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Hitzel: "Russlands Top-Spieler sind nicht gefragt"

Hitzel:

2018 will Russland bei der Heim-WM eine gute Figur abgeben.

Wenn es nach Gerhard Hitzel geht, dann stehen die Chancen dafür schlecht. Der ehemalige Chef der ÖFB-Trainerausbildung war von 2008 bis April 2010 Akademie-Leiter beim Spitzenklub Lok Moskau.

Das damalige Trainerduo aus Rashid Rachimov und Alfred Tatar lotste ihn dorthin. Nach dem Rauswurf der beiden und einer spektakulären Entführung, bei der er mit blauen Flecken davonkam, endete jedoch seine Tätigkeit in Moskau.

Als Experte für den Nachwuchs-Fußball zeichnet Hitzel ein desaströses Bild vom russischen System. „In der Ausbildung von Fußball-Spielern gibt es keinen Weg, der einem hundertprozentigen Erfolg verspricht. Aber es gibt einen Weg, wie es hundertprozentig nicht geht und genauso wird in Russland gearbeitet“, erklärt der langjährige ÖFB-Coach, der zuletzt als Assistent von Josef Hickersberger bei Al Wahda arbeitete.

In den letzten Wochen beobachtete er für Marcel Koller die Länderspiele der „Sbornaja“. Als persönlicher Scout des Teamchefs will er seine wertvollen Informationen zum aktuellen Kader Fabio Capellos unter Verschluss halten. Dafür spricht er mit LAOLA1 ausführlich über seine Erfahrungen bei Lok und die vielen Schwächen des russischen Fußballs.

LAOLA1: Vom russischen Fußball heißt es seit Jahren, er sei ein schlafender Riese. Stimmen Sie dem zu?

Gerhard Hitzel: In Bezug auf die Größe der Nation kann man das auf alle Fälle sagen. Aufgrund der hohen Bevölkerungszahl müsste eigentlich mehr drinnen sein. Aber die Weite des Landes ist sicher auch ein Struktur-Problem. Den Fußball so durchzuorganisieren, wie wir es kennen, mit einem Verein in jedem Dorf - das ist in Russland sehr schwierig. Bei uns liegt alles viel enger zusammen. Das kann man gar nicht vergleichen. Aber in Bezug auf Spielerentwicklung und den Nachwuchs liegt noch einiges brach.

LAOLA1: Sie haben bei Lok Moskau als Leiter der Nachwuchs-Akademie gearbeitet. Was sind die Unterschiede zu Österreich?

Hitzel: Der Fußball spiegelt ein gesellschaftliches Problem wieder. Es geht alles sehr autoritär vor sich. Die Trainer damals bei Lok Moskau waren gewohnt, die absoluten Chefs zu sein. Ihnen wurden keine Strukturen vorgegeben. Ihr Ziel war einfach immer, Meister zu werden. Das war der Nachweis für gute Arbeit. Das ist eine Struktur aus den alten Zeiten. Man muss natürlich zwischen älteren und jungen Trainern unterscheiden. Zu meiner Zeit waren die alten, die sehr autoritär gearbeitet haben, in der Überzahl. Junge Coaches, die sich am Westen orientiert haben, hatten wir nicht so viele.

LAOLA1: Wie haben Sie versucht, diese autoritäre Einstellung zu ändern?

Hitzel: Die Struktur konnte ich nur ändern, indem ich ein paar Trainer ausgetauscht habe. Ein paar der alten Garde sind aber drinnen geblieben. Die haben zu mir gesagt: ‚Okay, ich respektiere dich, aber meine Herangehensweise wirst du nicht mehr ändern‘. Auf diese Trainer hatte ich keinen Zugriff.

Hitzel (l.) mit den Lok-Trainern und Ex-Kärnten-Sportdirektor Schinkels

LAOLA1: Mit solch einer Ausbildung bleibt das eigenständige Denken der Spieler natürlich auf der Strecke, oder?

Hitzel: Genau das ist es. Unter dieser autoritären Struktur leidet die Kreativität, die sehr viel mit eigenständigem Denken zu tun hat. Das spontane Lösen von schwierigen Situationen am Spielfeld – damit haben die Nachwuchs-Spieler enorme Probleme. Spitzenklubs versuchen, dem mit ausländischen Trainern entgegenzuwirken. Aber so etwas lässt sich nicht von einem Jahr auf das andere ändern.

LAOLA1: Sturm-Legionär Naim Sharifi meinte unlängst, es seien nur wenige große Talente in Russland in Sichtweite. Wie sehen Sie das?

