news

Versagen der Brasilianer begann schon vor der WM

Versagen der Brasilianer begann schon vor der WM

Der mentale Kollaps Brasiliens im WM-Halbfinale gegen Deutschland und seine Gründe. Die Fußball-Welt rätselt, wie es zu einer derartigen "Implosion" wie beim 1:7-Debakel gegen die DFB-Elf kommen konnte. Für LAOLA1 analysiert in einem Gastkommentar der Mentalcoach Roman Braun, der unter anderem mit Rainer Schönfelder und Box-Weltmeister Sven Ottke arbeitete, die Fehler der Selecao und ortet dabei bei Teamchef Luiz Felipe Scolari eine falsche pschychologische Herangehensweise:

 

Grundsätzlich muss man sagen, dass eine solche Niederlage wie gegen Deutschland immer passieren kann. Doch es gibt mehrere Faktoren, die in diesem Fall zusammengespielt haben. Brasilien gehört zwar zu den Top-Fußball-Nationen der Welt, schon vor Beginn der WM war allerdings klar, dass das spielerische Niveau der Selecao diesmal deutlich niedriger ist als bei den Weltmeisterschaften zuvor.

Es gab Zeiten, da wussten die Brasilianer nicht, wohin mit ihren Superstars. Ganz anders dieses Jahr, wo sich alles nur um einen Spieler, nämlich Neymar, gedreht hat. Dieses Defizit war den Brasilianern auch vollkommen bewusst, es ist allerdings aus Sicht des Mentaltrainings völlig falsch damit umgegangen worden.

Wir MÜSSEN gewinnen!

Der brasilianische Trainer Scolari hat versucht, das vorhandene Defizit durch vorgetäuschtes Selbstvertrauen zu kompensieren. Sein Motto: „Wir brauchen nur laut genug Hurra schreien, dann schaffen wir das auch!“ Die Brasilianer sind mit nur einer Vorgabe in diese WM gegangen: Sieg! Doch genau mit diesem Druck waren sie überfordert.

Zum ersten Mal bemerkt hat man das bei dem Elferschießen gegen Chile im Achtelfinale, als gleich zwei brasilianische Spieler nicht getroffen haben. Die Verletzung von Neymar im Viertelfinale hat dann alle Faktoren, den Druck und das Defizitbewusstsein, noch einmal verstärkt.

Auch in das Halbfinale sind die Brasilianer mit dem Mindset „Hurra, wir können das schaffen“ gegangen. Doch diese Einstellung hat nur genau zehn Minuten angehalten. Von Anfang an waren die fußballerischen Defizite zwar erkennbar, die Selecao hat aber versucht, diese zu überspielen – ohne den Erfolg eines Tors. Dann kam der erste Treffer der Deutschen und die Abwärtsspirale der Brasilianer hat begonnen.

Man spricht in der Psychologie von einem Sadness-Disadvantage: Wenn man schlecht drauf ist, läuft es weniger gut. Drama zieht Energie ab und beeinträchtigt die Leistung. Man hat in den Gesichtern der Spieler klar gesehen, wie sie immer mehr verfallen sind und der Sadness-Disadvantage ist mit jedem Tor größer geworden. Nach dem 0:3 waren sie schon richtig paralysiert, sie haben komplett aufgegeben.

Mentalcoach Roman Braun

Leistungsziele statt Ergebnisziele

Wie hätte man diese hohe Niederlage verhindern können? Mit der richtigen mentalen Einstellung. Viele Erfolgstrainer arbeiten nicht mit Ergebniszielen (Ihr müsst gewinnen!) sondern mit Leistungszielen. So wird mit jedem Spieler vereinbart, was seine maximal mögliche Leistung wäre und kann er diese Ziele erbringen, ist es ein Erfolg, abgekapselt vom Ergebnis. Mit dieser Taktik hätten die brasilianischen Spieler nicht nach den ersten Toren aufgegeben, sondern hätten weiter versucht, ihr persönliches Leistungsziel zu erreichen.

Deutschland in Gefahr

Für Deutschland heißt es nach dem historischen Erfolg: Aufpassen! Die Mannschaft hat während des Matches von dem so genannten Happiness-Advantage profitiert: Wenn es dir gut geht, läuft es auch besser. Doch auf diesen Spiel-Rausch könnte beim Finale sehr schnell der Kater folgen.

Nämlich dann, wenn sich die Anfangsphase des Spiels am Sonntag schwieriger gestaltet und Tore der Deutschen ausbleiben oder sogar ein Gegentreffer fällt. Dann könnten sie an ihrer eigenen Leistung zu zweifeln beginnen und genauso wie die Brasilianer in den Sadness-Disadvantage rutschen.

Das Motto für die Deutschen muss also lauten: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel! Der Sieg gegen die Brasilianer war ein Geschenk und nun warten im Finale bis zu 120 Minuten und ein Elferschießen lang Arbeit!