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"Befindlichkeiten stehen über Professionalität"

Irgendwie erinnert die Situation an das Hinspiel gegen die Türkei.

Auch im März erlebte Paul Scharner die bittere Niederlage vor dem Kräftemessen mit der Elf von Teamchef Guus Hiddink wegen einer Sperre von der Tribüne aus mit. Damals das 0:2 gegen Belgien, diesmal das 2:6 in Deutschland.

Im LAOLA1-Interview offenbart er seine Erkenntnisse der Abfuhr von Gelsenkirchen und erneuert seine Forderung, dass persönliche Befindlichkeiten nicht der Nominierung von Legionären aus Top-Ligen im Weg stehen dürfen.

LAOLA1: Du hast die bittere Pleite in Deutschland von der Tribüne aus miterlebt. Was ist falsch gelaufen?

Paul Scharner: Es bringt überhaupt nichts, vom Tribünenblick irgendetwas zu kritisieren, weil am Platz für einen Spieler alles ganz anders rüberkommt. Ich würde es aber so sehen, dass wir ins offene Messer gelaufen sind.

LAOLA1: Die Deutschen hatten eine Überzahl im zentralen Mittelfeld, das haben auch viele Spieler angesprochen…

Scharner: Sicher. Wir haben zwar versucht, hoch zu pressen, waren aber leider keine Einheit in den Press-Versuchen, deshalb waren die Räume ziemlich groß. Diese Lunte haben ein Özil, ein Schweinsteiger und ein Kroos natürlich gerochen und ausgenutzt.

LAOLA1: Und wenn man Spielern dieses Kalibers solche Räume gibt, kann es nicht gut gehen…

Scharner: Das braucht nicht einmal ein Özil sein. Jeder Fußballer träumt davon, mehr Raum und Zeit am Ball zu haben. Dann kann man gut kombinieren.

LAOLA1: In Deutschland zu verlieren, ist keine Schande, aber war nicht die Art und Weise das Bedenkliche? Österreich hat sechs Tore kassiert und die Deutschen hatten zahlreiche Chancen auf weitere Treffer…

Scharner: Bei 2:4 haben wir natürlich versucht, uns in der Qualifikation zu halten, haben aufgemacht und alles probiert. Dass dann zwei Konter-Tore passieren, ist das Ergebnis. Aber ich sehe es nicht so: Natürlich haben sie noch viele Chancen gehabt, aber wir haben auch einige Chancen gehabt. Wir hätten vor dem 2:5 durchaus auch das 3:4 machen können, und dann schaut es wieder ganz anders aus. Also ich würde das nicht so  überbewerten.

LAOLA1: Aber die Deutschen hatten doch auch schon bis zur 3:0-Führung viele weitere Möglichkeiten…

Scharner: Das gehört dazu. Wenn du gegen ein Top-Team spielst, schaust du, dass du so viele Chancen wie möglich unterbindest, aber die werden trotzdem noch immer viele Chancen haben. Da kommt es natürlich auf einen guten Tag des Tormanns und der Defensive an, zu blocken oder zu hoffen, dass die Chance nicht verwertet wird.

LAOLA1: Du hast zuletzt in Interviews anklingen lassen, dass über die Rückkehr des einen oder anderen Spielers wie Andreas Ivanschitz nachgedacht werden sollte. Muss man sich nicht nach dem Ende der Qualifikation an einen Tisch setzen und eine Lösung suchen?

Scharner: Ich bleibe dabei, und ich personifiziere es auch nicht: Wir haben auch in anderen Top-Ligen Spieler, und ich glaube, dass es sich Österreich nicht leisten kann, auf Legionäre aus Top-Ligen zu verzichten. Ich sage jetzt keinen Namen, und es wird hoffentlich auch nicht aufgebauscht, weil gerade ein Ivanschitz aktuell ist, sondern ich meine es generell: Wenn man einen Legionär in einer Top-Liga hat, ist er absolut qualifiziert fürs Nationalteam.

LAOLA1: Beruht diese Ansicht auf deiner eigenen Erfahrung, dass du vor der EURO selbst nicht mehr eingeladen wurdest?

Scharner: Nein, die Ansicht resultiert daraus, dass im österreichischen Fußball die persönlichen Befindlichkeiten über der Professionalität stehen.

LAOLA1: Dafür gab es in letzter Zeit genug Beispiele. Wie wird man das los?

Scharner: Ich schaue auf mich und darauf, dass ich weiterhin professionell arbeite. Wie es geändert wird? Ich bin auch nur ein einfacher Spieler…

Das Gespräch führte Peter Altmann

LAOLA1: Jeder Fußballer erlebt Tage, an denen wenig funktioniert. War das so ein Tag?

Scharner: Ich würde dieses Spiel absolut nicht so einschätzen, dass nichts gegangen ist, ganz ehrlich gesagt.  Natürlich ist es schwierig, in so einem Stadion gegen so eine Mannschaft, aber wir haben, bevor sie das Tor gemacht haben, eigentlich die erste Chance gehabt. Wir müssen wirklich noch daran arbeiten, dass wir effizienter werden. Vielleicht wäre der Spielverlauf dann ein anderer gewesen.

LAOLA1: Belgien hat in Aserbaidschan nur  1:1 gespielt. Mit einem Sieg gegen die Türkei kann sich Österreich im Qualifikations-Rennen halten, oder willst du diese Rechenspiele gar nicht mehr hören?

Scharner: Das ist eben der Fußball. Es ist die Aufgabe der Medien, die mathematische Möglichkeit am Leben zu erhalten. Für uns ist es eine Chance, das Deutschland-Spiel vergessen zu machen.

LAOLA1: Also sollte gegen die Türkei Wiedergutmachung im Vordergrund stehen und nicht gleich wieder Träume von der EM-Qualifikation?

Scharner: Wir wollen zeigen, dass wir nicht so schlecht sind, wie es das Ergebnis gegen Deutschland ausdrückt.

LAOLA1: In 20 der 22 Spiele unter Constantini gab es zumindest ein Gegentor. Ist das eines der Hauptprobleme?

Scharner: Einige Tore sind aus Standards gefallen und nicht aus dem Spiel heraus, das muss man auch dazurechnen. Aber ich kenne das Problem von West Bromwich, wir können auch sehr schwer zu null spielen. Natürlich ist es dann schwierig. Ich glaube jedoch, als Mannschaft haben wir das Potenzial, auch wenn wir ein Tor kriegen, noch mehrere Tore zu schießen – zumindest kreieren wir so viele Chancen, dass wir Tore schießen könnten.

LAOLA1: Dass die Mannschaft immer für ein Tor gut ist, muss man positiv vermerken. In der Ära Constantini blieb man nur sechs Mal ohne eigenen Treffer.

Scharner: Jetzt werden wir den Hebel ansetzen, dass wir in der Defensive besser stehen. Ich bin natürlich ein Defensivspieler, aber ich sage immer, der erste defensive Spieler ist der Stürmer. Die kriegen jeden Ruhm, wenn wir gewinnen, weil sie ein Tor geschossen haben. Und wenn wir verlieren, sind es nur die Verteidiger – das ist komisch… (lacht)