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"Wilmots verkauft dir schwarzen Tisch als weißen"

Jan-Pieter Martens gehörte schon zu aktiven Zeiten zu jener Sorte Fußballer, die über den Tellerrand ihres Berufs hinausgeblickt hat.

Nicht nur wegen seiner Zweitkarriere als Musiker – für sein Album „Shining Like A Butterfly“ kann man auch Jahre später noch eine unverbindliche Produktempfehlung abgeben.

Ende der 90er eroberte der mittlerweile 39-Jährige zwei Meistertitel mit Sturm Graz, inzwischen arbeitet er als Teammanager für Schalke 04.

Nach seiner Karriere lebte er in Brasilien, führte dort unter anderem ein Bed & Breakfast. Es liegt auf der Hand, dass Martens somit ein profunder Gesprächspartner über die WM im fußballverrückten Land und vor allem über den Hype rund um das Team aus seinem Heimatland Belgien ist.

Ein LAOLA1-Interview über eine übertriebene Favoritenrolle, 23-jährige „Talente“, Belgien als Paradies für internationale Scouts, Theken-Gespräche mit Teamchef Marc Wilmots, die aktuelle Kopfhörer-Generation, den Kurs zum Touristenführer in Rio und natürlich die Liebe zur Musik.

LAOLA1: Wie sehr fieberst du der WM bereits entgegen? Belgien gilt vielerorts als sentimentaler Favorit.

Jan-Pieter Martens: Ich glaube, dass das schwer übertrieben ist. Wir sind erstmals seit 2002 wieder dabei. Aber ich verstehe das schon: Es ist zu einfach zu sagen, ich setze mein Geld auf Deutschland, Argentinien, Brasilien oder Spanien. Viele Leute wollen einen Outsider wie Belgien dazurechnen. Aber das ist unrealistisch. Man muss es so sehen: Von denen, die spielen, hat noch nie jemand ein Turnier gespielt. Daniel van Buyten war 2002 schon dabei, aber normalerweise wird er nicht spielen. Er ist die Nummer vier auf seiner Position. Das heißt, wir werden ausschließlich mit Turnier-Debütanten spielen. Dann gibt es einen weiteren Grund…

Martens mit Brasilien-Legende-Zico

LAOLA1: Und zwar…?

Martens: Ich habe das in den vergangenen Monaten auch in Deutschland oft sagen müssen: Ja, wir haben super Spieler. Aber wir haben mit dieser Generation eigentlich noch nie eine große Nation geschlagen – und da zähle ich schon England und Frankreich dazu, die eigentlich gar nicht wirklich die Favoriten sind. Deutschland, Brasilien, Spanien und Argentinien sind für mich die vier Teams, die weitaus über Belgien zu stellen sind. Zusätzlich gibt es genügend andere Länder, die wahrscheinlich gleich gut oder auch noch ein bisschen besser sind als wir. Ich finde diese Außenseiter-Favoritenrolle sehr übertrieben.

LAOLA1: Bei vielen schwingt dabei Bewunderung und Sympathie für den Weg mit, den der belgische Fußball in den vergangenen Jahren eingeschlagen hat.

Martens: Sicher, und das ist auch berechtigt. Wir sind völlig zurecht Gruppensieger geworden, wir sind auch völlig zurecht bei der WM dabei. Einzelspieler sind jetzt bei Top-Vereinen wieder wichtig. Das ist lange nicht so gewesen. Belgien hatte immer Spieler in England, Deutschland, Holland, Frankreich oder Italien, aber das waren nie die wirklich entscheidenden Spieler bei Top-Vereinen. Das haben wir jetzt schon, und das ist ein riesiger Unterschied. Lass‘ uns Namen nennen: Ein Hazard bei Chelsea, ein Kompany bei Manchester City oder ein de Bruyne bei Wolfsburg – das sind Spieler, wo alle hinschauen, wo auch die eigenen Spieler denken: „Hoffentlich macht er heute etwas, sonst schaffen wir’s nicht. Hoffentlich wird der Hazard irgendwie explodieren.“ So denkt die Presse, so denken die Fans, so denken die eigenen Spieler. Das ist eine Funktion innerhalb der Mannschaft, der du erst einmal gerecht werden musst. Es ist natürlich viel, viel einfacher in einer Mannschaft mitzulaufen, in der andere entscheidend sind. Solche hatten wir lange. Jetzt ist die Situation anders. Da kann man auch andere Beispiele nennen: Einen Vermaelen, der Kapitän bei Arsenal ist. Wir haben mit Courtois und Mignolet zwei Top-Torhüter, der eine stand im CL-Finale mit Atletico, der andere hat mit Liverpool das erste Mal seit langer Zeit um die Meisterschaft gespielt. Wir haben auf entscheidenden Positionen Spieler bei Weltvereinen. Das formt Charaktere. Je mehr Charaktere du auf diese Art zusammensetzen kannst, desto stärker ist deine Mannschaft.

