: „Er hat absolut Potenzial. Bei Rapid hatte man nicht das Vertrauen, ihn als Nummer zwei aufzubauen. Jetzt krebst er in der Regionalliga herum.“

Ein Schicksal, das ohne glückliche Fügung von selbigem auch dem ein Jahr jüngeren Lindner bei der Austria hätte drohen können: „Er ist aufgrund von Personalnot zum Zug gekommen. Gott sei Dank sind dem Verein zu diesem Zeitpunkt die Hände gebunden gewesen, dass sie nicht etwas anderes machen konnten. Er war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Somit ist sein Stern aufgegangen. Wie hell und stark der in Zukunft leuchten wird, wird sich weisen, aber die Prognosen sind nicht so schlecht. Aber herzugehen und zu sagen: ‚Das ist die neue Nummer eins‘ – da stimme ich momentan noch nicht ganz zu.“