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Foda: "Ich bereue die Entscheidung nicht"

Foda:

„Es ist noch völlig offen. Die Chancen stehen bei 50:50. Das könnt ihr ruhig so notieren.“

Liest man die Einschätzung von Michael Esser, würde man nicht auf die Idee kommen, dass Sturm Graz das Heimspiel gegen Rubin Kazan mit 2:3 verloren hat.

Eine Partie in der Qualifikation für die Europa League, die sich relativ simpel auf den Punkt bringen lässt.

Und zwar wiefolgt: „Wenn man international eine Runde weiterkommen will, darf man nicht solche Fehler in der Defensive begehen, wie wir es getan haben“, ärgerte sich Trainer Franco Foda.

Die Heimpleite der Steirer fiel klassisch unter die Kategorie Selbstfaller, was keineswegs die Leistung der Russen schmälern soll, die in Graz-Liebenau einen cleveren und routinierten, jedoch nicht unantastbaren Eindruck hinterlassen haben.

Die Erkenntnisse der schwarz-weißen Rückkehr auf die internationale Bühne nach zwei Jahren Europacup-Pause:

DEFENSIVE MÄNGEL: Während über die drei Gegentore noch gesondert zu sprechen ist, muss man ganz allgemein festhalten: In der Rückwärtsbewegung offenbarte Sturm gegen Kazan teils erhebliche Lücken. „Solche Fehler wie bei den Gegentoren tun natürlich immer weh, aber das kann passieren. Was mich viel mehr ärgert, sind die Abstimmungsprobleme, die wir teilweise hatten. Das sollte und darf nicht passieren und schon gar nicht auf diesem Niveau“, übte Abwehrchef Michael Madl Kritik am bisweilen wenig sattelfesten Abwehrverhalten. Auch Foda monierte: „Wir haben im Defensivverhalten in der Verteidigung nicht gut miteinander harmoniert und funktioniert. Wir wussten, dass Kazan vor allem im Mittelfeld versucht, Überzahlsituationen herzustellen, die äußeren Spieler immer wieder in die Zwischenräume gehen. Das haben wir nicht gut verteidigt.“ Das Umschaltspiel der Russen und gute Pässe in die Schnittstelle sorgten immer wieder für Gefahr, Kazan präsentierte sich bei der Chancenauswertung jedoch in der einen oder anderen Situation großzügig. Das Ergebnis hätte noch unerfreulicher ausfallen können.

EHRENREICHS RABENSCHWARZER TAG: Gar nicht großzügig, sondern als eiskalt erwiesen sich die Russen jedoch, wenn Martin Ehrenreich seine Beine beziehungsweise seine Hände im Spiel hatte. „Das 0:1 haben wir selbst aufgelegt, das 1:2 durch einen Elfmeter ebenso, auch das 2:3 war ein Tor, das absolut vermeidbar gewesen wäre“, ärgerte sich Foda über die Gegentreffer – jedes Mal war der Routinier entweder haupt- oder wie beim dritten Streich der Osteuropäer zumindest mitbeteiligt. Beim 0:1 schoss der 32-Jährige beim Versuch zu klären Maksim Kanunnikov an, der sich artig für dieses Geschenk bedankte. Beim zweiten Gegentor war es ein unglückliches Handspiel des Rechtsverteidigers, das zum Elfmeter führte. Das dritte gehörte keineswegs ihm alleine, aber er stand zu weit weg von Diniyar Bilyaletdinov, dessen Schuss Esser zwar noch parieren konnte, ehe Igor Portnyagin den Ball per Kopf im Tor unterbrachte. Alles in allem ein rabenschwarzer Tag des ältesten Spielers im Sturm-Dress.

Wobei Ehrenreichs Berufung in die Startelf durchaus ein wenig überraschte. Mit Marvin Potzmann wurde in der Sommerpause ein Upgrade für die Rechtsverteidigung verpflichtet, dieser legte gegen die Admira auch ein solides Debüt hin. Freilich ist man im Nachhinein immer schlauer, dennoch hat sich Foda mit dieser Personalie verpokert. Der Deutsche steht jedoch vollinhaltlich zu seiner Wahl.

„Ich bereue nie eine Entscheidung – auch bei meiner Hochzeit nicht, ich bin immer noch extrem glücklich mit meiner Frau“, versuchte sich der 49-Jährige erst an einem Spaß, ehe er Ehrenreichs Nominierung ernsthaft begründete: „Wir wussten, dass wir in dieser Woche drei sehr intensive Spiele haben und ich wollte frisches Blut bringen. Das war die erste Überlegung. Die zweite war, dass Gökdeniz Karadeniz über diese Seite kommt, der immer wieder nach innen zieht und Martin im Defensivverhalten eigentlich gut ist. Leider sind ihm Fehler unterlaufen, das passiert im Fußball. Das wird er verkraften und abhaken. Aber die Entscheidung bereue ich nicht. Ich würde wieder genauso entscheiden. Man macht sich Gedanken, und es hätte auch so sein können, dass er ein gutes Spiel macht und dann hätten alle von einer super Entscheidung gesprochen.“

