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"Brasilien war ein bisschen überrascht von uns"

„Ich bin richtig stolz auf dieses Team!“, lobte Marcel Koller nach der 1:2-Niederlage Österreichs gegen Brasilien.

Bevor Missverständnisse aufkommen: Der ÖFB-Teamchef meinte natürlich nicht das Ergebnis, sondern wie gekonnt seine Schützlinge seine Vorgaben umgesetzt hatten, obwohl vor dem Fußball-Fest im Happel-Stadion nur Zeit für ein taktisches Training blieb.

„Aber die Spieler haben uns als Trainerteam gezeigt, dass sie in kurzer Zeit etwas aufnehmen und auch gegen ein Top-Team Fußball spielen können“, freute sich der Schweizer.

Der 54-Jährige arbeitete als Marschroute aus, den fünffachen Weltmeister früh zu attackieren. Eine Herangehensweise, die Wirkung zeigte.

„Jeder hat geglaubt, dass die kommen und über uns drüberfahren“

„Ich glaube, sie waren ein bisschen überrascht von uns“, erkannte Zlatko Junuzovic, „wenn du eins gegen eins gegen einen Neymar oder Willian bist, ist es schwierig mitzukommen. Wir haben aber als Mannschaft gut attackiert, uns etwas zugetraut und vorne zugestellt. Wir haben Videos von ihren Spielen gegen Japan und die Türkei gesehen. Da waren die Gegner sehr passiv, haben sich nur hinten reinfallen lassen. Wir sind anders aufgetreten.“

Und zwar so aufgetreten, dass nach Spielschluss einer jener seltenen Fälle eintrat, dass man angesichts der Leistung auch mit einer Niederlage leben konnte, vor allem da es in diesem freundschaftlichen Kräftemessen nicht um Pflichtspiel-Punkte ging.

Wobei es die ÖFB-Kicker durchaus wurmte, nicht zumindest ein Remis mitgenommen zu haben. „Wir haben uns nicht versteckt und wollten natürlich unseren Sieg“, bekannte etwa Marko Arnautovic, „jeder in Österreich hat geglaubt, dass die kommen und über uns drüberfahren, aber so ist es auch wieder nicht. Wir haben gut dagegengehalten und hatten auch unsere Chancen. Das 1:1 war verdient. Dass wir 1:2 verlieren, war unverdient.“

Für den Stoke-Legionär war es ein „wunderschöner Sonntagsschuss“, der am Ende die Partie zu Gunsten der Südamerikaner entschied. Hoffenheim-Legionär Roberto Firmino knallte den Ball in Minute 83 unhaltbar für Goalie Ramazan Özcan genau ins Kreuzeck.

„Es gab einige Anzeichen, dass die Brasilianer nicht so gut gelaunt waren“

Ein Traumtor, das die Serie von Brasiliens Neo-Teamchef Dunga, der damit auch das sechste Spiel seit seinem Amtsantritt gewann, rettete, und gleichzeitig Österreichs Erfolgslauf beendete und die erste Niederlage in diesem Länderspiel-Jahr bedeutete.

Dennoch konnte Rot-Weiß-Rot aus dieser Begegnung einiges mitnehmen. Vor allem die Gewissheit, dass man mittlerweile ein Level erreicht hat, mit dem man auch einen mit Top-Stars gespickten Kontrahenten fordern kann.

„Solche Spiele sind auch dafür da, zu sehen, wo du stehst. Einen besseren Gegner als Brasilien gibt es dafür nicht“, verdeutlichte Junuzovic, „das war vom Gegner her das vielleicht höchste Niveau, das du momentan auf Nationalmannschafts-Ebene bekommen kannst, und wir haben uns gut präsentiert. Das gibt sehr viel Selbstvertrauen für das nächste Jahr.“

Martin Harnik meinte: „Wir haben uns teuer verkauft. Es gab einige Anzeichen bei den Brasilianern, dass sie nicht so gut gelaunt waren. Gerade in der ersten Halbzeit sind sie hart eingestiegen. Wir haben uns definitiv sehr gut angestellt, gerade unsere Innenverteidiger haben es wieder sehr gut gemacht. Wir haben taktisch sehr gut zusammengearbeitet und uns noch mal ein bisschen Respekt verdient.“

Wirksames Rezept gegen Neymar

Vor dem Match wurde sehr viel über Superstar Neymar gesprochen. Im Spiel deutete er zwar durchaus in einigen Momenten seine Klasse an, im Großen und Ganzen wurde er von der ÖFB-Elf jedoch gut neutralisiert.

