news

"Die Abwehr ist jetzt noch mehr gefragt als früher"

In Tagen wie diesen wird viel über das Standing des österreichischen Fußballs in Deutschland gesprochen.

Haben die zahlreichen Legionäre den Stellenwert der heimischen Kicker-Riege bei unseren Lieblingsnachbern verbessert?

Eine Woche vor dem Auftakt in der WM-Qualifikation gegen den dreifachen Welt- und Europameister kann diese Frage definitiv mit JA beantwortet werden.

„Die Aufmerksamkeit wurde größer. Man hört  in Deutschland jetzt viel öfter die Wörter: österreichischer Fußball oder österreichisches Talent. Vor einigen Jahren wurden wir noch kleingeredet. In den letzten Wochen hat die Berichterstattung über Österreicher zugenommen“, berichtet Sebastian Prödl.

Prödl in der Hierarchie gestiegen

Und er muss es wissen, schließlich ist der 25-Jährige seit Juni 2008 bei Werder Bremen engagiert. Auch sein Stellenwert ist gestiegen – vor allem aber bei den Hanseaten.

Der Steirer ist nach zahlreichen Abgängen und einer guten Vorbereitung aus der Stammformation nicht mehr wegzudenken und in der Hierarchie nach oben geklettert.

„Da viele Spieler, die an der Macht waren beziehungsweise große Verantwortung hatten, den Klub verlassen haben, entsteht zwangsmäßig eine neue Rangordnung.  Eine verantwortungsvolle Position entsteht aber nicht durch Worte, sondern durch Taten“, betont der Teamkollege von Marko Arnautovic und Zlatko Junuzovic.

Bremen-Umbruch notwendig

Der radikale Umbruch sei ein logischer Prozess gewesen. Die Nord-Deutschen gehören nun mit einem Durchschnittsalter von 23 Jahren zu den jüngsten Teams der Bundesliga.

„Der Schnitt war notwendig, weil es mit unseren Klasse-Spielern, die wir hatten, auch nicht funktioniert hat. Es gibt jetzt nur noch vier, fünf Spieler, die am Anfang meines Engagements auch schon da waren. Ansonsten wird versucht, eine neue, junge Mannschaft aufzubauen. Wir wollen wieder dorthin zurück, wo wir vor ein paar Jahren schon einmal waren. Wenn wir die Konstanz unserer Spielstärke beibehalten, können wir einen guten Schritt nach oben machen.“

Neues Spielsystem

Bei „Werder neu“ wurde auch ein neues Spielsystem installiert. Statt eines 4-4-2 mit einer Raute im Mittelfeld setzt Trainer Thomas Schaaf auf ein  4-3-3.

„Wir haben im Prinzip schon die letzten Jahre für das neue System eingekauft. Marko Arnautovic ist für mich kein klassischer Stürmer. Er ist für mich Außenspieler. Auch Elia ist eher außen daheim. Unsere Philosophie ist es auch, mit viel Tempo über die Flügel zu kommen. Es hilft uns auch hinten, wenn die Außenpositionen doppelt besetzt sind. Nicht nur die Verteidiger, sondern auch die Mittelfeldspieler machen zu. Wir haben die Raute auch nicht mehr perfekt gespielt. Deswegen war die Umstellung notwendig“, berichtet Prödl.

„Abwehr ist jetzt noch mehr gefragt“

Die neue Ausrichtung der Bremer hat zur Folge, dass auch der 34-fache Internationale sein eigenes Spiel anpassen muss.

„Die Abwehr ist jetzt noch mehr gefragt als früher, weil wir sehr offensiv agieren. Wenn du früher das System mit der Raute nicht perfekt beherrscht hast, war es für die Gegner einfacher, dich auszurechnen und zuzustellen. Jetzt sind wird viel besser verteilt, was den Spielaufbau erleichtert.“

Erleichtert wirkt auch Trainer Schaaf, denn das Finish der letzten Saison hat seine Spuren hinterlassen. „Eine Rückrunde mit nur 13 Punkten hat selbst er noch nie erlebt. Das Ende der Saison war für ihn eine Befreiung. Jetzt besteht die Chance, mit neuen Spielern noch einmal durchzustarten. Das ist auch für ihn angenehm. Er kann neue Persönlichkeiten  aufbauen und führen.“

„Guter Saisonstart“

Die Neuorientierung trägt jedenfalls erste Früchte. Zwar ging der Auftakt gegen Meister Dortmund knapp verloren, zuletzt gab es aber einen 2:0-Derbysieg gegen den Hamburger SV. „Die ersten zwei Spiele in der Liga waren gut, leider gab es für die Leistung zu wenig Punkte. Es war ein guter Startschuss, aber es ist noch zu früh, um Bilanz zu ziehen.“

Das Zusammenspiel mit Innenverteidiger-Partner Sokratis wird indes immer besser. „Es ist aber noch zu früh, um zu sagen, dass eine perfekte Harmonie besteht. Wir müssen noch einige Fehler abstellen - sonst hätten wir gegen Dortmund keine zwei Treffer kassiert. Es steht uns noch viel Arbeit bevor, wir sehen aber auch, dass unsere bisherige Arbeit Früchte trägt.“

Große Vorfreude auf Deutschland

Früchte möchte Prödl auch gegen Deutschland ernten. Der ehemalige Sturm-Akteur ist jedenfalls heiß auf die Partie. Kein Wunder, verpasste er doch die letzten drei Begegnungen.

„Ich speziell kann es kaum mehr erwarten, weil ich seit dem Freundschaftsspiel vor der EURO 2008 nicht mehr gegen Deutschland gespielt habe. Jetzt bin ich endlich bei einem Duell dabei, wo es um etwas geht. Es wird eine geile und Euro-ähnliche Stimmung im Stadion herrschen. Es wird einfach cool.“

Dass mit Mario Gomez und Bastian Schweinsteiger zwei Topstars ausfallen, empfindet der Abwehr-Hüne nicht unbedingt als Vorteil.

„Ob Gomez oder Klose ist wuscht – beide sind Weltklasse. Es ändert für uns nichts. Beide haben sehr viele Tore erzielt. Sie haben unterschiedliche Qualitäten. Lässt man sie nur eine Sekunde aus den Augen, zeigen sie dir diese Qualität. Sie sind sehr gefährlich. Klose ist mehr im Spiel involviert, Gomez eher der Vollstrecker. Deutschland wird schnell über die Flügel kommen. Nicht nur Özil wird als Spielmacher fungieren, sondern ebenauch Klose.“

Spanien das beste Beispiel

Kein Nachteil ist es hingegen, dass wohl auch im ÖFB-Team die Bremen-Achse Prödl, Junuzovic und Arnautovic zum Zug kommen wird.

„Natürlich ist das ein Vorteil. Die Laufwege sind einstudierter. Ich weiß genau, wie Sladdi reagiert, wenn er nach hinten arbeitet, welches Loch er zumacht. Das beste Beispiel ist Spanien, die seit Jahren aus Real- und Barcelona-Spielern besteht. Auch die Deutschen praktizieren das mit ihrer Bayern-Achse. Es hilft enorm, wenn du nicht nur beim Team, sondern auch unter der Woche gemeinsam trainierst.„

Eine Sensation sei durchaus im Bereich des Möglichen. „Wie in der Vergangenheit ist Deutschland wieder der haushohe Favorit, aber wir sind nicht mehr krassester Außenseiter. Unsere Ambitionen sind gestiegen.“

Mit dem gewachsenen Standing des österreichischen Fußballs in Deutschland scheint also auch das Selbstvertrauen gestiegen zu sein.

Martin Wechtl