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"Ein Trainer hat ein ganzes Projekt zu steuern"

1995 stattete Fritz Schmid dem Ernst-Happel-Stadion erstmals einen Besuch ab.

Dass er 16 Jahre später als Co-Trainer des österreichischen Nationalteams zurückkehren wird, ahnte der Schweizer damals garantiert noch nicht.

Sein damaliger Aufgabenbereich? Die Berichterstattung vom Champions-League-Finale Ajax Amsterdam gegen AC Milan als Sportjournalist der Nachrichtenagentur „Sportinformation Zürich“.

Die Arbeit als Reporter ist nur ein Teilbereich im facettenreichen Lebenslauf des 52-Jährigen, der über weitreichende Erfahrungen im Trainerbereich zurückgreifen kann – sei es als Co-Trainer, wie zuletzt als Assistent von Christian Gross beim FC Basel, oder als Trainerausbildner im Schweizer Verband sowie bei der FIFA und UEFA.

„In den letzten beiden Jahren war ich vor allem im Bereich Lehrtätigkeit beziehungsweise der Entwicklung verschiedener Projekte als selbständiger Berater tätig. Ich habe da ein großes Spektrum gelebt“, erklärt Schmid bei seiner offiziellen ÖFB-Präsentation am Dienstag.

„Man kann mit ihm über Gott und die Welt reden“

Der Job in Österreich reizt ihn aus gutem Grund: „Ich gehe mit großer Freude und Spannung die Aufgabe mit dem Nationalteam an. Denn das ist bei allen Bereichen, in denen ich Erfahrungen sammeln durfte, ein neues Feld. Ich bin sehr motiviert, da meinen Beitrag zu leisten.“

Teamchef Marcel Koller kennt Schmid schon seit rund 30 Jahren, auch wenn das Duo noch nie in einem Trainerstab zusammengearbeitet hat. „Ich schätze ihn als Person sehr. Man kann mit ihm nicht nur über Fußball sprechen, sondern über Gott und die Welt. Er hat eine Linie, und die zieht er durch“, nennt Koller die Vorzüge seiner neuen rechten Hand, die als hervorragender Analytiker gilt.

Weniger über Gott und die Welt, sondern vor allem über Schmids Expertisen zum Trainer-Job geht es in den folgenden Zeilen. Der Schweizer spricht über den Wandel des Coachings im Laufe der Zeit genauso wie über den Ruf der ÖFB-Kicker im Ausland wie über seine Erfahrungen als Sportjournalist.

FRITZ SCHMID...

…DARÜBER, OB ER DER KLASSISCHE „ZWEITE MANN“ IST:

Ich würde mich grundsätzlich nicht als klassischen zweiten Mann bezeichnen. Ich bin einer, der weiß, wann ich die „Führung“ als erster Mann übernehmen, und wann ich mich im Team einbringen muss. Es ist mittlerweile auch bekannt: Den alleinigen ersten Mann, der den Laden schmeißt und alles organisiert, finden wir heutzutage im modernen Fußball kaum mehr. Die Aufgabenverteilung und die Rollen haben sich gewandelt. Ich bin der Meinung, dass man auch mal einen Schritt zurücktreten soll, wenn es ein gutes Projekt ist. Dann bringe ich da meine Qualitäten ein, wo es erforderlich ist. Wenn das mit dem ersten Mann gut harmoniert, ist das ebenso viel wert, wie wenn ich auf einer höheren Stufe stehe.

…ÜBER DIE WEITERENTWICKLUNG DES TRAINERBERUFS:

Wenn wir weit zurückblicken, war der Fußball-Trainer früher der Macher und Alleinbestimmer, der den ganzen Betrieb aufrechterhalten hat. Heute hat sich das differenziert: Das geht über die Trainingsgestaltung, die Planung, die Menschenführung, aber auch über die Gestaltung in der Gruppe. Es ist so eine vielfältige Aufgabe. Auch bei uns im Team gibt es immer mehr Fachkräfte und Spezialisten, die es zu steuern gilt. Dementsprechend hat sich die Aufgabe des Cheftrainers gewandelt. Er ist nicht nur Trainingsgestalter oder Übungsleiter, sondern er hat natürlich auch Menschen zu führen und ein ganzes Projekt zu steuern. Das hat sich in den letzten Jahren ganz deutlich verändert.

…ÜBER DIE TRENNUNG DER TRAINER-GILDE IN PRAKTIKER UND THEORETIKER:

Das eine geht ohne das andere nicht. Heutzutage ist ein Fußball-Trainer, der sich nicht mit der Theorie oder im weitesten Sinne mit den Wissenschaften und den Informationen, die im Umfeld vorhanden sind, auseinandersetzt, früher oder später auf verlorenem Posten. Auf der anderen Seite muss der Wissenschaftler wissen: Auf dem Fußball-Feld gibt es ganz eigene Gesetzmäßigkeiten. Da muss wirklich fußballspezifisch gearbeitet werden. Ich denke, dieses Vorurteil besteht vielleicht auch darin, dass die beiden Bereiche nicht immer einfach miteinander Hand in Hand gehen.

…DARÜBER, OB GUTE FUSSBALLER AUTOMATISCH GUTE TRAINER SIND ODER OB DIE TÄTIGKEIT EINE GANZ ANDERE IST:

Das ist ein neuer Job. Das kann ich aus vielen Gesprächen in der Praxis bestätigen. Sehr viele Trainer, die ich mitunter als Spieler im Spitzenfußball und später auch in der Trainerausbildung betreut habe, werden sich in der Phase der Ausbildung bewusst, dass dies ein komplett anderes Umfeld, eine andere Arbeit ist. Ich denke, wenn diese Reflexion vorhanden ist, wird auch aus einem guten Fußballer eine gute Trainer-Kraft.