 



Ob sich der Stoke-Legionär als Punktsieger gegen Neymar fühlte? „Das kann man nicht sagen. Ich vergleiche mich nicht mit anderen Spielern. Er hat seine Qualitäten, ich habe meine. Er ist natürlich herausragend, ich wünsche ihm viel Glück für seine Karriere, er kann noch viel erreichen.“

Arnautovic spürte jedoch zumindest, dass Dunga auf seine Darbietung reagierte: „Brasilien ist eine der weltbesten Mannschaften. Man weiß, welche Spieler einem gegenüberstehen und versucht sich mit ihnen zu messen, in meinem Fall mit dem Rechtsverteidiger. Das hat ganz gut geklappt und Spaß gemacht. In der ersten Hälfte stand er nicht so nah bei mir, in der zweiten hat ihm der Trainer wohl gesagt, dass er an mir kleben soll.“

„Ich habe ihn reingemacht, Marko hätte ihn auch reingemacht“

Der 25-Jährige stand auch in einer anderen Szene im Blickpunkt - nämlich beim Elfmeter, als es zuerst so aussah, als wolle er antreten, den Ball jedoch schließlich an Dragovic abgab.

„Er hat mir ein Lied gesungen“, scherzte der Kiew-Legionär über die Unterhaltung der beiden vor dem Strafstoß, „Marko hat sich auch gut gefühlt. Ich habe ihn reingemacht, Marko hätte ihn auch reingemacht. Im Endeffekt ist es egal, wer die Tore schießt.“

 



Wobei der erste ÖFB-Treffer für den Innenverteidiger naturgemäß einen speziellen Stellenwert hatte: „So viele Tore mache ich ja nicht, es war mein erstes in 35 Länderspielen. Sicher war es schön, aber mir wäre lieber gewesen, wenn wir nicht verloren hätten.“

Koller klärte die Situation wiefolgt auf: „Vor dem Spiel habe ich auf meine Liste zwei Spieler geschrieben: Zlatko Junuzovic und Aleksandar Dragovic. Einer von denen sollte den Elfmeter schießen, je nachdem wer sich besser fühlt. Junuzovic war nicht mehr am Platz, also war es Dragovic. Ich musste dann intervenieren und Dragovic, der ein hervorragendes Spiel gemacht hat, hat ihn verwandelt.“

Koller-Kritik am Referee

Dass dies der Ausgleich zum 1:1 war, lag an einem Blackout des schottischen Referees Collum. Denn dem Führungstreffer von David Luiz in Minute 64 war ein klares Foul des Innenverteidigers an Stefan Ilsanker vorausgegangen.

„Jeder hat das Foul gesehen, ich habe es gespürt – nur einer hat es leider nicht gesehen, das war der Schiedsrichter. Das ist natürlich sehr enttäuschend“, ärgerte sich der Salzburg-Spieler, der jedoch auch vor der Cleverness des PSG-Stars den Hut zog:

„David Luiz arbeitet mit allen Tricks und allen Mitteln. Er ist ein Weltklasse-Verteidiger, mit allen Wassern gewaschen. Aber der Schiri muss einfach sehen, dass er mich zurückzieht, er hat mir das Leiberl einen halben Meter weggezogen. Das Tor darf man auf keinen Fall geben.“

Der Schiedsrichter erwischte grundsätzlich nicht seinen besten Tag. Er ließ eine relativ harte Gangart zu, was Koller verärgerte: „Ich war nicht überrascht von den vielen Fouls, aber verwundert, dass der Schiedsrichter keine Gelben Karten ausgeteilt hat. Wenn beim Gegenspieler eine Verletzung auftritt, ist das aus meiner Sicht eher eine Gelbe Karte, als ein Handspiel oder wenn man einmal mit dem Schiedsrichter diskutiert. Ich habe ihn nach dem Spiel gefragt, ob er die Karten zu Hause gelassen hat.“

„Was uns gefehlt hat, waren die Aktionen im vorderen Drittel“

In der Tat blieb die Verwarnung für Okotie, der in der Anfangsphase den Ball mit beiden Händen ins Tor bugsierte, die einzige im ganzen Spiel. Eine Szene, die beim Matchwinner der Spiele gegen Montenegro und Russland für Schmunzeln sorgte.

