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"Lieber schlechter spielen und trotzdem gewinnen"

„Ich muss jetzt mal ein paar Tage Pause machen. Aber mit einem Sieg geht das leichter“, schnauft Marcel Koller.

Nicht dass den Teamchef plötzlich der Arbeitseifer verlassen hätte, vielmehr plagen ihn seit drei Tagen Fieberschübe, weshalb eine kurze Auszeit ratsam ist.

Zeit, sich intensive Gedanken über den 3:1-Erfolg gegen Finnland zu machen – der erste Sieg im zweiten Match unter der Anleitung des Schweizers.

Am Tag nach der Begegnung im Klagenfurter EM-Stadion nahm sich Koller ausführlich Zeit, um über diverse Themen rund um die Begegnung zu sprechen:

TEAMCHEF MARCEL KOLLER…

…DARÜBER, WIE WICHTIG DER SIEG FÜR IHN PERSÖNLICH IST:

Siege sind immer wichtig. Wenn du Klubtrainer bist, hast du nach einer Niederlage eine Woche und kannst wieder gewinnen. Als Teamchef hast du vier Monate. Die positive Stimmung ist wichtig, mit Siegen kannst du anders arbeiten, hast Selbstvertrauen. Das wollen wir mitnehmen.

…ÜBER DIE KRITIK AN DER LEISTUNG:

Wir dürfen jetzt nicht nur das Negative sehen. Ich habe vor dem Spiel über Klagenfurt gelesen, da stand ja alles nur negativ: Schlechte Bilanz hier, nur Jimmy Hoffer hätte hier Tore geschossen, hier können wir gar nicht gewinnen, aber: Wir haben 3:1 gewonnen. Es wäre gut, wenn wir das in den Vordergrund stellen. Wir haben nicht das perfekte Spiel gezeigt, aber ich habe in den letzten Wochen immer wieder gesagt: Es ist mir lieber, wenn wir schlechter spielen, aber trotzdem gewinnen. Denn durch Siege kriegst du Selbstvertrauen und Sicherheit, das ist wichtig.

…ÜBER DIE ERKENNTNISSE DIESES SPIELS:

Es war gut, auch mal andere Spieler zu sehen. Suttner hat auf der linken Seite sein erstes Länderspiel absolviert. Auf mich hat er nicht den Eindruck gemacht, als wäre er nervös. Er hat routiniert gewirkt, hat so gespielt, wie ich ihn bei der Austria gesehen habe. Junuzovic hat in der halben Stunde, in der er reingekommen ist, noch etwas bewegt, hat ein paar Aktionen nach vorne gehabt. Da haben wir auch so gespielt, wie wir uns das vorgestellt haben, dass man gegen die Finnen spielen muss. Burgstaller hat zwar nur zehn Minuten gespielt, sich in dieser Zeit aber präsentiert. Er hat gezeigt, dass sein Spiel, wie ich es bei Rapid gesehen habe, auch für das Nationalteam gut ist. Wir können einen Spieler gebrauchen, der viel unterwegs ist, auch die Tiefe sucht, der bereit ist, als Stürmer defensiv zu arbeiten. Das sind Dinge, die wir natürlich auch weiter beobachten werden, ob sie das in den Vereinen bis zum Sommer auch weiter umsetzen.

…ÜBER DIE ANALYSE DER SPIELANLAGE:

Das ist noch ein bisschen zu früh, weil ich das Spiel natürlich noch genauer analysieren möchte, dazu brauche ich ein bisschen Zeit. Was man macht, ist ja immer auch vom Gegner abhängig. Schlussendlich hängt alles von der Genauigkeit ab wie der Passgenauigkeit oder anderen Kleinigkeiten: Wenn du einen Ball gut annimmst, kannst du vielleicht gleich einen Pass nach vorne spielen, wenn dir der Ball verspringt, musst du wieder zurück spielen. Wenn die Konzentration passt, läuft es im Fluss, wenn nicht, holpert es ein bisschen.

…ÜBER DAS RICHTIGE VERHALTEN DER MANNSCHAFT NACH DEM SCHWACHEN BEGINN:

Es gibt einfach auch so Spiele. Wenn man länger mit dabei ist, weiß man das. Da kann man nicht mit der Brechstange dazwischen gehen, sondern man muss es so annehmen. Wir haben dann trotzdem versucht, zu spielen und die Ruhe zu bewahren, wir sind nicht hektisch geworden. Natürlich hat in der einen oder anderen Situation die Präzision gefehlt. Aber defensiv haben wir nicht viel zugelassen. Offensiv hatten wir sicher noch bessere Möglichkeiten, weitere Tore zu erzielen.

