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"Die Mannschaft hat mich positiv überrascht"

Vier Siege, drei Remis und nur eine Niederlage.

Die Bilanz der österreichischen Nationalmannschaft liest sich ausgezeichnet. Dass die ÖFB-Elf ausgerechnet das letzte Match im Jahr 2014 verloren hat – auch wenn es gegen Rekordweltmeister Brasilien mit 1:2 denkbar knapp ausfiel – wurmt Teamchef Marcel Koller dennoch.

„Ich verliere extrem ungern“, so die Begründung des Schweizer.

Gleichzeitig spricht der 54-Jährige seiner Truppe ein großes Lob aus. „Es war ein sehr gutes Jahr, mit guten Spielen und guten Ergebnissen. Es macht mich stolz, mit diesem Team zusammen zu sein.“

Dementsprechend gelöst und gut gelaunt lässt Koller das Jahr 2014 Revue passieren:

MARCEL KOLLER…

… ÜBER DAS SPIEL GEGEN BRASILIEN UND OB DER ÄRGER ÜBER DIE NIEDERLAGE, ODER DIE FREUDE ÜBER DIE GUTEN LEISTUNGEN IN DIESEM JAHR ÜBERWIEGT:

Beides. Auf der einen Seite verliere ich extrem ungern. Wenn es ein Unentschieden ist, kann ich damit noch leben. Wir hätten gegen Brasilien ein Remis verdient gehabt. Es war eine gute Leistung gegen ein Topteam. Klar freue ich mich über das gute Jahr, die guten Spiele und die guten Ergebnisse. Dennoch hätte ich diesen einen Punkt im letzten Match noch gerne mitgenommen.

… ÜBER DAS HARTE SPIEL DER BRASILIANER:

Die wollten eben gewinnen. Der Schiedsrichter hätte die Härte mit Karten unterbinden können, hat es aber nicht getan. Wir können von so einem Spiel lernen. Vielleicht sind wir in der einen oder anderen Situation noch ein bisschen naiv. Beim nächsten Mal halten wir dann auch richtig dagegen. Nicht unfair, aber wenn der Ball dabei ist, kann man sich ruhig wehren.

… ÜBER SEINE PERSÖNLICHE BILANZ DES KALENDERJAHRES 2014:

Die Statistik ist sehr positiv und macht Mut. Als Erstes war Uruguay, dann das Remis gegen Island, gegen die wir eigentlich hätten gewinnen können. Gegen Tschechien haben wir kein gutes Spiel gemacht, aber trotzdem waren wir auswärts siegreich. Diese beiden Teams führen jetzt in einer EM-Quali-Gruppe. Als nächstes kam das Qualifikations-Spiel gegen Schweden. Wir haben ein 1:1 geholt, hatten aber die besseren Möglichkeiten und waren besser. Danach folgte die Weiterentwicklung gegen Moldawien und Montenegro und schlussendlich das Match gegen Russland, wo man gesehen hat, wie das Selbstvertrauen der Spieler gestiegen ist. Der Unterschied zwischen der letzten WM- und der aktuellen EM-Quali ist, dass zur spielerischen Qualität das Selbstvertrauen dazugekommen ist. Wenn die Ergebnisse passen, kann man auch so ein Spiel wie gestern gegen Brasilien gut gestalten. Wir sind nicht in Ehrfurcht erstarrt, sondern haben gezeigt, dass wir gut Fußball spielen können. Das Team hat seine Qualität am Platz gezeigt. Das macht mich stolz. Es zeigt, dass die Arbeit, die wir eingeschlagen haben, fruchtet. Es ist eigentlich immer Gebetsmühlenartiges, heruntererzählen von der Balance zwischen Offensive und Defensive, was zu tun ist, wie wir das auf das Feld bringen wollen. Es macht mich von der Spielweise stolz, mit dieser Mannschaft zusammen zu sein. Wir hatten vor dem Brasilien-Match eine Trainingseinheit am Montagabend, wo wir eine neue Idee eingeübt haben. Die Jungs haben das im Match eins zu eins umgesetzt. Das zeigt, dass sich Geduld und die Konstanz lohnt. Es geht nicht von heute auf morgen, aber mittlerweile sind wir drei Jahre zusammen. Die Truppe ist flexibler geworden. Ich habe sie bei der Abschlussbesprechung gefragt, wie sie gegen Brasilien spielen würde. Und es ist diese Philosophie von ihnen gekommen, die wir seit drei Jahren aufgebaut haben. Das ist in den Köpfen drinnen. Das eine ist Theorie, das andere Praxis. Wenn du es theoretisch kapiert hast und es auch auf den Platz bringst, dann ist das ein sehr guter Weg. Es hat mich gefreut und auch positiv überrascht, dass es die Mannschaft so hinbekommen hat. Man hat auch gesehen, dass wir schwerwiegende Ausfälle auf wichtigen Positionen auffangen können. Das gibt Selbstvertrauen. Wir wollen unseren Weg 2015 weitergehen. Am Anfang wird es schwierig sein, wieder in die Gänge zu kommen, weil doch vier Monate Pause sind. Dann geht es wieder los mit dem Beten: Defensiv, offensiv…