In Erinnerung blieben vor allem sein provokanter Abgang bei der Auswechslung (Koller sauer: „Neymar geht gefühlte fünf Minuten raus, ohne dass etwas passiert. Das ist unglaublich. Das ist, als wenn es fast eine Majestätsbeleidigung wäre, ihm eine Gelbe Karte zu geben“) und sein Beinahe-Autogramm  für einen Flitzer.

„Wichtig ist, dass du Eins-gegen-Eins-Situationen vermeidest. Denn dann stehst du ziemlich chancenlos da. Wir haben das über weite Strecken gut gemacht, indem wir ihn gedoppelt haben“, nannte Martin Hinteregger das Erfolgsrezept gegen den Barcelona-Star.

Sein Nebenmann Aleksandar Dragovic wiederum gab sich diesbezüglich nach dem Schlusspfiff eher unbeeindruckt: „Wie gegen jeden anderen auch. Er ist natürlich ein Ausnahme-Talent, aber er hat dennoch nur zwei Beine und kocht mit Wasser.“

Arnautovic vs. Neymar

Neymar selbst verteilte artig Komplimente: „Ich bin sehr glücklich mit dem Ergebnis. Österreich hat eine starke Mannschaft, sie haben sehr gut verteidigt.“

Mit Arnautovic war es dem Ausnahmekönner im ÖFB-Dress regelrecht anzumerken, dass er ähnliche Glanzlichter wie der Weltstar setzen wollte. „Marko war extramotiviert, er wollte zeigen, was er drauf hat“, stellte Christian Fuchs fest.

„Man kann sagen, die Hand Gottes“, lachte der Stürmer, „ich bin komisch hochgesprungen, hatte beide Hände in der Luft und habe dann einen Stoß bekommen und es noch probiert. Es wäre schlimm gewesen, wenn das Tor gezählt hätte.“

Abseits dieser Szene hing Okotie eher in der Luft. Die meiste Selbstkritik übten die ÖFB-Kicker bezüglich ihrer Bemühungen im Spiel nach vorne, was angesichts des Gegners wiederum für ihr derzeitiges Selbstvertrauen spricht.

„Was uns gefehlt hat, waren die Aktionen im vorderen Drittel. Um das Publikum noch mehr hinter uns zu bringen, war es ein bisschen zu wenig. Aber wir haben natürlich gegen eine Weltklasse-Mannschaft gespielt, haben uns daher erst mal auf eine sichere Defensive konzentriert“, betonte Harnik.

Auch Junuzovic fand: „Wir hätten ab und zu die Räume besser ausnutzen können, denn die waren da.“

„Gegen Deutschland haben wir verloren und alle haben gejubelt“

Eindruck beim Gegner habe man laut Meinung des Werder-Legionärs dennoch hinterlassen: „Es spricht für uns, dass Brasilien die letzten sieben, acht Minuten nur geschaut hat, den Ball aus der Gefahrenzone zu bekommen und auf Zeit zu spielen. Das ist eine Art und Weise des Respekts, wenn du etwas Angst hast und nur schaust, das Ergebnis zu verwalten.“

Ein Ergebnis, das die ÖFB-Spieler bei aller Freude über den positiven Auftritt nicht zufriedenstellte. „Eine Niederlage ist eine Niederlage. Wir wollen nie verlieren“, erklärte Arnautovic.

Gewissermaßen auch ein kleiner Fortschritt, wenn sich Fußball-Österreich nach guter Performance über eine Pleite gegen ein Top-Team ärgert.

Denn Koller sind die Reaktionen auf das 1:2 gegen Deutschland im September 2012 (vor Brasilien die letzte Niederlage im Happel-Stadion) noch in allzu guter Erinnerung. Die missfielen ihm nämlich gewaltig:

„Wenn wir die Zeit ein bisschen zurückdrehen und an das WM-Quali-Spiel gegen Deutschland denken, da haben wir verloren und alle haben gejubelt. Das habe ich damals nicht verstanden, weil wir verloren haben. Ich habe mich gefragt: Wie kann das sein?“


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