Romelu Lukaku als Granate, dessen Entwicklung Mourinho bremste

LAOLA1: Woran liegt es, dass so viele gute Spieler einer Generation gleichzeitig da sind? Hat man sich in Belgien vor zehn, 15 Jahren entschlossen, in der Nachwuchsarbeit etwas radikal anders zu machen?

Martens: Ich würde nicht sagen radikal anders. Was wir schon haben, und das ist anders als zum Beispiel in Österreich, dass wir parallel zu unseren Junioren-Nationalmannschaften auch eine Future-Mannschaft haben. Nehmen wir als Beispiel die U16: Da gibt es eine U16-Nationalmannschaft und eine U16-Future. In der Future stehen die Nummern 25 bis 45, die vielleicht körperlich noch nicht so weit sind wie ihre Altersgenossen und deswegen nicht in der ersten Auswahl ihres Jahrgangs stehen. Aber die sind nicht weniger talentiert und können so internationale Erfahrung sammeln. Es gibt also Teenager, die in Österreich vielleicht schon abgeschrieben sind, in Belgien aber noch irgendwie mitgenommen werden. Das ist ein Ansatz. Aber ich glaube nicht, dass das den Unterschied ausmacht, dass jetzt so viele auf einmal da sind. Ich glaube, das hat mit der EM 2000 zu tun.

LAOLA1: Aus welchem Grund?

Martens: Mit der EM im eigenen Land hatten sehr viele Jungs ein schönes Beispiel. Das macht auch für Österreich Hoffnung, dass ihr vielleicht in sechs bis acht Jahren auch so eine Generation bekommt. Damals haben sehr viele Jungs angefangen, Fußball zu spielen. In Belgien sind das vor allem die 87er- bis 90er-Jahrgänge, die im richtigen Alter waren, als die ganze Marketing-Maschinerie rund um die EM gestartet ist. Die haben natürlich das Fest, als ein ganzes Land in Euphorie war, miterlebt. Das sind die Jungs, die jetzt im A-Team stehen. Das ist sicher ein Grund. Gekoppelt natürlich mit ein bisschen Glück. Du brauchst solche Talente zum richtigen Zeitpunkt. Und dann kommt noch etwas dazu. Jetzt gehe ich ganz weit zurück zu meiner Ankunft in Österreich.

LAOLA1: Die Kaderliste ist in der Tat beeindruckend. Wenn du zwei, drei Schlüsselspieler herausheben müsstest, wer wären die?

Martens: Wenn ich drei Namen nennen müsste, wären es Hazard, Kompany und Courtois. Es kommen auch andere in Frage. Es ist sehr viel Qualität da. Man darf jedoch einen weiteren Grund, warum ich uns nicht zu den Favoriten zähle, nicht vergessen: Wir haben eigentlich keinen wirklichen Torschützen. Wir hatten mit Benteke einen, aber der ist verletzt. Man braucht sich die Liste nur einmal anschauen: Derjenige mit den meisten Länderspiel-Toren ist mit van Buyten ein Verteidiger. Wir haben keinen, der international schon mal 20 bis 30 Tore gemacht hat. Das hat zum Beispiel Spanien schon – Villa und Torres wissen, wie man zur richtigen Zeit ein Tor machen muss. Genau wie bei den Argentiniern Messi, Agüero oder Higuain. Wir können hoffen, dass Lukaku gut spielt. Gegen einen Zwerg wie Luxemburg hat er drei Tore gemacht. Aber er muss sein erstes Tor gegen Spanien, Deutschland oder Argentinien auch erst einmal machen.

