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„In der Ukraine gibt es im Fußball keine Krise“

„In der Ukraine gibt es im Fußball keine Krise“

"Auf alle Fälle!"

Auf die Frage, ob die EURO 2012 für die ukrainische Liga nachhaltigen Wert hat, kennt Markus Berger eine klare Antwort.

Vor dem Halbfinale Spanien-Portugal hat der ÖFB-Legionär für LAOLA1 das Duell der beiden iberischen Klubs und das Großereignis in seiner neuen fußballerischen Heimat analysiert.

Nun ist er selbst an der Reihe. Über sein erstes halbes Jahr am Schwarzen Meer, das härteste Training seines Lebens und die ambitionierten Ziele seines Präsidenten spricht er ebenso wie über Ex-Trainer Andre Villas-Boas und das ewige Thema Nationalteam.

 

LAOLA1: Du hast vier Jahre in Portugal verbracht. Mit der Distanz von über einem halben Jahr betrachtet: im Nachhinein eine schöne Zeit?

Berger: Zweifellos. Anfangs war es für mich schon schwierig. Die ersten eineinhalb Jahre bedeuteten eine Umstellung für mich, da es ein extrem technischer und schneller Fußball ist. Alle Mannschaften suchen schnell den Abschluss. Da habe ich etwas Zeit gebraucht, bis ich mich eingefügt habe. Aber die letzten zweieinhalb Jahre war ich Stammspieler, zuletzt auch Kapitän, und habe immer meine Leistung gebracht. Ich bin stolz, dass ich mich in so einem Land durchgesetzt habe. Ich hoffe, dass es mir in der Ukraine bei Chernomorets auch in Zukunft weiterhin gut gehen wird. Aber ich blicke natürlich gerne auf Portugal zurück.

LAOLA1: Du hast den Schritt gemacht, weg von einem mediterranen, fußballverrückten Land, hin in die als karg und kalt verschriene Ukraine. Warum?

Berger: Ich habe mir diesen Schritt schon sehr gut überlegt. Chernomorets wollte mich schon vergangenen Sommer, als Andre Villas-Boas noch bei Academica Coimbra Trainer war, verpflichten. Das ist aber gescheitert, weil man sich nicht auf die Ablösesumme einigen konnte. Im Winter wurde das Thema erneut aufgegriffen. Ich bin dann nach Odessa geflogen, um mir alles anzuschauen und war eben von den Rahmenbedingungen, von der Akademie, vom neuen Stadion extrem begeistert. Sie haben hohe Ziele. Es ist kein Verein, der um den Klassenerhalt spielen will, sondern sie wollen in die Europa League. Ich indes wollte zu einem Klub, bei dem ich mich verbessern kann. Auf die Ukraine schauen wenige, das ist mir klar, aber ich bin überzeugt davon, dass sich in der Ukraine und in Russland in den nächsten Jahren wesentlich mehr tun wird als in West-Europa. In Europa herrscht eine Krise, das wissen alle. Und ich sage es einmal so: Im Fußball gibt es in der Ukraine und in Russland keine Krise.

LAOLA1: Das heißt, wir hätten einen weiteren krassen Gegensatz zwischen der Ukraine und Portugal, wo von zahlreichen offene Gehältern und sogar Stadionverkäufen die Rede ist.

Berger im Duell mit Kapfenbergs Elsneg im vergangenen Jänner

LAOLA1: Von den einheimischen Spielern gibt es ebenso den Wunsch der Integration?

Berger: Selbstverständlich. Es ist nicht so, dass die Ukrainer auf der einen und die Spanier und Portugiesen auf der anderen Seite sitzen. Ich bin herzlich aufgenommen und es herrscht eine super Stimmung in der Mannschaft.

LAOLA1: Dein Trainer Roman Hryhorchuk gilt als akribischer Arbeiter. Kannst du uns den Trainingsablauf in der Ukraine etwas beschreiben?

Berger: Es ist extrem streng und hart. Ich bin so gut trainiert wie nie zuvor. Das gefällt mir natürlich. Harte Trainings und eine harte Vorbereitung sagen mir zu. Oft gehen wir eine Stunde in die Kraftkammer, bevor wir dann ein, zwei Stunden auf den Platz gehen. Das ist schon heavy, hilft einem aber einfach weiter. In der Meisterschaft spürt man dann den längeren Atem.

