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Von Scharner zu Deulofeu - Roberto Martinez im Talk

Von Scharner zu Deulofeu - Roberto Martinez im Talk

Ganze elf Jahre war der FC Everton eng mit dem Namen David Moyes verbunden.

Nach dem Wechsel des Schotten zu Manchester United trägt ein neuer Mann die sportliche Verantwortung für den 1878 gegründeten Verein - Roberto Martinez.

Den Beginn der Ära des Katalanen auf der Trainerbank der "Toffees" konnten die Fans in der Generali-Arena am vergangenen Sonntag live miterleben. Das 1:2 gegen die Austria nach wenigen Tagen Vorbereitung wirkt aber nur wie ein misslungener Auftakt, wie Martinez erklärt:

"In punkto Fitness bin ich zufrieden. Es ist wichtig, dass die Spieler langsam wieder auf Touren kommen. Wir haben noch 51 Wochen vor uns."

Glaube an Austrias CL-Chancen

Der "körperlich schon um einiges weitere" Gegner hat aber einen bleibenden Eindruck beim 40-Jährigen hinterlassen: "Die Austria war sehr gut organisiert und verfügt über Spieler, die den Unterschied ausmachen können. Ich glaube, sie können sich in der Qualifikation durchsetzen und hoffe, dass der Verein ein schönes Abenteuer in der Champions League erlebt.“

Dass die Worte des Großbritannien-Veteranen, der als Spieler 1995 auf die Insel wechselte und seit 2007 dort als Trainer arbeitet, Gewicht haben, unterstreicht nicht zuletzt der sensationelle FA-Cup-Triumph mit Wigan Athletic.

Über diese Überraschung, seine Vorliebe für Paul Scharner und die Entwicklung des englischen Fußballs im Allgemeinen spricht der Everton-Coach im exklusiven LAOLA1-Interview:

Keeper Joel und Co. feiern den Erfolgscoach

LAOLA1: Mit etwas Verspätung herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des FA-Cups und zur neuen Aufgabe in Liverpool. Ich glaube, die letzten Wochen waren sehr speziell, oder?

Roberto Martinez: Das ist wohl wahr. Wenn du im Fußball arbeitest, wirst du von vielen Höhen und Tiefen geprägt. Wir haben das in sehr kurzer Zeit erfahren müssen, als wir mit Wigan zum ersten Mal in der Geschichte den FA-Cup geholt haben, aber kurz darauf abgestiegen sind. Etwas, das sich die Jungs nie verdient hätten. Wenig später stehe ich hier mit einer neuen Herausforderung, bei diesem phänomenalen Klub, mit viel Geschichte und Tradition. Und wir sind in einer großartigen Position, um viel zu erreichen. Das ist der Reiz an dieser Challenge: Hart zu arbeiten und ein Team zu bilden, auf das die Fans sehr stolz sein können.

LAOLA1: Wie sehen Ihre Eindrücke nach den ersten Trainingseinheiten mit der Mannschaft aus? Fühlen Sie selbst, dass der Klub auch für Ihre Karriere der nächste Schritt ist?

Martinez: Man muss sich immer vor Augen halten, dass Everton eine große Adresse ist, nicht nur in England, sondern auch in Europa. Und das ist das Aufregende, dieses Flair ist spürbar. Ob im Goodison Park oder auswärts. Aber der größte Anreiz kommt aus der Kabine, wo Spieler versammelt sind, die in den letzten Jahren sehr hart gearbeitet und letztlich Platz sechs erreicht haben. Das war eine unglaubliche Leistung! Sieht man das Talent und die Qualität der Mannschaft, weiß man auch schnell, warum. Die Arbeitseinstellung der Spieler und das Verständnis für die Werte, die sie repräsentieren, sind fantastisch und die perfekte Plattform für eine erfolgreiche Saison.

LAOLA1: Es ist eine neue Aufgabe für Sie, die Sie aber durch Mitnahme Ihres Betreuerstabs - wie einst von Swansea zu Wigan - so vertraut wie möglich gestaltet haben. War das von Beginn an Ihr Gedanke?