Hitzel: Sharifi war in meiner Akademie, ich habe seinen Weg aufmerksam verfolgt. Er hat mit dieser Aussage sicherlich Recht. Wenn man von klein auf gewohnt ist, nur über die Disziplin den Fußball in den Griff zu bekommen, dann kann das nicht funktionieren. Es wurde sehr viel Wert auf das Konditionelle gelegt, viel ohne Ball gearbeitet. Beim Techniktraining wurde nach der ganz alten Methode mit unzähligen Wiederholungen gearbeitet. Das ist heutzutage bei uns nicht mehr üblich. Es kommt nicht von ungefähr, dass es kaum noch russische Spieler ins Ausland schaffen. Auf der ganzen Welt suchen Spitzenklubs nach großen Talenten. In Deutschland zum Beispiel spielen viele junge Georgier. Die Russen bringen dagegen kaum junge Spieler ins Ausland. Die Spitzenklubs finden dort keine Talente mit großem Potenzial.

LAOLA1: Im russischen Kader für das ÖFB-Spiel steht schließlich auch nur ein einziger Legionär.

Hitzel: Ja, das kommt nicht von ungefähr. Die Legionärsfrage ist sicherlich eine Frage der Qualität. Natürlich verdienen die Spieler in der heimischen Liga sehr viel Geld. Aber Fakt ist, dass Russlands Top-Spieler im Ausland nicht gefragt sind. Der Legionär im aktuellen Kader ist Denis Cheryshev. Er ist als Sechsjähriger mit seinem Vater nach Spanien gekommen und dort geblieben. Ihn kann man nicht einmal als richtigen Legionär bezeichnen, sie haben gar keinen Legionär! Den Spielertypus, den russische Spieler verkörpern, der ist nicht mehr gefragt. Natürlich gibt es auch Einzelfälle, wie Andrei Arshavin, die durch das System durchgerutscht sind.

LAOLA1: Im russischen Fußball sind noch immer viele Mäzene und potente Geldgeber aktiv. Sind sie auch ein Teil des Problems?

Hitzel: Sie kaufen mit dem vielen Geld Kreativität ein. Das ist kein Zufall. Ich habe mir St. Petersburg in Leverkusen angesehen. Von den vier russischen Teamspielern hat nur einer gespielt. In der Champions League dürfen sie alle Legionäre einsetzen, das gibt es keine Beschränkung auf vier Ausländer. Die russischen Teamspieler sitzen also teilweise sogar bei den eigenen Vereinen auf der Bank. Das ist schon auch ein Problem des vielen Geldes.

LAOLA1: 2018 findet die WM in Russland statt. Welche Rolle wird das russische Team dabei spielen?

Hitzel: Sie haben derzeit noch immer viele alte Spieler im Kader. Es wird sicherlich nach der Europameisterschaft 2016 einen Umbruch geben müssen, wenn man sich zum Beispiel die Innenverteidigung mit Vasili Berezutski (32 Jahre alt, Anm.) und Sergei Ignashevich (35) ansieht. Die absolvieren jede Partie. Inwieweit es für diese Leute Nachfolger gibt, das kann ich nicht sagen.

LAOLA1: Hat es Capello mit diesem Kader schwer, ein durchschlagskräftiges Team zu formen?

Hitzel: Russland ist sicher keine schlechte Mannschaft. Sie haben immer noch ein starkes Team. Er probiert das Beste aus seiner Situation zu holen. Inwieweit das richtig oder falsch ist, das entzieht sich meiner Kenntnis.

 

Das Gespräch führte Jakob Faber

LAOLA1: Aber mit Aleksandr Kokorin oder Alan Dzagoev verfügt Russland doch auch momentan über starke Spieler.

Hitzel: Warum Kokorin nicht im Ausland spielt, da bin ich überfragt. Der hat zweifellos Potenzial. Aber einen Dzagoev will heute kein Spitzenklub mehr. Er war ein Wunderkind, jetzt ist er ein behäbiger Durschnittsfußballer. Mag sein, dass es ihm damals lieber war, in Russland viel Geld zu verdienen. Letztlich war er aber doch nicht gut genug, als dass ein Spitzenklub für ihn die nötige Ablösesumme gezahlt hätte. In der Ausbildung von Fußball-Spielern gibt es keinen Weg, der einem hundertprozentigen Erfolg verspricht. Aber es gibt einen Weg, wie es hundertprozentig nicht geht und genauso wird in Russland gearbeitet.