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"Sollten in Jahren und nicht in Monaten denken"

Es war einer jener Momente, den sich der vielzitierte Drehbuch-Autor nicht besser hätte ausdenken können.

In allerletzter Minute köpfte Sebastian Prödl Werder Bremen Ende März zum wichtigen 2:1-Auswärtssieg in Hannover – im Nachhinein betrachtet ein emotionales Highlight, das sinnbildlich für den erfolgreichen Kampf um den Klassenerhalt steht.

Ein positives Fazit, das jedoch niemanden wirklich zufriedenstellt. Denn wohl fühlen sich die über viele Jahre erfolgsverwöhnten Hanseaten in dieser Tabellenregion naturgemäß nicht. Das Anspruchsdenken ist ein anderes.

Prödl im LAOLA1-Interview über einen Bremer Neustart, der Geduld erfordern wird, seine Beförderung zur Führungskraft und die positiven Eindrücke, die seine Werder-Landsleute hinterlassen.

LAOLA1: Lässt sich deine Saison mit Werder wiefolgt zusammenfassen: Aus Vereinssicht die Pflicht erfüllt und persönlich die Kür drauf gesetzt, weil du absoluter Führungsspieler geworden bist?

Sebastian Prödl: Wir haben unser Saison-Ziel erreicht, aber es gibt keinen Grund zum Feiern deswegen, weil Werder Bremen und der 12. Platz nicht so einfach Hand in Hand gehen. Wir wollen auch kein Lob dafür haben. Wir sind natürlich erleichtert, dass wir den Klassenerhalt problemfrei geschafft haben. Mit meiner persönlichen Leistung bin ich zufrieden, weil ich denke, dass ich die an mich gestellten Anforderungen erfüllt und ein sehr gutes Statement abgegeben habe, was Führungsqualitäten anbelangt.

LAOLA1: Werders Saison glich einer Achterbahnfahrt. Ist es irgendwo nachvollziehbar, dass nach dem Ende einer derart langen Ära wie jener von Thomas Schaaf die Konstanz ein wenig fehlt, weil sich unter dem neuen Coach alles erst einmal einspielen muss?

Prödl: Ja, das ist nachvollziehbar. Diese Saison ist uns ein bisschen leichter gefallen als jene davor, weil wir mit einer anderen Erwartungshaltung hineingegangen sind. Damals waren wir noch der Meinung, wir spielen locker um Europa mit. In dieser Saison war uns von vornherein klar, dass das nicht passieren wird. Wir wussten nach dem Abstiegskampf in der Spielzeit davor, dass es schwierig wird. Es war ein Vorteil gegenüber anderen Mannschaften, dass wir uns von Beginn an darüber bewusst waren, dass es möglich ist, unten hineinzurutschen. Wir haben den Abstiegskampf ganz gut gemeistert beziehungsweise nie zugelassen, dass wir direkt hineingekommen sind. Dass es Ausschläge nach unten gibt, war zu erwarten, aber die haben wir eigentlich ganz schnell wieder ausgebessert. Daher hatten wir nie eine größere Krise.

LAOLA1: Die Gemütslage in den lokalen Medien erscheint derzeit relativ zuversichtlich, weil ihr im Frühjahr konstanter zu eurem Spiel gefunden habt.

Prödl: Wir haben relativ lange gebraucht, um uns sicher zu sein, dass wir ein vernünftiges Spiel an den Tag legen. Da wir wussten, dass es schwer wird, haben wir uns am Anfang ziemlich aufs Kämpfen und das Zerstören des gegnerischen Spiels konzentriert. Das war natürlich nicht so attraktiv, wie wir uns das wünschen. Aber mit der Sicherheit und den Punkten haben wir es im Endeffekt im Saison-Endspurt ganz gut hingekriegt, dass wir auch spielerisch für das nächste Jahr eine gute Basis gelegt haben, was Mut macht. Wir gehen mit einem guten Gefühl in die Sommerpause.

Der Siegtreffer in Hannover als emotionales Highlight

LAOLA1: Der Rückstand, den Werder in den vergangenen Jahren aufgerissen hat, ist nicht so leicht aufzuholen.