LAOLA1: Lukaku galt als absolutes Wunderkind. Hat er sich in dem Tempo entwickelt, das viele vor zwei, drei Jahren erwartet hatten?

Martens: Lukaku ist eine Granate, der wird zu 100 Prozent kommen. Der einzige Grund, warum er nicht auf der ganz großen Bühne wie der Champions League spielt, ist Jose Mourinhos Rückkehr zu Chelsea, weil der auf erfahrene Spieler setzt. Das ist auch der Grund, warum de Bruyne gehen musste. Aber Lukaku hat für West Bromwich 17 Tore gemacht und in dieser Saison für Everton auch wieder 16. Nur: Der Junge ist gerade erst 21 geworden. Messi oder Agüero bei Argentinien, Benzema bei Frankreich oder Rooney bei England – das sind „Angriffs-Leiter“, wo du weißt, die haben schon WM-Endrunden gespielt und gefühlte 25 Jahre Champions League. Das ist ein ganz anderes Niveau. Hat Lukaku die Qualitäten? Ja! Kann er sie in jedem Spiel und am liebsten sieben Mal hintereinander abrufen? Fragezeichen! Das weiß keiner. Da kann man nur hoffen. Es kann auch sein, dass er das nicht schafft. Dann darf ihm aber keiner böse sein.

Eden Hazard gehört zu jenen Spielern, die den Unterschied ausmachen

LAOLA1: Davon kann die Nationalmannschaft langfristig nur profitieren.

Martens: Wir kommen immer zum gleichen Punkt: Wie bildest du Charaktere aus und nicht Wasserträger? Denn die machen im Endeffekt in der Nationalmannschaft keinen Unterschied. Was den Unterschied ausmacht, sind Typen und Sieger. Heuer war das erste Jahr seit acht Jahren, in dem kein Belgier Kapitän von Ajax Amsterdam war. Erst Vermaelen, dann Vertonghen und Alderweireld. Wenn du es mit Anfang 20 zum Kapitän einer riesigen Mannschaft wie Ajax geschafft hast, hast du erstens Qualität, sammelst zweitens Erfahrung und bildest du drittens einen Typ aus. Denn auf diese Jungs kommt natürlich sehr viel zu. Da heißt es, Verantwortung zu übernehmen.

LAOLA1: Welche Rolle spielt im Gebilde der Nationalmannschaft Teamchef Marc Wilmots? Belgien wurde schon länger der Durchbruch zugetraut. Warum hat er ihn hinbekommen?

Martens: Wilmots ist seit 2012 im Amt. In den letzten zwei, drei Jahren sind eben viele dieser Typen bei ihren Vereinen wichtig geworden. Hazard etwa ist vor drei Jahren gerade bei Lille herausgekommen, jetzt ist er der entscheidende Typ bei Chelsea. Es sind die gleichen Talente, die aber drei Jahre älter sind. Es liegt also nicht nur am Teamchef, obwohl er einen guten Job macht. Was die Rolle von Wilmots ausmacht: Ich kenne Marc privat, bin schon oft mit ihm an der Theke gesessen und habe über Fußball geredet. Er ist jemand, der verkauft dir einen schwarzen Tisch als weißen. Er ist so überzeugend, auch so wahnsinnig von sich selbst überzeugt, ein sehr gerader Typ. Aber er lässt auch nicht zu, dass sich jemand anders zu viel einbringt. Er hat seine Idee, und das ist die einzig richtige. Er ist ein sehr konsequenter Mensch, das macht ihn aus. Das ist auf seiner Position auch sehr wichtig. Diese deutsche Gründlichkeit, die in ihm steckt, hatte er früher schon, die hat er dann als Spieler bei Schalke noch einmal extrem ausgebildet. Das kombiniert er sehr gut mit einem Verständnis für die – wie ich sie nenne – Kopfhörer-Generation.