Martinez: Man darf nicht vergessen, dass der ehemalige Trainer einen Großteil seines Staffs mit sich genommen hat. Für mich war es daher wichtig, die richtige Balance zu finden. Ich komme hier zu einem Verein, der über die letzten Jahre sehr zielstrebig und erfolgreich gearbeitet hat. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Teilen dieses Teams und die Verknüpfung mit den Vertrauten, die mich seit sechs, sieben Jahren begleiten. Ich versuche, auch hier meine Philosophie zu leben und das funktioniert nur mit einem eingespielten Trainerteam wirklich schnell. Wir alle wissen, wie es im Fußball heutzutage aussieht. Als Trainer bekommst du nicht viel Zeit, die Dinge müssen schnell greifen und deswegen werden wir versuchen, dass die Kommunikation zwischen bisherigem und jetzigem Trainerstab schell passt. Denn nur als Einheit ist Erfolg möglich und exakt das wollen wir auch den Spielern in der Kabine vermitteln.

LAOLA1: Einige dieser Spieler sind Ihnen wohl bekannt, haben Sie doch mit Joel, Arouna Kone und Antolin Alcaraz drei Spieler von Wigan mitgebracht. War das notwendig, um Ihre Vorstellung von Fußball schneller umsetzen zu können?

Martinez: Nicht zwangsläufig. Ich weiß, dass der Kader von Everton stark ist. Trotzdem ist es wichtig, Optionen zu besitzen, um den Konkurrenzkampf zu pushen. Wir haben Kone von Wigan verpflichtet und uns die Situation von Alcaraz angesehen, der vertragslos war, aber wie ich finde einer der stärksten Innenverteidiger der Premier League ist. Wir sind sehr froh über diesen Transfer. Joel ist ein Goalie, den ich wirklich sehr gut kenne. Wir haben Tim Howard als unsere Nummer 1, aber wir brauchen eine schlagkräftige Nummer 2, nachdem Jan Mucha den Klub verlassen hat. Und Joel ist immerhin mit der spanischen U-21 Europameister geworden und es ist uns gelungen, diesen fantastischen Keeper von Atletico Madrid zu holen und dauerhaft zu binden. Darüberhinaus konnten wir mit Gerard Deulofeu ein riesiges Talent an Land zu ziehen, das etwas völlig Neues in die Gruppe bringt. Wir haben also dieses Transferfenster genutzt, um das Team punktuell zu verstärken, die Optionen zu erhöhen. Außerdem haben wir Spieler verpflichtet, deren Charaktere wir kennen, wo wir überzeugt sind, dass sie sich in der Premier League durchsetzen können, das ist oft nicht einfach. Aber ich glaube, wir sind bislang gut aufgestellt.

Deulofeu ist ein Jahr von Barca ausgeliehen
LAOLA1: Sie haben Gerard Deulofeu erwähnt. Macht es Sie stolz, dass er Everton und Sie als Trainer für seine erste Profi-Station gewählt hat und glauben Sie, dass der Schritt nach England die richtige Entscheidung ist?

Martinez:Ja, alle Aspekte von Gerard lassen nicht darauf schließen, dass er erst 19 Jahre alt ist. Gerard ist unglaublich talentiert und immens stark im Eins gegen Eins. Solche Eigenschaften sind bei jedem Klub sehr gefragt. Dass Barcelona und Gerard Everton gewählt haben, ist ein Kompliment für uns und zeigt das Standing dieses Klubs. Und es offenbart, dass Gerard einen guten Weg gewählt hat, um sich selbst als Diamant des spanischen Fußballs richtig weiterzuentwickeln. Wir werden ihm auf jeden Fall Zeit geben, geduldig agieren, um ihm das Vertrauen vom ersten Tag an zu vermitteln - so wie es unsere Fans auch tun.

LAOLA1: Deulofeu steht in der Tradition spanischer und auswärtiger Spieler, zu denen Sie selbst gehörten und die zum englischen Fußball etwas Besonderes beigetragen haben. Wie sehen Sie die Entwicklung im britischen Fußball seit Ihrem Wechsel im Jahr 1995? Ist der Unterschied zwischen kontinentalem und Insel-Fußball bereits kleiner geworden?