LAOLA1: Wie würdest du deinen aktuellen Trainer, der relativ unbekannt ist, mit deinem ehemaligen Coach, Andre Villas-Boas, einer der prominentesten, vergleichen?

Berger: Ein Vergleich ist immer schwierig zu ziehen. Villas-Boas hat mich einfach beeindruckt. Unsere Trainings waren immer spezifisch auf den kommenden Gegner eingestellt. Wir haben genau gewusst, wie sie ihr Spiel machen werden und genau so ist es gekommen. Villas-Boas hat uns auf einem Abstiegsplatz übernommen und ins gesicherte Mittelfeld geführt. Was er unter Mourinho bei Chelsea und Inter gelernt hat, hat er bei uns angewandt. Es ist auch unglaublich, was er für einen Teamspirit kreieren kann. Ich bin nur am Schwärmen, weil Villas-Boas der beste Trainer war, den ich je gehabt habe.

LAOLA1: Die Erfolge sind auch sein Verdienst, oder guten Helfern geschuldet?

Berger: Überhaupt nicht. Er macht alles allein. Sogar die Spiele sieht er sich selbst an und zieht sich Einzelszenen heraus. Auch vom taktischen Bereich her ist er einfach nur beeindruckend. Er weiß ganz genau, wann er wen einwechseln muss, kann die Spieler irrsinnig gut einschätzen. Ich habe so viel von ihm gelernt und kann mich dafür immer nur bedanken.

LAOLA1: Dennoch ist er bei Chelsea radikal gescheitert. Kennst du die Gründe, warum?

Berger: Das ist richtig. Die Präsidenten der ukrainischen Klubs investieren viel Geld, kaufen Spieler für teilweise sechs, sieben Millionen Euro. Das sind Summen, die für eine Top-Qualität der Spieler sprechen. Das kann der Liga nur gut tun. Ich werde nicht lügen: Das Finanzielle spielte auch für meine Entscheidung eine Rolle. Das Ziel, Europa League zu spielen, ist für mich aber vordergründig. Das konnte ich bei Academica nicht, weil wir stets nur gegen den Abstieg gespielt haben. Man sieht es auch an den Spielern, die wir jetzt verpflichtet haben, wie Sito Riera oder Artur, einem Top-Spieler, der über Jahre bei Beira Mar in Portugal seine Tore gemacht hat, oder Tiago Terroso. Das sind Spieler, die uns weiterbringen, und von denen sich der Verein auch einiges erhofft. Ich hoffe, dass wir diese Saison anpacken und etwas erreichen.

LAOLA1: Das heißt, Platz fünf und die angestrebte Europa-League-Qualifikation sind heuer schon ein Ziel?

Berger: Der Trainer hat ausgegeben, entweder über den Cup oder über die Meisterschaft in die Europa League zu kommen. Ich sage, es wird nicht einfach. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir eine Rolle in der Liga spielen werden, wenn jeder Spieler seine Leistung bringt.

LAOLA1: In deinem ersten halben Jahr habt ihr in Odessa meist mit einem 4-2-3-1-System operiert. Wie legt der Trainer diese Spielweise aus? Wie sehr versucht er, das auch in den Trainings zu vermitteln?

Berger: Wir sind sehr variabel. Unser Trainer ist ein irrsinniger Taktik-Fuchs, der extrem viel von einem verlangt. Ich hatte noch nie einen Trainer, der so viel von den Spielern verlangt. Jeder hat seine eigenen Aufgaben im Schema. Wir haben beispielsweise unterschiedliche Pressing-Variationen mit einem oder mit zwei Stürmern. Es ist alles sehr gut organisiert in der Ukraine, was in Portugal teilweise nicht der Fall war. Bei uns weiß jeder, was er machen und wohin er laufen muss. Für den Trainer ist es sehr wichtig, dass jeder seine Aufgaben erfüllt. Ich wurde von der Professionalität hier in der Ukraine wirklich etwas überrascht.

LAOLA1: Ich habe gelesen, dass der Trainer auch viel einzeln mit dir arbeitet und etwa unterschiedliche Spieleröffnungen mit dir einstudiert.