LAOLA1: Also in den Jänner 1998, als du bei Sturm Graz angeheuert hast.

Martens: Ich war schon 23, innerhalb der Sturm-Mannschaft habe ich jedoch als junger Spieler gegolten. Ich habe mich natürlich geschreckt. Denn in Belgien bist du mit 23 kein Talent mehr. Da bist du schon in Richtung Pension unterwegs…(schmunzelt). Das war für mich wahnsinnig! Damit hatte ich am Anfang auch irrsinnige Schwierigkeiten, weil mich Osim immer Talent oder Junger genannt hat. Das gibt es in Belgien überhaupt nicht. „Er hat viel Talent, vielleicht kommt er noch.“ Diesen Satz traut sich bei uns kein einziger Analytiker über einen 23-Jährigen zu sagen, weil du dich komplett lächerlich machst. In Belgien gibt es 16- oder 17-Jährige, die einfach spielen. Wenn man sich Anderlecht anschaut: Die haben gerade mit Youri Tielemans einen, der als Spielmacher auf der Sechs das ganze Spiel an sich zieht. Der ist erst seit wenigen Wochen 17. Lukaku ist gerade 16 geworden, als er in meisterschaftsentscheidenden Spielen reingekommen ist. Kompany stand mit 16 in der ersten Mannschaft von Anderlecht, hat mit 17 Champions League gespielt. Logisch, dass du dann mit 20 eine gewisse Erfahrung hast und mit 23 Führungsspieler bei Manchester City bist. In einem Alter, in dem ich in Österreich als Talent gegolten habe. Das ist natürlich eine andere Dimension. Zu meiner Zeit in Österreich hast du einen Andreas Ivanschitz gehabt und sonst? Vielleicht hast du noch bei Roman Wallner sagen können, das ist ein junger Typ, der Stammspieler bei einem Topverein ist. Aber das war’s. Mehr hattest du nicht.

LAOLA1: Das hat sich auch in Österreich über die Jahre gebessert. Wobei es schon noch vorkommen kann, dass ein 22-Jähriger als Talent verkauft wird. Was die belgische und die österreichische Liga eint, ist die Funktion als Ausbildungsliga.

Martens: Belgien ist wie Österreich ein Land, das Talente bildet. Hier redet man so: Stars werden nicht in Belgien spielen, sie werden in Belgien gemacht. Viele von denen, die jetzt in der belgischen Nationalmannschaft stehen, haben nie in der belgischen Liga gespielt. Sie sind oft schon mit 16, 17 oder 18 weg. Das hat natürlich viel mit der Lage von Belgien zu tun. Du bist in zwei Stunden durch das Land durch, an einem Wochenende kannst du 15 Jugendspiele anschauen – ein Traum für deutsche, holländische, französische und englische Vereine. Du kommst ein Mal nach Belgien und in ein, zwei Wochen hast du alle Talente gesehen, die du brauchst. Ein Hazard hat zum Beispiel in Belgien gewohnt, aber über der Grenze in Lille auf einem Niveau gespielt, das man in Belgien nicht hat.

Zwei Mal Meister mit Sturm. 1999 hatte er mit einem Derby-Tor großen Anteil

LAOLA1: Zu wem sollen sie denn halten?

Martens (lacht): Wir verstehen uns gut. Das heißt, sollte Brasilien ausscheiden, sind sie für die Belgier. Sollte Belgien ausscheiden, werde ich zu den Brasilianern halten… Wobei ich von der brasilianischen Mannschaft niemanden persönlich kenne. Das ist bei anderen Ländern anders. Und damit meine ich natürlich unsere Schalke-Spieler. Julian Draxler und Benedikt Höwedes bei den Deutschen, Klaas-Jan Huntelaar bei den Niederlanden, Joel Matip bei Kamerun, wobei die sich eh keine Chancen ausrechnen, und Sead Kolosinac bei Bosnien, die sich auch sagen, wenn sie in der Vorrunde weiterkommen, ist es super. Mit denen fiebere ich eigentlich viel mehr mit als mit den Brasilianern. Und mit den Belgiern sowieso, denn dort kenne ich auch einige Spieler persönlich.