Prödl: Dazu kommt, dass der Verein, wie es offen kommuniziert wird, aufs Geld schauen muss. Es ist nicht so wie in den Jahren, wo wir international waren, als groß investiert werden konnte. Wir müssen mit geringeren Mitteln arbeiten. Werder ist zwar sportlich ein sehr großer Verein, aber finanziell ist er immer sehr gesund geführt worden. Wenn die erfolgreichen Jahre ausbleiben, muss man ein bisschen zurückschrauben. Auch von diesem Aspekt her darf man die Erwartungshaltung nicht zu hoch ansetzen.

LAOLA1: Sportchef Thomas Eichin betont jedoch: „Wir können nicht immer nur zusammenstreichen, sonst rattern irgendwann die anderen in Schnellbooten an dem Tanker Werder vorbei.“ Klingt danach, finanziell den Mittelweg zu finden…

Prödl: Genau. Das heißt zu schauen, dass die Mannschaft einen soliden Kader und einen guten Stamm hat, vielleicht auch, wie Thomas Eichin gesagt hat, kreative Transfers machen, wieder einmal einen Lucky Punch setzen. Da ist der Verein gefragt. Ich glaube, dass wir aktuell eine gute Mannschaft haben. Eine Mannschaft, die vor allem charakterlich sehr gut zusammenpasst, sehr starken Teamgeist hat. Das hat man dieses Jahr gesehen, weil wir uns von Rückschlägen sehr schnell erholt haben. Aber es ist förderlich, punktuell gut einzukaufen. Dann kann es weiter langsam und solide nach oben gehen.

LAOLA1: Du gehörst zu besagtem guten Stamm. Wo hast du in dieser Saison den größten Sprung nach vorne gemacht?

Prödl: Der Trainer hat mir am Anfang als Abwehrboss natürlich eine sehr große Aufgabe übertragen und dies auch sehr offensiv in den Medien kommuniziert. Ich bin im Herbst mal kurz auf der Bank gesessen. Das hat mich aber nie irritiert. Denn ich habe diese Rolle als Ganzjahresprojekt gesehen, habe sie angenommen und, ich denke, auch ganz gut ausgefüllt. Es ist immer schwer, über die eigene Leistung zu sprechen, aber ich bin sehr zufrieden mit meiner Saisonleistung.

LAOLA1: In der schwierigen Phase bist du vor allem mit deinem Tor in Hannover zu einer Symbolfigur im Abstiegskampf geworden. Wie unglaublich war dieses Highlight?

Prödl: Hannover war geil! Emotional ist es natürlich hervorragend, in der Schlussminute das Tor gemacht zu haben. Ich habe immer versucht, mich auf die Saison so einzustellen, dass ich wusste: Es wird Abstiegskampf. Kampf bedeutet richtig Gas zu geben, richtig zu fighten. Das habe ich eigentlich immer gemacht. Deswegen ist es schön, dass ein Spiel oder ein Tor das Ganze ein bisschen geprägt hat und die Wahrnehmung darauf gefallen ist. Das tut mir natürlich gut, der Moment war auch schön, aber ich will es nicht auf dieses eine Spiel beschränken. Ich denke, dass die ganze Mannschaft das Jahr über gut gekämpft hat. Ich habe versucht, das vorzuleben, und das ist mir gut gelungen.

LAOLA1: Du hast gefordert, dass Werder einen Wiedererkennungswert haben muss. Welche Spielphilosophie passt deiner Meinung nach zu diesem Kader?

Prödl: Werder hat in der Vergangenheit eine Marke geprägt, mit der sich sehr viele Fans identifizieren konnten. Dieses Jahr haben wir mit dem Klassenerhalt wie gesagt eine Basis geschaffen. Aber um Werder wieder dahin zu führen, wo der Verein einmal war, und zwar ganz oben in der Tabelle, muss natürlich eine Marke geschaffen werden. Das haben uns in den vergangenen Jahren einige Vereine in der Bundesliga vorgemacht. Sei es Borussia Mönchengladbach, das nach einer schwierigen Saison unter Lucien Favre einen tollen Stil kreiert hat. Borussia Dortmund war ganz unten, dann kam Jürgen Klopp und sie haben einen tollen Offensivfußball gestaltet. Diese Vereine hatten auch nicht die finanziellen Möglichkeiten, wie sie beispielsweise Bayern München hat. Das heißt, durch ein gutes Konzept, einen Wiedererkennungswert und eine gute Qualität im Spiel ist doch sehr viel möglich in solch einer starken Liga. Ich denke, das sollte auch unser Anspruch sein.