Berger: Ich habe in Portugal viel dazulernen können, wo jeder Fußball spielen will und du das Spiel von hinten eröffnen musst. Der Trainer war auf der Suche nach genau so einem Spieler und hat mich ein Jahr bei Academica beobachtet. Was ich in Portugal gelernt habe, versuche ich nun eben in der Ukraine anzuwenden. Der Trainer verlangt einiges: viele Diagonalpässe, ins Mittelfeld aufrücken und einen schönen flachen Ball in die Sturmspitze spielen, aus dem Mittelfeld das Spiel eröffnen. Das sind einige Aufgaben für einen Innenverteidiger, die nicht bei jedem Verein gefordert werden.

LAOLA1: Die gute Ausbildung in Portugal, die neue Erfahrung nun in der Ukraine. Da drängt sich zwangsläufig wieder die Frage nach dem Nationalteam auf. Wie stehst du zum Thema?

Neo-Tottenham-Coach Andre Villas-Boas

Berger: Gründe kenne ich nicht. Er wollte seinen Stempel aufdrücken, den Stil umstellen. Das hat man gesehen. Aber ich bin überzeugt, dass das nächste Projekt ein Erfolg wird.

LAOLA1: Stehst du noch im Kontakt mit ihm.

Berger: Ja, ich schreibe ab und zu einmal eine SMS, „Glückwunsch zur Partie!“ oder „Kopf hoch, es geht wieder weiter!“ Ich habe ihn auch zu meiner Hochzeit eingeladen, zu der er leider nicht kommen konnte.

LAOLA1: Das bringt mich auch schon zur letzten Frage: Die Familie ist mit dir jetzt in der Ukraine?

Berger: Ja, meine Frau ist unten und im siebten Monat schwanger. Von dem her kommt ein nächster Innenverteidiger oder Stürmer nach. Schauen wir mal, was kommt. Gabriel wird er heißen und ich bin unendlich glücklich.

LAOLA1: In diesem Sinne: Gratulation und vielen Dank für das Gespräch!


Das Interview führte Christian Eberle

Berger: Für mich ist es immer schwierig darüber zu reden. Seit Jahren fragen mich die Leute danach, weil ich in Portugal – wie ich selbst sagen muss – starke Leistungen gebracht habe. Aber nicht einmal nach guten Spielen gegen Top-Klubs wie Porto, die die Europa League gewonnen haben, Braga, die immerhin im Finale gestanden sind, Sporting oder Benfica Lissabon, nicht einmal dann war ich auch nur ein kleines Thema fürs Nationalteam. Das macht mir schon einige Gedanken. Für mich ist es dennoch das größte Ziel, das ich habe, einmal, wenigstens einmal, für die Nationalmannschaft aufzulaufen. So schnell lasse ich mich nicht unterkriegen. Ich möchte das auf jeden Fall schaffen und dafür werde ich auch alles geben. Ich bin bereit, ich hau mich rein und versuche alles.

LAOLA1: Gab es von deiner Seite aus die Überlegung, von Coimbra in eine Liga, wie etwa die deutsche Bundesliga, zu wechseln, wo du präsenter bist?

Berger: Ja, sicher und ich weiß, dass es extrem schwierig ist. Aber ich habe den Schritt in die Ukraine gewagt und keineswegs bereut. Das möchte ich ausdrücklich sagen. Ich habe mir meine Gedanken gemacht. Das Angebot aus der Ukraine war einfach so gut, Academica wollte das Angebot auch annehmen, deshalb habe ich mich dafür entschieden. Für mich geht es nur nach vorne. Ich möchte mit dem Verein jetzt in der Europa League für Aufsehen sorgen und so dem Teamchef vielleicht eine weitere Option bieten.

LAOLA1: Die inoffizielle Einladung an den Teamchef ist also ausgesprochen?

Berger: (lacht) Auf alle Fälle!

LAOLA1: Du sprichst mittlerweile fließend Portugiesisch. Wie sieht es mit Russisch aus?

Berger: Es ist keine einfache Sprache, aber die Kommandos am Platz muss man ohnehin auf Russisch können. Da haben wir einen Übersetzer, der dir da weiterhilft. Man muss sich in die Mannschaft integrieren. Ich bin keiner, der sich auf die Seite setzt und sagt, ich möchte nichts damit zu tun haben. Ich schaue, dass ich die Sprache lerne und hoffe noch auf einen persönlichen Coach. In den letzten sechs Monaten habe ich nicht viel Zeit gehabt. Ich musste mich extrem fokussieren, um meinen Platz in der Mannschaft zu erobern - was ich auch geschafft habe. Da war der Fußball im Vordergrund.