LAOLA1: Vor Großereignissen wie Olympischen Spielen oder Fußball-Weltmeisterschaften wird im Vorfeld oft schlechte Stimmung verbreitet und am Ende wird dennoch ein toller Event daraus. Ist die Kritik vor Ort diesmal aber so hartnäckig, dass es das Turnier beeinträchtigen wird?

Martens: Man wird es schon merken. Aber ich bin trotzdem überzeugt, dass es ein Riesen-Fest wird. Alleine deshalb, weil jede Putzfrau in Brasilien Fußball-Fan ist. Das ganze Land ist fußballbegeistert. Das Einzige, was passieren kann: Wenn Brasilien sehr schnell ausscheidet, kann es blöd laufen. Wenn Brasilien in der Gruppe rausfliegen sollte, und Argentinien und Uruguay spielen lange weiter, hast du natürlich ein Problem. Dann wird das Fest sehr dunkel sein. Aber davon gehe ich nicht aus. Ich denke, dass Brasilien sehr weit kommt.

LAOLA1: Wie schwierig ist dieser Umgang?

Martens: Die neue Generation Fußballer sind alles sehr auf sich gestellte kleine Firmen, die wissen schon mit 17 oder 18 ganz genau, was sie wollen. Und wenn sie es nicht wissen, wird es ihnen von ihren Beratern eingeredet. Du musst es erst einmal schaffen, mit dieser Generation umzugehen. Das ist nicht so einfach. Ich habe es auf einer anderen Ebene erlebt. Als ich 2012 als Sportdirektor von St. Truiden nach Belgien zurückgekommen bin, war ich sieben Jahre weg aus der Fußball-Umkleide. In der Zwischenzeit gab es schon einen gewaltigen Umbruch. Das hat Wilmots super gemacht. Er hat genau zum richtigen Zeitpunkt seine Konsequenz durchgezogen, aber trotzdem sehr viel Verständnis für die lockere Art der Jungs.

LAOLA1: Die sieben Jahre, in denen du aus der Kabine weg warst, sind das perfekte Stichwort, um den Bogen zum Turnier an sich zu spannen. Einige Zeit davon hast du ja in Brasilien gelebt. Hat diese WM für dich zusätzlich einen emotionalen Touch, da sie in einem Land stattfindet, das du sehr gut kennst?

Martens: Ich bin mit einer Brasilianerin verheiratet und meine Kinder sind halb-brasilianisch. Die müssen mir erst erzählen, zu wem sie bei der WM halten…(lacht)

Neben dem Fußball verfolgte Martens auch eine Karriere als Musiker

LAOLA1: Horst Heldt hast du in deiner Zeit bei Sturm Graz kennengelernt. Besteht noch Kontakt in die alte Heimat? Dein Derby-Tor gegen den GAK, das die Meisterschaft 1999 vorentschieden hat, hat sich erst kürzlich zum 15. Mal gejährt…

Martens: Ja, stimmt! Daran erinnere ich mich gerne. Ich habe schon noch Kontakt nach Graz, so wirklich intensiven jedoch nur mit Gilli Prilasnig. Wir waren damals schon Freunde und verstehen einander immer noch gut. Es ist nicht so, dass wir jeden Tag miteinander telefonieren, aber wir nutzen jede Gelegenheit, um uns zu treffen. Daneben habe ich hauptsächlich Kontakt zu Leuten aus der Musikszene, denn ich habe in Graz ja auch zehn Jahre lang Musik gemacht und 2003 die Singer-Songwriter-Plattform Platoo gegründet, die nach wie vor besteht. Wenn ich nach Graz komme, trifft man sich. Genau wie die Jungs vom Footvolley, wo ich in Graz zu den Pionieren gehört habe.

LAOLA1: Bist du noch musikalisch aktiv?