Martinez: Paul unterscheidet sich von anderen Spielern. Ich habe mit ihm in zwei unterschiedlichen Perioden gearbeitet und meiner Meinung nach könnte er einer der besten, wenn nicht sogar der beste Innenverteidiger in der Premier League sein. Er ist groß, stark, sehr überlegt im Spielaufbau, entscheidet viele Eins-gegen-Eins-Situationen für sich, und ist eine Gefahr in beiden Strafräumen. Als ich ihn letzte Saison das zweite Mal trainiert habe, war er so fokussiert in seiner Rolle. Und das war auch einer der Hauptgründe, wieso wir den FA-Cup geholt haben. Er hat einfach seine gesamten Attribute, die ich aufgezählt habe, plus seine Leaderqualitäten eingesetzt. Paul Scharner wird für Wigan einfach immer ein spezieller Spieler bleiben. Wir haben trotzdem zwei unterschiedliche "Scharners" gesehen. Den etwas jüngeren Paul Scharner, der auf verschieden Positionen spielen wollte und den älteren Paul Scharner, der voll fokussiert seine Position im Team eingenommen hat, um der Mannschaft zu helfen. Der historische Pokaltitel bestätigt das nur zu gut.

Martinez: Das ist eine Debatte, die man stundenlang führen könnte. Der britische Fußball sollte nie seine Grundzüge verlieren, die hohe Physis, wie das Spiel aufgebaut ist. Das ist einzigartig! Trotzdem ist es wichtig, als Liga immer offen für Neues zu sein, für Entwicklungen im Fußball, neue Spielsysteme. Und wenn man auf die letzten fünf Jahre zurückblickt, ist genau das zu sehen. Und das ist sicherlich auch der Grund, wieso die Liga auf der gesamten Welt derart verfolgt wird. Es gibt so viele Stile in der Premier League. Sehr direkte oder Ballbesitz-orientierte. Mit diesen Kombinationen arbeiten die Coaches. Um also auf die Frage noch einmal zu antworten, ich denke, dass die Liga in den letzten fünf Jahren eine gewaltige Entwicklung zurückgelegt hat, das spiegelt sich einfach wieder. Und wenn man 15, 16 Jahre zurückblickt, merkt man erst, wie sehr sich das Spiel verändert hat. Und das könnte auch das englische Nationalteam positiv beeinflussen. Wenn alle Trainer ihre Ideen in diese Liga einfließen lassen, ohne die Identität des britischen Fußballs zu gefährden, könnte das zu einer perfekten Formel führen, die England wieder einen großen Titel beschert.

LAOLA1: In Gesprächen mit Ihren Spielern betonen selbige immer wieder, dass viel mehr mit dem Ball gearbeitet und mehr gepasst wird. Können wir uns also auf ein Everton freuen, das einen spanisch angehauchten Offensiv-Stil mit hoher Ballbesitzquote zelebriert? Wie lauten Ihre Ziele?

Martinez: Das Ziel ist immer wettbewerbsfähig zu sein. Und das war Everton die letzten Jahren immer, das dürfen wir auch nicht verlieren. Aber wichtig ist, dass wir die Spieler weiterentwickeln, sie perfektionieren, ihnen noch mehr Aspekte des Spiels lehren. Sie arbeiten als Gruppe hart und sind defensiv sehr stark. Aber ich will, dass die Mannschaft es genießt, in Ballbesitz zu sein, das Spiel in der Hand zu haben, athletisch zu sein, Eins-gegen-Eins-Situationen einzugehen, mit oder ohne Ball. Nur so gelingt es uns, auf einen höheren Level zu kommen. Wir müssen uns nach den höchsten Zielen strecken, in welchem Bewerb auch immer, denn das ist der Anspruch, der aus der Geschichte des FC Everton entstammt.

LAOLA1: Als Österreicher müssen wir natürlich diese Frage stellen: Paul Scharner kam im Winter zu Ihnen zu Wigan zurück und war sofort ein Bestandteil Ihrer ersten Elf. Was macht ihn unersetzbar?

LAOLA1: Gab es die Überlegung, auch Scharner zu Everton zu holen?

Martinez: In der Umkleidekabine sind immer verschiedene Typen gefragt. Paul ist auf einem sehr guten Level und seine nächste Herausforderung ist, in Deutschland Erfolg zu haben und sich in Hamburg durchzusetzen. Das ist jetzt sein Ding, seine nächste Aufgabe. Dafür wünsche ich ihm viel Erfolg!



Das Gespräch führten Jakob Faber und Christian Eberle