…ÜBER DEN ZEITAUFWAND EINES TRAINERS, DER SICH NICHT ZULETZT DURCH DIE INZWISCHEN ZUR VERFÜGUNG STEHENDEN TECHNISCHEN MÖGLICHKEITEN ERHÖHT HAT:

Marcel Koller hat ja gesagt: Der Tag hat nur 24 Stunden – und das reicht mitunter nicht. Ich würde jetzt nicht sagen, dass der Fußball-Trainer nur dann seine Aufgabe erfüllt, wenn er sich 25 Stunden am Tag nur mit Fußball beschäftigt. Es braucht schon auch ein bisschen Differenzierung. Aber es ist wirklich umfassend. Nur mit Trainingsgestaltung und der Dusche nach dem Training ist die Arbeit nicht abgeschlossen, das ist zweifellos so.

…ÜBER SEINE FRÜHERE TÄTIGKEIT ALS SPORTJOURNALIST:

Die Erfahrung als Journalist ist natürlich eine sehr interessante. Ich war fünf Jahre bei der Schweizer Sportagentur tätig, natürlich speziell im Fußball. Das ist einerseits eine Neigung, das habe ich sehr gern gemacht, aber ich wusste andererseits damals schon: Wenn ich später einmal vollberuflich als Trainer tätig bin, ist es immer eine gute Zusatzerfahrung, die Gegenseite und ihre Mechanismen zu kennen. Ich habe bis jetzt von dieser Erfahrung immer sehr profitiert. Ich weiß, was die Journalisten brauchen, um ihren Job zu machen, und ich weiß, dass wir auch die Journalisten brauchen, um unseren Job gut machen zu können.

…ÜBER SEINE FUSSBALL-PHILOSOPHIE:

Ich finde, eine Mannschaft soll versuchen, das Geschehen auf dem Feld aktiv zu beeinflussen, nicht reagieren, sondern die Lage bestimmen, und einen vorwärtsorientierten, mutigen und zusätzlich selbstbewussten Fußball spielen – mit den Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen.

Aufgezeichnet von Peter Altmann

…ÜBER DEN STELLENWERT, DEN DIE PÄDAGOGIK IM TRAINERJOB EINNIMMT:

Es ist natürlich ein wichtiger Teilbereich des Trainerjobs. Wenn wir die Aufgabe des Trainers als Führungsaufgabe bezeichnen, hat er nicht nur die technisch-taktischen Elemente und Aspekte zu berücksichtigen, sondern muss er die Leute führen, seine Ideen vermitteln und auch zusehen, dass die einzelnen Spieler beziehungsweise Mitglieder der Gruppe auch ihre Fähigkeiten einbringen können. Das ist ein großer pädagogischer Auftrag. Das hat auch seinen Stellenwert in dieser Arbeit, davon bin ich überzeugt.

…ÜBER DEN RUF, DEN DIE ÖSTERREICHISCHEN TEAMSPIELER JENSEITS DER LANDESGRENZE HABEN:

Das kann man ganz einfach sagen: Sie haben den Ruf, dass sie gute Kicker sind. Deshalb betone ich auch: Wenn sie sich weiter entwickeln wollen, ist das die beste Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit. Nach oben ist – auf jeder Stufe – immer Potenzial offen. Ob das in Österreich, der Schweiz oder einer anderen Nation ist: Arbeit gibt es immer für die Fußball-Trainer.

…ÜBER DIE SCHWERPUNKTE SEINER TÄTIGKEIT BEIM ÖFB:

Es gibt sehr viele Bereiche, wo ich meine Aufgaben sehe. Einerseits natürlich in der Trainingsgestaltung und der Planung der einzelnen Zusammenkünfte, das versteht sich von selbst. Daneben geht es darum, gemeinsam mit Thomas Janeschitz das Scouting, die Spielbeobachtungen, die Analysen zu organisieren. Wie bereiten wir uns auf die Spiele vor? Wie bereiten wir die Spiele auf? Wie verfolgen wir die einzelnen Teamspieler? Wie pflegen wir die Kontakte mit den Vereinen und deren Trainern? Dann sehe ich meine Aufgabe auch darin, die ganze sportmedizinische und leistungsdiagnostische Betreuung zu koordinieren. Wir haben hier sehr gute Leute, die sehr viel Knowhow mitbringen. Darüber hinaus ist ein Mitarbeiter im Stab dazu da, sich dort nützlich zu machen, wo man ihn braucht und seine Erfahrung und sein Wissen einzubringen.

…DARÜBER, OB MENSCHENFÜHRUNG IN DER MODERNEN, TECHNOLOGISIERTEN WELT SCHWIERIGER GEWORDEN IST ALS IM ZEITALTER, WO DIE SPIELER GEMEINSAM KARTEN SPIELTEN:

Ich denke, das bezieht sich nicht nur auf den Fußball. Führung – sei es in einem Wirtschaftsunternehmen, einem Industriebetrieb oder von einem Spitzenteam im Sport – hat sich generell verändert und ist viel komplexer geworden. Die Werte haben sich verändert. Individualität, eigene Interessen und die ganze Vernetzung haben das natürlich rapide gewandelt. Und damit  verändern sich auch die Aufgaben der Verantwortlichen, die eine Gruppe zusammenbringen. Dass die Spieler bei allen eigenen Interessen und allen Ausstiegsklauseln bereit sind, ihre persönlichen Interessen und Qualitäten in ein Projekt einzubringen, das gemeinschaftlich Erfolg haben soll - das wird unsere Aufgabe sein.