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„Wir können noch etwas Anderes hochstrecken“

„Wir können noch etwas Anderes hochstrecken“

"Nichts liegt mir ferner, als dem neuen Meister von ganzem Herzen zu gratulieren.“

Mit diesen Worten wurde BVB-Präsident Reinhard Rauball in der Mitgliederzeitung des Vereins zitiert. Falsch, versteht sich natürlich.

Denn die offizielle Dortmunder Stellungnahme zum Titelgewinn des FC Bayern sah anders aus.

Alter gratuliert neuem Meister

„Herzlichen Glückwunsch nach München zu einer verdienten Deutschen Meisterschaft und einer berauschenden Saison“, übermittelte Pressesprecher Sascha Fligge im Anschluss an die Heimpartie gegen Augsburg.

Trotz des 4:2-Sieges der Klopp-Elf konnte der Rückstand auf den Tabellenführer nicht mehr verringert werden, die Borussia ist seit vergangenem Samstag als Meister entthront.

Eine Tatsache, die für Sebastian Kehl „keine große Überraschung“ darstellt.

„Das ist von uns auch nicht anders prognostiziert worden, weil die Bayern einfach ein bisschen gieriger und williger sein würden als in den letzten beiden Jahren. Das haben sie wahnsinnig konsequent umgesetzt und deshalb haben sie es verdient“, erzählt der Kapitän im Rahmen eines vom Tourismus-Verband Kitzbüheler Alpen organisierten Pressegesprächs.

„Ein blödes Gefühl“

Trotz der sichtbar ernst gemeinten Gratulationen schwingt im schwarz-gelben Lager natürlich auch Wehmut mit: „Es ist ein bisschen schade, dass wir unsere Rekorde, die wir in den letzten Jahren erarbeitet haben, dahinschmelzen werden, und ein blödes Gefühl, weil man sich noch sehr gerne an die Emotionen und das Gänsehautgefühl erinnert, das wir im letzten Jahr hatten, als diese tolle Schale bei uns in Dortmund landete.“

Nachdem sich der Titel-Wechsel bereits seit einigen Monaten abgezeichnet hatte und man sich entsprechend vorbereiten konnte, fällt das Zwischen-Resümee des 33-Jährigen, die Beantwortung der Frage nach dem Warum, sachlich nüchtern aus:

„Wir haben viele Punkte liegen lassen. haben einige Heimspiele unerklärlich verloren. Aber man muss immer objektiv bleiben. Wir sind weiter auf Platz zwei in der Liga und haben viele gute Mannschaften, die in den letzen Jahren von Meisterschaft und Erfolgen gesprochen haben, bis dato hinter uns gelassen. Platz zwei in dieser Saison ist am Ende ein optimales Ergebnis, wenn man den FC Bayern in dieser Form vor sich hat.“

Neun Spiele absolvierte die Borussia in der diesjährigen CL-Saison, fünf Siege und vier Unentschieden stehen zu Buche. „Das sind auch super Ergebnisse und super Werte gewesen. Ich glaube, dass die Mannschaft schon einen gewissen Reifeprozess durchlaufen hat“, analysiert Kehl.

Von der Truppe, deren erstes Auftreten nach acht Jahren Absenz 2011/12 bereits nach der Gruppenphase ein Ende fand, scheint – zumindest mental – wenig übrig.

„In der letzten Saison haben wir gerade international einige Sachen gelernt. Erfahrung hängt natürlich auch mit Misserfolg zusammen. Was im letzten Jahr an Naivität bestraft wurde, haben wir dieses Jahr deutlich besser gemacht.“

Von „Bubenpartie“ zum Titelkandidat

Von einer jungen No-Name-Elf zum Überraschungsmeister zum Double-Sieger zum Champions-League-Titelkandidat – so ließe sich die Entwicklung des Ruhrpottvereins in den letzten drei Jahren simplifiziert beschreiben.

„Aus dieser recht jungen Mannschaft ist schon eine ziemlich erfahrene und sehr ernste Mannschaft geworden, die trotz alledem ihre Freude und ihre Kreativität und ihr jugendliches Gefühl nicht verlieren soll“, definiert Kehl sich und seine Teamkollegen selbst.

Von wegen fehlende Gier

Dass die Titel-Begierde beim Konkurrenten aus dem Süden Deutschlands vor allem nach der letztendlich enttäuschenden letzten Saison größer gewesen ist, mag für den 31-fachen DFB-Teamspieler stimmen, mangelnden Willen in den eigenen Reihen lässt er sich allerdings nicht vorwerfen:

„Wir hatten die Gier auch in der Bundesliga. Nur haben wir es teilweise nicht so umsetzen können. Würden wir auf Platz sechs stehen, würde ich mir diese Kritik gefallen lassen. Aber insgesamt sollte man immer noch relativ vernünftig die Situation einschätzen.“

Und diese ist mit einem auf sechs Punkte angewachsenen Polster auf Platz drei in der Meisterschaft und den Chancen in der Champions League durchaus als gut zu bezeichnen, oder wie Kehl es treffend formuliert: „Wir haben auch die Möglichkeit, noch etwas anderes hochzustrecken.“

Vor dem Rückspiel gewarnt

Acht Vereine sind noch im Rennen um den angesprochenen „Pokal mit den großen Ohren“, darunter eben auch der BVB, dessen Ausgangslage nach dem 0:0 beim FC Malaga nicht ideal, aber eben auch nicht schlecht ist.

„Natürlich war man ein Stück weit enttäuscht, dass wir das eine oder andere an Chancen nicht verwertet haben. Die waren definitiv da und wir hätten es uns ein bisschen leichter machen können fürs Rückspiel“, erinnert der Mittelfeldspieler an das Hinspiel im Estadio La Rosaleda und streicht hervor, dass „das 0:0 gezeigt hat, dass wir in der Lage sind, sie zu packen.“

Der Gefahr des Ergebnisses ist er sich aber ebenso bewusst: „Ein Auswärtstor für Malaga und eine sehr gute Defensivhaltung würden es für uns schwer machen. Deswegen sollten wir gewarnt sein.“

Wie schnell Gegentore passieren können, hat nicht zuletzt der Auftritt des FC Augsburg vor Augen geführt, der Abstiegskandidat nutzte zwei schläfrige Minuten der Gastgeber im Signal Iduna Park für zwei Treffer.

Das neue internationale Gesicht

Dank einer Leistungssteigerung in Hälfte zwei konnte die Niederlage abgewendet und der „Dreier fürs Selbstvertrauen“ eingefahren werden, obwohl es dies angesichts der bisherigen Saisonbilanz nicht groß benötigt.

Einer der Erfolgsgaranten ist im Trainer-Idol Jürgen Klopp schnell gefunden: „Er kann sehr viel Spaß vermitteln, ist ein absolut leidenschaftlicher Mensch. Das bringt er jeden Tag rüber“, charakterisiert der Spielführer seinen „Chef“, der am Spieltag eine klare Wandlung durchmacht: „Dann wird aus diesem lustvollen und spaßigen Menschen auch ein sehr verrückter Trainer, der absolut erfolgshungrig ist.“ Wichtiger Nachsatz: „Das überträgt er auch auf die Mannschaft.“

Somit kann man den Familienvater verstehen, wenn er nach der nationalen Entthronung von weiteren internationalen Belohnungen träumt:

„Wir wollen in der Champions League noch etwas erreichen. Und wenn man die Chance hat, so nahe dran zu sein, sollten wir diese auch am Schopfe packen und mitnehmen, was geht.“

Gegebenenfalls sogar den Titel.

Christian Eberle