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Die Mutter aller Aufholjagden

Die Mutter aller Aufholjagden

Wer zuletzt lacht, lacht am besten, besagt ein viel zitiertes Sprichwort.

Im Falle des unglaublichen 4:4 zwischen Deutschland und Schweden hat es mehr denn je Berechtigung.

Fans und Mannschaft hatten das Spiel bereits abgehakt, nachdem die DFB-Auswahl souverän mit 4:0 führte.

Zu früh gefreut

„So langsam sehen ja alle Gegner so aus wie Irland“, jubelte selbst der Reporter im öffentlich-rechtlichen Fernsehen frenetisch. Zu früh, wie wir inzwischen wissen.

Einem „Was ist denn hier los – meine Güte“, folgte ein „Ich fass’ es nicht. Das hätte ich – ich sag’s ganz deutlich – für ausgeschlossen gehalten.“ Als schließlich das 4:4 fiel und sich der sicher geglaubte Sieg in Luft auflöste, blieb der sonst so eloquente Kollege beinahe stumm. „Es ist geschehen“, meinte er wortkarg.

Nicht das erste Comeback

Es war ein Schock. Niemand hätte auch nur ansatzweise gedacht, dass Deutschland – eine der besten Mannschaften der Welt – einen Vier-Tore-Vorsprung vor eigenem Publikum nicht über die Runden retten könnte.

Doch im Sport ist eben doch alles möglich – im Fußball erst recht. Schwedens Comeback ist dabei allerdings keinesfalls eine Premiere.

Nicht zum ersten Mal wähnte sich eine Mannschaft zu sicher und gab einen komfortablen Vorsprung noch aus der Hand. Wir haben in die Annalen geblickt und weitere heroische Aufholjagden aus der Schublade gekramt:

  • AC Milan vs. FC Liverpool 3:3, 2:3 i.E., 25. Mai 2005

Es ist wohl die Mutter aller Aufholjagden, ging es in diesem Gipfeltreffen im Istanbuler Atatürk-Stadion doch um nichts weniger als den Champions-League-Titel. Die Lombarden starteten wie die Feuerwehr und lagen zur Pause mit 3:0 in Führung. Während Milan den Sekt bereits kaltstellte, drehten die „Reds“ noch einmal auf. Sechs Minuten benötigte es, um auf 3:3 zu stellen. Im Elfmeterschießen lagen bei den „Rossoneri“ die Nerven blank, Liverpool gewann mit 3:2, da Serginho, Pirlo und Shevchenko vom Punkt scheiterten.

  • Angola vs. Mali 4:4, 10. Jänner 2010

Nach dem Angriff separatistischer Rebellen auf den Teambus Togos, der zwei Todesopfer forderte, stand eine Absage im Raum, die Verantwortlichen entschieden sich aber für die Austragung des Afrikca-Cups  und erlebten ein atemberaubendes Eröffnungsspiel. Nach mäßigem Beginn fand Gastgeber Angola mit Fortdauer immer besser in die Partie und startete eine wahre Tor-Party. Mit dem 4:0 durch Manucho in Minute 74 schien die Messe gelesen, doch Angola hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Turnier-Geheimfavorit Mali startete ein nicht für möglich gehaltenes Comeback und kam durch Keita (79.) und Kanoute (88.) wieder ran. Als erneut Keita den Anschluss herstellte (93.), folgte eine angolische Schockstarre. Restlos am Boden zerstört waren die Hausherren schließlich nach dem Ausgleich durch Yatabare (94.).

  • Olympique Marseille vs. Montpellier HSC 5:4, 22. August 1998

Es glich einem Alptraum für jeden „OM“-Anhänger. Marseille wurde im heimischen Stade Velodrome von den Gästen aus Montpellier vorgeführt. Bakayoko (2), Robert und Sauzee sorgten für eine 4:0-Pausenführung und verdutzte Gesichter im Lager der Gastgeber. So waren es wohl weniger als 56.070 Besucher, die laut offiziellem Spielbericht anwesend waren, um in der zweiten Hälfte ein Comeback der Superlative mitzuerleben. Maurice, Dugarry (2) und Roy schafften die Wende und brachten „OM“ zurück. Als Pires dann auch noch im Strafraum zu Fall kam und Blanc in Minute 92 den fälligen Strafstoß verwandelte, glich das Velodrome einem Tollhaus.

  • SV Werder Bremen vs. Hamburger SV 4:6, 26. Dezember 1957

HSV-Fans fahren generell nicht gerne zum Erzfeind an die Weser. An diesem 26. Dezember 1957 bereuten sie schnell, die Reise angetreten zu haben. Werder war um mindestens zwei Klassen besser und ließ lange Zeit keinen Zweifel daran aufkommen, dieses Derby gewinnen zu wollen. Der Halbzeit-Stand (0:4) und die Verletzung von Leistungsträger Posipal setzen den „Rothosen“ gehörig zu, doch plötzlich spielten sie sich in einen Rausch. „Uns Uwe“ Seeler mit drei Treffern sowie der angeschlagene Posipal (Wechsel waren seinerzeit noch nicht erlaubt), Stürmer und Reuter ließen den tot geglaubten HSV wiederauferstehen und erschufen so das „Wunder von der Weser“.

  • Kotwica Kolobrzeg vs. Pogon Szczecin  5:7 n.V., 11. August 2009

Von Beginn weg offenbarte sich im Pokal-Duell der beiden Kontrahenten ein offener Schlagabtausch. Die Hausherren hatten den besseren Start und gingen früh in Front. Nach dem zwischenzeitlichen Ausgleich legten sie einen Gang zu und konnten sich über eine 3:1-, später eine 4:2- bzw. 5:3-Führung (nach 89 Minuten) freuen. Pogon warf alles nach vorne und rettete sich mit zwei Treffern in der Nachspielzeit in die Verlängerung. Kotwica war am Ende seiner Kräfte, der sicher geglaubte Sieg war dahin, Pogon gewann mit 7:5 n.V.

  • Dynamo Dresden vs. Bayer Leverkusen 4:3 n.V., 30. Juli 2011

Es war 1. Runde des DFB-Pokals, in der Zweitligist Dresden gegen den „Riesen“ Leverkusen lange Zeit kein Land sah. Derdiyok und Sam stellten schon nach zwölf Minuten auf 0:2, Schürrle erhöhte nach Wiederanpfiff und so wähnte sich Bayer in der nächsten Runde. Dann geschah das Unfassbare: Schuppan und ein Doppelschlag von Koch hievten den Außenseiter in die Verlängerung. Leverkusen, das schon nach dem 2:3 stehend K.o. wirkte, wurde in der 117. Minute tatsächlich auf die Bretter geschickt, als Schnetzler sensationell zum 4:3 netzte.

 

Christoph Nister