AVDIJAJS GENIE UND WAHNSINN: Während Ehrenreichs individuelle Fehler zumindest verbal ungestraft bleiben, wird sich Donis Avdijaj tendenziell das eine oder andere Wort der Kritik anhören müssen. „Diese Sache ist ein anderes Thema, aber das werden wir intern regeln“, kündigte Madl an. Dieses Spiel zeigte, wie nahe beim Ausnahmetalent Genie und Wahnsinn beieinander liegen können. Sein traumhafter Weitschuss zum 1:1 brachte die Grazer nach dem frühen Rückstand zurück in die Partie, seine Gelb-Rote Karte in Minute 70 erschwerte indes eine dritte Aufholjagd. Für Kopfschütteln sorgte dabei weniger das ungeschickte Ausschlussfoul selbst, sondern vielmehr seine Gelbe Karte zuvor wegen Meckerns. „Das war unnötig, das darf nicht passieren. Das muss er einfach lernen, dass die Gelb-Rote Karte im Prinzip nur eine Folgeerscheinung dessen war, dass er sich da nicht gut verhalten hat“, bemängelte Foda. Während sein Gegenüber Rinat Bilyaletdinov zur Pause mit Kanunnikov und Ruslan Kambolov zwei verwarnte Spieler in der Kabine ließ, um keinen Ausschluss zu riskieren, war für den Sturm-Trainer eine Auswechslung des 18-jährigen Schlitzohrs kein Thema: „Weil er ein Spieler ist, der den Unterschied ausmachen hätte können. Er konnte sich im Eins-gegen-Eins gut durchsetzen, hatte Lösungen parat und hat ein schönes Tor erzielt. Aber das darf einfach nicht passieren und darüber werde ich mit ihm reden.“

Auch Ehrenreichs Mitspieler wollten nach der unglücklichen Performance nicht den Stab über dem Routinier brechen. „Martin ist erfahren genug, um den Kopf wieder hochzunehmen“, meinte Esser, „das kann jeden treffen. Deswegen sind wir eine Mannschaft und stehen zusammen. Das ist kein Problem.“ Madl meinte: „Ich habe Martin sofort gesagt, dass so etwas immer wieder passieren kann. Solche Fehler kommen im Fußball vor, das passiert den Allerbesten. Da gibt es überhaupt keine Kritik.“ Alles in allem, wenn man sich beispielsweise den fehlerhaften Auftritt von Rapids Stephan Auer gegen Ajax Amsterdam in Erinnerung ruft, war es dennoch nicht unbedingt die Europacup-Woche österreichischer Außenverteidiger.

POSITIVE ERKENNTNISSE: Die Gegentreffer und der Ausschluss von Avdijaj zeugten nicht gerade von der international notwendigen Cleverness. Für Foda bot dieses Kräftemessen im Europacup jedoch nicht ausschließlich Anlass für Kritik. Vor allem die Offensivabteilung, die nach dem Liga-Auftakt gegen die Admira noch in der Kritik stand, weil sie kaum Lösungen präsentierte, gefiel dem gebürtigen Mainzer diesmal wesentlich besser: „Mit dem Spiel nach vorne war ich sehr zufrieden. Die Mannschaft hat alles versucht, mit viel Tempo gespielt, wir hatten Möglichkeiten.“ Zwei Mal gelang es, sich nach Nackenschlägen wieder aufzubäumen und auszugleichen. Neben Avdijajs Traumtor traf auch Simon Piesinger, dessen Gefährlichkeit bei Standardsituationen offenbar nicht bis nach Kazan durchgedrungen ist. Die Aufholjagden kosteten vor allem mentale Kraft. „Man läuft halt immer wieder an und denkt sich, jetzt hat man sie – und dann bekommt man noch das dritte Tor“, ärgerte sich Esser. Dennoch fand Foda: „Wenn du so in Rückstand gerätst, musst du dich erst mal wieder sammeln. Das haben wir getan, wir sind sehr gut zurückgekommen.“

DER GLAUBE AN DAS WUNDER: Zumindest zwei Tore werden in Kazan von Nöten sein, um doch noch den Aufstieg zu schaffen. Ob dies möglich sei? „Haben wir doch heute auch gemacht“, argumentierte Esser, der für das Rückspiel bereits einen perfekten Spielverlauf im Kopf hat: „Wir haben nichts zu verlieren. Wenn wir 1:0 in Führung gehen oder eventuell sogar 2:0, werden die Kollegen schon anfangen zu schwimmen.“ Wohlgemerkt nicht die eigenen Kollegen, sondern jene aus Russland. Ähnlich optimistisch wie sein Goalie präsentierte sich auch Madl: „Das ist natürlich ein scheiß Ergebnis zu Hause, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Aber ich glaube felsenfest daran, dass wir das noch drehen können, denn wir sind rein an uns gescheitert, nicht an der Klasse von Rubin Kazan. Ich habe vor dem Spiel gesagt, dass es zwei sehr gute Tage braucht, um gegen Kazan zu bestehen – den hatten wir im Heimspiel nicht, deswegen benötigen wir nächste Woche einen umso besseren Tag.“ Wobei auch dem Kapitän bewusst ist: „Wir brauchen ein kleines Wunder.“ Foda war im Vorfeld der Partie betont optimistisch und sprach davon, dass ihn ein Heimsieg gegen Kazan nicht überraschen würde. Nach den ersten 90 Minuten in diesem Duell ordnet er die Chancen auf ein Weiterkommen eher zurückhaltend ein: „Die Ausgangssituation vor dem Spiel war besser. Nichtsdestotrotz gab es im Fußball schon Wunder und Überraschungen. Wir werden im Rückspiel alles versuchen, dieses Spiel noch zu drehen, aber man muss auch Realist sein. Es wird sehr schwierig, weil Kazan gerade im Angriff extrem schnelle Spieler hat. Sie haben jetzt alle Trümpfe in der Hand.“

Peter Altmann