LAOLA1: Gibt es aus deiner Sicht einen favorisierten Stil?

Prödl: Man muss im Fußball flexibel sein, aber ich glaube, was wir in den letzten Wochen gespielt haben, war schon ordentlich. Wir sind teilweise vorne drauf gegangen, sind hinten gut gestanden und haben versucht, sehr schnelles Umschaltspiel zu spielen. Wir haben Leverkusen richtig gefordert. Auch wenn es im Endeffekt ein 2:5 wurde, glaube ich schon, dass wir auch gegen die Bayern eine respektable Leistung abgeliefert haben. Wir haben Schalke beim 1:1 vor Probleme gestellt. In Hannover und gegen Hoffenheim haben wir gewonnen. Es war also schon eine Spielart, die dem Gegner Respekt eingeflößt hat. Genau so müssen wir auftreten.

LAOLA1: Du hast betont, dass Werder in der Tabelle weiter oben hingehört. Was ist die Perspektive in Bremen? In welchem Zeitraum kann man die oberen Regionen anpeilen?

Prödl: Davon, dass wir dort hingehören, sprechen nicht nur wir Spieler, davon träumen auch die Fans. Auch die Kritiker sehen uns ja weiter oben. Ich glaube nicht, dass es so schnell gehen wird. Ich glaube auch nicht, dass dieses Jahr ein Ausschlag nach unten war. Es kann nächste Saison wieder passieren, dass wir weiter hinten mitspielen werden. Natürlich ist die Hoffnung groß und auch das Ziel, sich nächstes Jahr zu verbessern. Aber man muss sich einfach eingestehen, dass meiner Meinung nach aktuell die Prognose ist, dass wir zwischen 35 und 45 Punkte holen können – so stark sehe ich die Mannschaft, so stark sehe ich den Verein. Nächstes Jahr musst du dich meiner Meinung nach spielerisch verbessern. Aber natürlich musst du die Klasse halten - es bringt nichts, schön zu spielen und abzusteigen, so wie das Nürnberg gemacht hat. Ich denke, dass es noch ein paar Jahre dauert, bis Werder wieder da oben hinkommen kann. Wir würden uns wünschen, dass es nächstes Jahr oder in zwei Jahren so weit ist, aber jetzt heißt es, Stück für Stück weiterarbeiten und keine zu große Erwartungshaltung hier in Bremen zu schüren, damit dann wieder viele enttäuscht sind. Wir haben jetzt ein Fundament, mit dem sollten wir vernünftig umgehen und nicht sagen: Nächstes Jahr muss ein internationaler Wettbewerb her. Das wäre zu früh. Wir müssen sehr gute Arbeit leisten, um dort hinzukommen. Aber ich glaube, wir sollten in Jahren denken und nicht in Monaten.

LAOLA1: Wie gut tat es, dies in einigen Spielen auch als Kapitän vorzuleben?

Prödl: Ich erinnere mich vor allem gerne an das Erlebnis gegen Gladbach zurück, wo zwei Österreicher eingelaufen sind: Also nicht nur ich als Kapitän von Werder Bremen, sondern auch Martin Stranzl bei Gladbach. Das hat mich nicht nur persönlich stolz gemacht, in diesem Moment hat mich auch Nationalstolz erfüllt. Das war ein schönes Gefühl. Es braucht auch keiner erzählen, dass die Schleife hemmt, sondern sie beflügelt einen natürlich.

LAOLA1: Wie gefällt dir der Begriff Urgestein?

Prödl (lacht): Ich weiß, worauf du anspielst. Ich formuliere es einmal so: Ich habe in meiner Karriere schon einige Urgesteine kennengelernt…

LAOLA1: Dein Vertrag läuft bis 2015, früher oder später dürften Gespräche über eine Verlängerung beginnen. Du bist inzwischen bereits sechs Jahre in Bremen – im heutigen Fußball eine lange Zeit. Zählt man kommende Saison dazu, werden es sieben Jahre sein. Eine ganz schöne Wegstrecke, die du in Bremen zurückgelegt hast.