… ÜBER DIE ENTWICKLUNGEN EINZELNER PERSONEN WIE DRAGOVIC UND ARNAUTOVIC:

Ich muss ihnen diese Entwicklung zutrauen. Ein wichtiger Faktor ist die Erfahrung. Dragovic ist noch nicht so alt, aber von Anfang an dabei. Er hat zu seiner aggressiven Art, Zweikampfstärke und Präsenz die Ruhe und die Klarheit dazubekommen. Er hat gegen Brasilien und Russland überragend gespielt. Aleksandar ist aber auf dem Boden geblieben, hat sich in seiner Persönlichkeit weiterentwickelt. Das ist sehr gut. Marko hat gegen Brasilien ein starkes Spiel gemacht, gegen Russland ist er vielleicht nicht so in die Partie gekommen. Aber es ist normal, dass ein Spiel so, ein Spiel so läuft. Für ihn ist es wichtig, Konstanz zu zeigen. Er muss versuchen, permanent auf einem hohen Level zu spielen. Er muss sein Spiel spielen. Mit seiner Schnelligkeit, körperlichen Präsenz und tollen Technik muss er das auch provozieren. Wenn er zu wenige Bälle bekommt, muss er sich mehr bewegen, muss aktiver werden. Da ist er auf einem guten Weg. Ich hoffe, dass er das auch bei Stoke zeigen kann und in einen guten Rhythmus kommt.

… ÜBER DIE ALABA/BAUMGARTLINGER-VERTRETER LEITGEB, ILSANKER, KAVLAK:

Sie waren ja nicht zum ersten Mal dabei. Wir können durch sie taktisch auf einen Gegner eher reagieren, denn sie wissen, was verlangt wird. Dann ist es wesentlich einfacher, als wenn jemand dazukommt, der von unseren Philosophien noch nichts gehört hat. Wir sind also sehr froh, dass wir Verletzungen kompensieren können.

…DARÜBER, DASS SPORTDIREKTOR RUTTENSTEINER JUNGEN SPIELERN RÄT, LANGE IN ÖSTERREICH ZU BLEIBEN, IM TEAM ABER FAST NUR LEGIONÄRE ZUM EINSATZ KOMMEN:

Das muss man individuell anschauen. Wenn du die Persönlichkeit hast, ins Ausland zu gehen, dann solltest du es machen. Im Ausland musst du dich viel mehr durchsetzen, musst gegen Widerstände ankämpfen, die es in der Heimat nicht gibt. Wenn du keine Persönlichkeit für das Ausland hast, wird es schwierig. Du pendelst womöglich von einem Verein zum anderen und bekommst keine Spielpraxis. Doch das regelmäßige Spielen ist gerade in jungen Jahren wichtig. Du musst dich zeigen, damit du deine Stärken und Schwächen verbessern kannst – und zwar nicht nur im Training sondern im Wettkampf. Bei vielen ist auch das Geld entscheidend. Das sollte in jungen Jahren nicht der Hauptgrund sein. Nicht das Geld sondern die Entwicklung muss im Vordergrund stehen. Ausländische Vereine haben meistens viel Geld, locken die talentierten Spieler, doch wenn es nicht passt, wird dieser Spieler schnell fallen gelassen und abgeschoben. Da braucht es einen erfahrenen Entscheidungsträger, doch oft haben die Eltern das letzte Wort und die kennen sich im Fußball-Geschäft nicht aus.

