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Das soziologische Grundproblem der FIFA

Das soziologische Grundproblem der FIFA

Es ist praktisch unmöglich, dieser Tage an der Fußball-WM vorbeizukommen.

Derartig alldurchdringend ist die Berichterstattung und derartig dominant die WM als Gesprächsthema im sozialen Raum.

„Es wird deutlich, dass dies jener Event ist, der weltweit den größten Stellenwert hat. Egal ob in sozialer oder ökonomischer Sicht gibt es nichts Vergleichbares“, spricht Sportsoziologe Otmar Weiß von einer „modernen Religion“.

Dass dies womöglich nur eine in Europa und Südamerika vorherrschende Sichtweise ist, lässt der Wissenschaftler der Sport-Universität Wien nicht gelten. „Sicherlich ist die Begeisterung in Südamerika, wo sogar die Produktionsraten zurückgehen, am höchsten, aber auch in den anderen Erdteilen ist die WM das bestimmende Thema.“

Welche soziologischen Auswüchse die WM annehmen kann, zeige beispielsweise der Biss von Luis Suarez.

Elegant eloquent

Zugegeben, beim Erklären des Bisses selbst stößt ein Soziologe an seine Grenzen. „Diese Tat war wohl eher psychologischer bzw. physiologischer Natur“, schmunzelt Weiß. Doch die Art und Weise, wie sich das uruguayische Volk in Folge hinter seinen Stürmer stellte, ruft den Sport-Wissenschaftler auf den Plan.

Nicht nur, dass Suarez bei seiner Heimkehr von den Fans gefeiert wurde, beschimpfte Staatspräsident Jose Mujica die FIFA öffentlich gar als einen „Haufen alter Hurensöhne“. Eine diplomatische Wortwahl, die wohl ihresgleichen sucht.

„So eine Reaktion verdeutlicht, dass die Bedeutung des Fußballs weit über den Sport hinausgeht, sodass sich die wichtigsten und mächtigsten Menschen damit identifizieren.“

Weniger Brot, mehr Spiele

Weniger Brot, mehr Spiele
Das Bild des kleinen Mädchens im Müll-Container ging um die Welt

Zuletzt sorgte ein Foto für Aufsehen, auf dem friedliche Fans an einem Abfall-Container vorbeiziehen, in dem eines der vielen Favelas-Kinder sitzt. Ein Symbolbild für den moralischen Zwiespalt zwischen dem Feiern eines Festes, in welches Milliarden Euro gepumpt werden mussten, und der sozialen Bedürfnisse vieler Brasilianer, für deren alltägliches Leben das Geld an anderer Stelle viel dringender benötigt worden wäre.

Die Meldungen von Protesten reißen nicht ab, dennoch laufen diese – wie auch unser Vorort-Reporter „Rudi“ Kristandl bestätigt – in einem sehr überschaubaren Rahmen ab. Eigentlich überraschend.

„Nein“, widerspricht Weiß. „Moralisch gesehen, ist Fußball nie falsch. Dazu kommt, dass Fußball nie eine Sache der beherrschenden Klasse war, sondern stets eine Gegenkultur darstellt.“ Dementsprechend hoch sei die Identifikation der bedürftigen Bevölkerung Brasiliens mit der WM.

„Dem Fußball liegen demokratische Züge inne. Schon die Spielkultur weist diese auf.“

Wo es an Demokratie fehlt

Anhand der Ausführungen des Uni-Dozenten lassen sich die immer harscher werdenden Anfeindungen gegen die FIFA-Führung besser verstehen. „Speziell unter Sepp Blatter hat sich die FIFA zu einer Diktatur entwickelt, die mafiöse Züge aufweist“, spricht Weiß vom Gegenteil von Demokratie.

Dies manifestiere sich etwa in der Vergabe der WM-Endrunde 2022 an Katar. Flächenmäßig wäre das ungefähr so, als hätte Oberösterreich den Zuschlag von der FIFA bekommen. Weiß ist der festen Überzeugung, dass die FIFA in diesem Fall nicht umherkommen wird, das WM-Turnier neu zu vergeben: „Es riecht nach Korruption. Es muss zurückgenommen werden.“

Doch damit sei es aus seiner Sicht nicht getan. „Es braucht weitere sinnvolle Maßnahmen und eine völlig neue Führungskultur auf demokratischen Grundsätzen.“

Aussagen, die sich praktisch deckungsgleich auf das IOC umlegen lassen. „Das heißt aber nicht, dass beide in der Vergangenheit nicht erfolgreiche Arbeit geleistet haben. Trends wie die Kommerzialisierung des Sports konnten sie gut für sich nutzen, damit waren sie sehr erfolgreich.“

Reinhold Pühringer