…ÜBER DAS DEFENSIVVERHALTEN UND SEINEN ÄRGER ÜBER DAS GEGENTOR:

Als Trainer habe ich schon das eine oder andere gesehen, was ich ansprechen muss. Aber die Vier hinten haben nichts Großes anbrennen lassen. Das Gegentor war sicher unnötig, da haben wir darum gebettelt, das noch zu kriegen. Diese Konsequenz müssen wir bis zum Schluss haben. Auch beim Stand von 3:0 muss es das Ziel sein, die Null zu halten – und zwar nicht nur das Ziel des Torhüters, der eh nie ein Tor bekommen will, sondern es muss das Ziel von allen sein. Dementsprechend muss man bis zum Abpfiff voll dagegen halten.

…DARÜBER, WAS DEN AUSSCHLAG FÜR SCHIEMER UND GEGEN MARGREITTER GAB:

Fränky Schiemer ist einer, der schon auf dieser Position gespielt hat. Georg Margreitter war das erste Mal mit dabei, ist noch jung, von daher war es die Erfahrung. Wenn ich einen anderen gebracht hätte, wären es vier neue Verteidiger gewesen, deswegen habe ich die Möglichkeit genutzt, Schiemer dazu zu nehmen. Weil der Sieg wichtig war und mir das auch bewusst war, habe ich eher auf die Routine gesetzt.

…ÜBER DAS EINSTUDIERTE ZWEITE TOR:

Wir haben zwar nur kurze Zeit gehabt, aber in den Einheiten versucht, das taktische Element dazu zu nehmen, dass wir Läufe in die Tiefe provozieren, wenn die Finnen hoch stehen und den Ball dann auch dementsprechend so spielen.  In der ersten Halbzeit haben wir die Bälle immer zu kurz gespielt, sodass die Finnen klären konnten. In der Pause haben wir das angesprochen. Das Tor war hervorragend heraus gespielt – auf der einen Seite der Lauf von Harnik, aber auch der perfekte Pass von Baumgartlinger. Wir haben das umgesetzt, was wir im Training geübt haben. Das zeigt, dass die Jungs auch in sehr kurzer Zeit das eine oder andere annehmen.

…DARÜBER, OB ER SCHON ANDERE SPIELER ERLEBT HAT, DIE MIT 19 SO WEIT WAREN WIE ALABA:

Das habe ich schon erlebt, dass ein 19-Jähriger so präsent ist. Das war mit Lukas Podolski in Köln, als ich ihn von der A-Jugend hochgenommen habe. Damals hatte ich ihn auf einem viertägigen Kurzlehrgang mit dabei, er hat alles eins zu eins umgesetzt – seine Power, seine Überzeugung. Nach diesem Kurzlehrgang musste ich sagen: „Junge, du musst bei uns bleiben, weil du über kurz oder lang in der Startelf spielen wirst.“

Wir freuen uns natürlich, dass David so ein hervorragender Spieler ist, und dass er das auch umsetzt. Bei Bayern spielt er eher ein bisschen defensiver, er hat aber auch Qualitäten nach vorne. Ich habe ihm gesagt: „Ich will, dass du auch in den Sechzehner reingehst, dass du versuchst, nach vorne aktiv zu sein, dass du das Spiel ankurbelst.“ In der einen oder anderen Szene war er vielleicht ein bisschen überdreht, einen Abschluss hatte er letztendlich nicht. Das sind aber Dinge, die kommen werden. Für mich ist wichtig, dass ihm bewusst ist, dass er auch in den Abschluss gehen muss, dass er nicht nur versucht, von hinten das Spiel zu lenken, sondern dass er auch Aktionen nach vorne setzt.

…ÜBER DIE EMOTIONALE REAKTION VON ARNAUTOVIC NACH SEINER AUSWECHSLUNG:

Wir spielen Fußball. Von daher finde ich es auch gut, wenn Spieler emotional sind, wenn sie am Platz emotional sind, wenn sie andere mitreißen. Ich denke, man muss auch nicht alles auf die Waagschale legen.

…DARÜBER, WARUM DAS PRESSING DIESMAL NICHT SO GUT FUNKTIONIERTE:

Vor der Ukraine hatten wir sechs Trainingseinheiten, in denen wir intensiv trainieren konnten. Jetzt konnten wir das gar nie trainieren, weil wir auch auf die Regeneration der Spieler achten mussten, der eine oder andere verletzt war. Das sind Dinge, die man am Platz üben muss, damit sie in Fleisch und Blut übergehen.

…DARÜBER, OB DIE ELFMETERSCHÜTZEN BESTIMMT WAREN:

Es waren drei Elfmeterschützen benannt. Ivanschitz, der den Ball genommen hat, war der erste, und hat das gut gemacht. Alaba war auch dabei. Es gab keine Diskussion, die beiden haben sich abgesprochen. Ivanschitz war überzeugt und hat den Ball genommen. (Der dritte potenzielle Elfmeterschütze war Marko Arnautovic; Anm.d.Red.)