Martens: Ich musiziere zu Hause noch ein bisschen, aber der letzte Auftritt ist schon eine Zeit lang her. Ich glaube, es war 2010. Gut, das stimmt nicht, bei der Weihnachtsfeier von Schalke habe ich gespielt…(lacht) In den letzten drei, vier Jahren habe ich sehr wenig gespielt, da ich für meine Kinder da sein will – mit drei Stück hat man schon eine Aufgabe neben einem Fulltime-Job. Da bleibt nicht viel Zeit für Proben und Auftritte. Die Lust und die Liebe zur Musik werden aber immer da sein.


Das Gespräch führte Peter Altmann

LAOLA1: Wo in Brasilien hast du gelebt?

Martens: In Porto Seguro – dort, wo die Deutschen verbleiben werden. Das ist direkt am Ozean, aber trotzdem mitten im Dschungel. Das liegt zwischen Rio und Salvador und die Ortschaft, in der ich gelebt habe, ist Luftlinie vielleicht 15 Kilometer vom Camp der Deutschen entfernt. Dort kenne ich alles. Darum weiß ich auch, dass es bis zum letzten Drücker dauert, bis die Farbe trocken ist… (schmunzelt).

LAOLA1: Warum bist du nach deiner Karriere eigentlich nach Brasilien übersiedelt?

Martens: Nachdem ich im Sommer 2005 bei Untersiebenbrunn aufgehört hatte, bin ich im Oktober mit meiner Frau für ein Jahr nach Rio gegangen, um mich einmal vom Fußball zu distanzieren. Ich hatte Verletzungen, vom Fußball her war es eine Negativperiode und ich hatte ein bisschen genug davon. Da wollte ich raus. Meine Frau wollte ohnehin gerne zurück nach Brasilien. Dort habe ich dann einen Portugiesisch-Kurs absolviert und einen Kurs zum Touristenführer in Rio. Wir haben uns dann jedoch entschlossen, nach Europa zurückzukehren, auch der Familie wegen. Wir haben zwei Kinder dazu gekriegt, sie hatte schon eines. Von Ende 2006 bis 2010 habe ich in Belgien für die Presse gearbeitet.

LAOLA1: In welcher Funktion?

Martens: Vor allem als Analyst und Kolumnist. Ich habe vier Jahre lang eine wöchentliche Kolumne für eine Zeitung geschrieben und fürs Regionalfernsehen meine Analysen gemacht. Da war ich wieder mit dem Fußball in Berührung. Was ich vorher mit der neuen Generation Fußballer gemeint habe: Ich habe sie zwar kennengelernt, aber nicht wirklich mit ihnen zusammenarbeiten müssen, war nicht in der Kabine. Von 2010 bis 2012 bin ich zurück nach Brasilien und habe in Porto Seguro ein Bed & Breakfast geführt. 2012 kam dann das Angebot, Sportdirektor in St. Truiden zu werden. Das war eine schöne Möglichkeit, wieder in den Fußball einzusteigen. Für mich war die Entscheidung: Entweder ich mache das jetzt und wir gehen zurück nach Europa, oder ich bleibe in Brasilien, dann mache ich aber nie mehr etwas im Fußball.

LAOLA1: Der Fußball hat gewonnen. Da du inzwischen bei Schalke 04 gelandet bist, war es wohl die richtige Entscheidung, oder?

Martens: Von St. Truiden zu Schalke war es noch mal ein Riesen-Schritt vorwärts. Es ist als Teammanager zwar eine ganz andere Rolle, aber Teil eines so großen Klubs zu sein und so nah an der Mannschaft zu sein, ist eine Gelegenheit, die kriegst du nicht oft. Wir sind ein sehr junges Team – mit Jens Keller, Horst Heldt und dem Österreicher Gerhard Zuber sind die drei Leute, mit denen ich täglich zu tun habe, in meinem Alter. Wir sind uns von der Mentalität her sehr nahe. Ich bin nach wie vor sehr stolz und versuche einfach, das Beste aus mir herauszuholen, damit ich dem Verein helfe. Dieses Jahr ist es nicht so schlecht gewesen. Nächstes Jahr müssen wir es noch ein bisschen besser machen.