… DARÜBER, OB DAS POTENZIAL DER ELF DERZEIT VOLL AUSGESCHÖPFT WIRD UND WO MAN SICH NOCH VERBESSERN KANN:

Fußball ist sehr viel Selbstvertrauen. Wenn du es hast, denkst du nicht über andere Dinge nach. Oftmals sind Sekunden-Bruchteile entscheidend. Dafür sind Ergebnisse wichtig. Wenn das alles passt, kann die Entwicklung weitergehen. Das Team hat eine Entwicklung hinter sich. Daher, dass wir seit drei Jahren zusammen sind, kann man auch in kurzer Zeit neue Ideen einbringen, weil die Mannschaft unsere Grund-Philosophie kennt. Anderenfalls wär es Harakiri, weil man in einer Trainingseinheit keine neue Spielidee einstudieren kann. Wir sind aber mittlerweile taktisch flexibel. Und es hängt vom Spieler ab. Diese Drecks, - Scheißwege in der Defensive läuft keiner gerne. Die Verteidiger wissen, was zu tun ist, das Mittelfeld ab und zu. Doch die Offensive läuft viel lieber mit dem Ball, wenn es nach vorne geht. Doch wir müssen die Laufwege in der Defensive verbessern. Ich wäre froh, wenn ich nicht mehr reinrufen müsste, dass der eine oder andere Spieler fünf bis zehn Meter mehr machen muss.

… ÜBER SEINE PLÄNE BIS ZUM NÄCHSTEN TEAMLEHRGANG IM MÄRZ 2015:

Es gibt keinen Grund irgendetwas zu ändern, oder sich zurückzulehnen. Ich werde die nächsten Tage entspannen, aber dann geht es weiter mit Spiel-Beobachtungen und der Analyse von Liechtenstein und Bosnien weiter. Darüberhinaus werde ich in Kontakt mit den Spielern bleiben und je nach der Situation beim Verein mit dem Trainer Kontakt aufnehmen.

…DARÜBER, OB IN DER TAKTISCHEN VORBEREITUNG 2015 AUCH SCHON EINE MÖGLICHE EM-TEILNAHME EINFLIEßT:

Taktik gehört in jedem Lehrgang dazu, ist ganz wichtig. Daher ist es immer besser, wenn man längere Zeit zusammen ist. Erstens, um unsere Ideen zu vermitteln und zweitens, um auf die Stärken und Schwächen des Gegners hinzuweisen. Punkto EM kann man noch nichts sagen. Wir sind noch nicht dabei und wissen ja auch nicht, wer sich überhaupt qualifiziert. Grundsätzlich ist es wichtig, seine eigenen Ideen zu entwickeln und diese stark zu machen.

…DARÜBER, OB DIE REAKTION AUF DIE BRASILIEN-NIEDERLAGE ANDERS WAR, ALS BEIM 1:2 GEGEN DEUTSCHLAND, ALS ALLE DURCHWEGS ZUFRIEDEN WAREN:

Das Team hat eine gute Leistung geboten. Das Ergebnis hat nicht gepasst. Ich verliere lieber in einem Testspiel, als in einem Quali-Spiel. Für mich ist immer wichtig, dass die hundert Prozent abgerufen werden. Man kann einen Fehlpass spielen, man kann einen Zweikampf verlieren, das gehört dazu. Die Leute draußen sollen spüren, dass jeder alles gibt. Dann kannst du auch verlieren.

… DARÜBER, OB ES AUCH EIN QUALITÄTSNACHWEIS IST, DASS HEUER MITTELMÄSSIGE LEISTUNGEN FÜR EINEN SIEG GEREICHT HABEN:

Gegen Tschechien haben wir ein schlechtes Match bestritten. Das geht zum Teil auf meine Kappe, weil ich etwas anderes probieren wollte, das nicht funktioniert hat. Schlussendlich ging es aber nicht in die Hose, weil es vom Ergebnis positiv war. Moldawien war meiner Meinung nach nicht so schlecht. Da hatten wir schwierige Bedingungen. Es war dort wie auf einem Perser-Teppich, der Ball ist extrem hoch gesprungen.

…DARÜBER, OB DIE CHANCENVERWERTUNG DIE GRÖßTE BAUSTELLE IST:

Wenn wir immer ein Tor mehr erzielen als der Gegner bin ich zufrieden. Aber ja, bei der Chancenauswertung sind wir in der einen oder anderen Situation zu hektisch. Da müssen wir ruhiger werden. Es gibt auch noch Abspielfehler und unnötige Ballverluste, die wir minimieren müssen. Das kostet viel Kraft. Da sind die Spieler dafür verantwortlich, sich bei ihren Klubs weiterzuentwickeln. Da kann er jeden Tag daran arbeiten.

... DARÜBER, OB ES „HAUSÜBUNGEN“ FÜR DIE SPIELER  GIBT:

Es gibt viele Ansätze und Möglichkeiten, wie man sich verbessern kann. Ich denke, dass die Spieler aber froh sind, dass sie nach dieser Zeit nicht noch etwas von mir gehört haben. Wenn du immer dran bist und das willst und das willst, haben sie irgendwann die Schnauze voll.

 

Aufgezeichnet von Martin Wechtl