…ÜBER DAS GEDANKENSPIEL, IVANSCHITZ ALS ZEHNER ZU BRINGEN:

Ich weiß, dass er diese Position spielen kann und sie auch bei Mainz ab und zu gespielt hat. Das sind Überlegungen, die man mit dazu nimmt. Das kann ja auch einmal aus dem Spiel kommen, das man sagt, wir ändern die Position, nehmen den einen nach innen und stellen den anderen nach außen. Für mich als Trainer ist es gut, wenn ich weiß, Spieler können verschiedene Positionen spielen.

…ÜBER DIE LEISTUNG VON MARTIN HARNIK:

Ich habe Harnik gut gesehen. Was wir im Training geübt haben mit den Läufen in die Tiefe, hat er in der ersten Halbzeit am besten gemacht. Eine klare Steigerung gegenüber dem Ukraine-Spiel.

…DARÜBER, WIE VIEL AUF DEN GEWÜNSCHTEN 30-MANN-KADER FEHLT:

Da hat das Spiel sicher Erkenntnisse geliefert. Aber es ist ja auch so, dass das nicht auf genau 30 fixiert werden soll, sondern dass wir einen Stamm haben, wo wir ins in den vergangenen Monaten ein Bild machen konnten. Dass irgendwo ein Stern aufgeht, sodass wir sagen können, es kommen zwei oder drei dazu, die wir noch gar nie gesehen haben, und helfen uns extrem weiter, ist eher unwahrscheinlich.

…DARÜBER WAS NOCH FEHLT, UM GEGEN GROSSE GEGNER ZU BESTEHEN:

Auf der einen Seite natürlich schon auch das Selbstvertrauen. Wenn wir in den ersten 20 Minuten gegen einen Gegner aus den Top 10 gespielt hätten, wären wir wahrscheinlich in Rückstand geraten. Das ist natürlich auch eine Erkenntnis. Wenn man in so ein Spiel geht, vielleicht ein bisschen unsicher ist, bestraft das eine Top-Mannschaft. Auf der anderen Seite müssen die Spieler dementsprechend reagieren, wenn es nicht so läuft oder wir durch die kurze Zeit nicht alles besprechen konnten, wie: Wenn die Finnen so oder so spielen, müssen wir das und das entgegenhalten. Dafür sind wir aber noch viel zu kurz zusammen. Im Oktober habe ich angefangen, das sind fünf Monate, aber wirklich zusammen waren wir davon nur eineinhalb Wochen.

…ÜBER SEINE PLÄNE, GEGEN STARKE GEGNER ZU TESTEN, UND OB DIESE EINE EUPHORIE BREMSEN KÖNNTEN:

Es bringt ja nichts, wenn wir Euphorie haben, aber nicht gefordert werden. Wenn es gegen wirklich Große geht, ist es etwas anderes. Positive Euphorie im Umfeld wäre gut, dass die Leute zum Nationalteam stehen, dass sie die Spieler unterstützen und auch in Kauf nehmen, dass einer mal schlechter spielt und ihn nicht gleich auspfeifen. Man kann ihm auch Vertrauen geben und sagen: „Okay, er kann auch einmal schlechter spielen, er ist trotzdem ein Spieler von uns, wir glauben an ihn.“ Gegen stärkere Teams werden wir mehr gefordert und können dementsprechend auch sehen, wo die Schwachstellen bei uns sind.

…ÜBER DIE WEITERE PLANUNG:

Jetzt geht es wieder ans Beobachten der Spieler im Ausland und in der österreichischen Bundesliga. Wir werden uns sicher auch im Trainer-Team zusammensetzen und den Kurzlehrgang analysieren, um dann die Spiele im Juni gut vorzubereiten.

Aufgezeichnet von Peter Altmann

…ÜBER DIE PFIFFE GEGEN ARNAUTOVIC:

Wenn man als Spieler ausgepfiffen wird, ist es natürlich nicht angenehm. Das muss man verkraften. Ich habe nur gehört, dass er sein Spiel so eingeschätzt hat, dass es nicht gut war, und das ist eine gute Erkenntnis (siehe LAOLA1-Story). Ich denke, das muss sich alles erst finden: Wir müssen erfolgreich sein, dass die Fans auch hinter uns stehen.

…ÜBER SEINE GEDANKEN IN DER SCHWACHEN ERSTEN HALBEN STUNDE:

Ich bin lange genug im Geschäft und weiß, dass das vorkommen kann. Da muss man die Ruhe bewahren und auch die Überzeugung, dass die Jungs das umsetzen können. Es ist auch völlig normal, dass es Situationen gibt, wo man nicht alles umsetzen kann, was man sich vorgenommen hat und ein bisschen warten muss. Genau so war es dann ja auch. Wir haben das Tor erzielt.

…ÜBER DEN KURIOSEN FÜHRUNGSTREFFER DURCH MARC JANKO:

Es ist ja auch unser Ziel, Druck auf den Torhüter auszuüben, wir sagen das ja auch. Dass er den Fehler macht, war gut für uns, aber wir können das beeinflussen, weil wir aktiv sind. Durch das Tor sind wir ein bisschen sicherer geworden.