Prödl: Es wird nach der Karriere sicherlich toll sein, daran zurückzudenken, dass man so lange Zeit bei einem großen Verein war. Es macht mich stolz, so lange für so einen großen Verein tätig sein zu dürfen. Ich glaube, das ist schon etwas Besonderes, auch wenn wir heuer gegen den Abstieg gespielt haben und auch nächstes Jahr noch die Gefahr besteht, gegen den Abstieg zu spielen. Aber es ist noch immer die deutsche Bundesliga, es ist noch immer Werder Bremen - der Zweite der ewigen Bundesliga-Tabelle. Ich habe einiges mitgemacht bei diesem Verein, Höhen und Tiefen.

LAOLA1: In Bremen konntest du in den Anfangsjahren CL-Erfahrung sammeln, bist im UEFA-Cup- und im DFB-Pokal-Finale gestanden. Gefilde, in die du vermutlich wieder willst. Andererseits weißt du, was du an Bremen hast. Keine einfachen Überlegungen für die Zukunft, oder?

Prödl: Das sind keine leichten Überlegungen, aber das Gute ist: Ich muss mir darüber jetzt noch keine Gedanken machen. Ich sage ganz offen und ehrlich, es ist nicht so, dass ich derzeit von irgendjemandem ein Angebot vorliegen habe - weder von Werder noch von einem anderen Verein. Deswegen kann ich nur über die Situation sprechen, die sich mir aktuell bietet, und das ist die, dass ich noch ein Jahr Vertrag habe und noch ein Jahr hier bleibe. Dann wird man schauen, was in diesem einen Jahr passiert. Aber aktuell brauche ich mir keine Gedanken zu machen, ob ich bleibe oder ob ich gehe, weil niemand an mich herangetreten ist, um meine Zukunft anders zu gestalten.

LAOLA1: Ebenfalls weiter unter Vertrag stehen in Bremen zwei andere Österreicher. Ein wie du zentraler Bestandteil ist Zlatko Junuzovic inzwischen bei Werder?

Prödl: Zladdi ist ein ganz wichtiger Bestandteil. Wenn er fit ist, spielt er – er ist unumstritten bei Werder. Meiner Meinung nach spielt er eine sehr gute Saison, hat wichtige Tore geschossen, sowohl im Derby gegen den HSV als auch in Braunschweig. Zladdi ist sehr flexibel – im Nationalteam spielt er den Spielmacher, bei Werder im Abstiegskampf ist nicht dieser filigrane Fußball gefragt. Da ist Zladdi sehr anpassungsfähig. Er ist ein sehr intelligenter Spieler, der ganz genau weiß, dass es in solch einer Situation nicht darum geht, technisch traumhaften Fußball zu spielen und die Zuckerpässe rauszuhauen. Die sind natürlich auch erwünscht, aber er spult halt auch einmal einen Kilometer mehr ab in einem Spiel, um viele Löcher zu stopfen, geht in sehr viele Zweikämpfe, ist sehr mannschaftsdienlich unterwegs und sehr variabel einsetzbar. Er ist schwer wegzudenken!

LAOLA1: Eine Beförderung steht indessen Richard Strebinger bevor.

Prödl: Er wird nächstes Jahr Zweier-Torhüter, das wurde so kommuniziert. Meiner Meinung nach hat er sich das absolut verdient, weil er im Training hervorragende Leistungen zeigt. Das ist einer, der den nötigen Respekt, aber auch das nötige Selbstvertrauen mitbringt. Er haut sich rein, sieht das als große Chance. Meiner Meinung nach hat er das Zeug, früher oder später Nummer-1-Torhüter in der deutschen Bundesliga zu werden. Deswegen ist der Schritt von Werder, so einem jungen Torhüter die Nummer zwei zu geben, absolut richtig und hat nichts damit zu tun, dass der Verein einsparen muss, sondern damit, dass er sich mit Leistung diesen Platz verdient hat.

Das Gespräch führte Peter Altmann