news

"Würde Rapid die Favoritenrolle absolut nicht geben"

Wäre Dinamo Minsk nicht bereits für RB Salzburg zum Stolperstein geworden, würde der Europa-League-Starter wohl weiterhin unter dem Radar fliegen.

In dieser Hinsicht ist Rapid gewarnt und geht nach dem Auftaktsieg gegen Villareal gut vorbereitet ins zweite Gruppenspiel, das nicht in der weißrussischen Hauptstadt, sondern in Borisov stattfindet.

Denn die Hütteldorfer haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den kommenden Gegner im Detail zu analysieren und Fehler, die Salzburg vor knapp einem Monat beim Aus im EL-Playoff beging, zu vermeiden.

„Ich würde uns die Favoritenrolle absolut nicht geben“, überrascht Stefan Oesen, seines Zeichens Video-Analyst bei den Grün-Weißen, im Gespräch mit LAOLA1.

Wichtige Erkenntnisse vom Spionage-Trip

Dem 30-Jährigen wurde die ehrenvolle Aufgabe zuteil, die Weißrussen vergangenes Wochenende in der Meisterschaft bei Naftan Novopolotsk (2:2) zu beobachten.

Daraus ergaben sich wichtige Erkenntnisse, die zuzüglich der Partien des österreichischen Double-Gewinners sowie dem EL-Auftritt gegen Pilsen als Basis der akribischen Vorbereitung auf den Kontrahenten gilt.

„Das Auswärtsspiel war aufgrund von starkem Regen unter sehr schwierigen Bedingungen, der Platz war nicht besonders gut und das Stadion sehr fragwürdig“, erzählt Oesen von seinem kilometerlangen Trip nach Weißrussland.

Die Aufzeichnungen und Schlüsse dieser Reise werden dem Trainerteam und der Mannschaft rechtzeitig zur Verfügung gestellt, um sich bestmöglich einzustellen.

„Auch Salzburg hat sich dort die Zähne ausgebissen“

Trainer Zoran Barisic spricht allgemein von einem „sehr unangenehmen Gegner, dem man keinen Raum geben darf und bei dem man bei Standardsituationen höllisch aufpassen muss.“

Stefan Oesen sah Dinamo Minsk auf die Beine

Auch Abwehrchef Mario Sonnleitner geht mit dem nötigen Respekt an die Aufgabe heran und weiß, dass der Auftritt in der Fremde alles andere als ein Selbstläufer wird.

„Alle in der Europa League haben ein gewisses Niveau. Auch Salzburg hat sich dort die Zähne ausgebissen“, so der Steirer, der zuletzt in der Liga gegen Ried gesperrt war.

Die zwei Spiele sind der breiten Öffentlichkeit noch in Erinnerung. Da präsentierte sich Minsk destruktiv, defensiv sehr solide, sorgte aber nach schnellem Umschalten für die nötigen Tore.

Interessantes Team mit viel Dynamik

Alleine daraus kann Rapid viel mitnehmen. Viel deutet auf ein Geduldspiel gegen einen tief stehenden Gegner hin – wie auch schon zuletzt in Amstetten und Ried.

„Das wird sicher keine einfache Aufgabe. Die sind nicht umsonst in der Europa League, auch wenn sie gegen Salzburg vielleicht ein bisschen Glück hatten. Aber sie haben in beiden Spielen sehr gut verteidigt“, weiß der erstmals ins ÖFB-Team einberufene Stefan Schwab.

Video-Analyst Oesen will Dinamo Minsk aber nicht nur auf die starke Defensive reduzieren, sondern erkannte durchaus Aspekte, die auf ein variables, vielseitiges Spiel hindeuten.

„Dinamo Minsk kann auch anders. Man hat schon gesehen, dass sie offensiv - wenn man ihnen das Spiel überlässt und sie Zeit und Raum vorfinden - eine sehr gute Mannschaft sind, die in der Offensive mit sehr interessanten Spielern ausgestattet ist. Sie haben einen guten Wandspieler auf der Neun, dynamische Spieler, die nachrücken. Es ist eine sehr gute Mannschaft, wenn man sie spielen lässt.“

„Sie nehmen ihre Aufgaben sehr ernst“

Je nachdem, wie der serbische Trainer Vuk Rasovic das Spiel seiner Mannschaft anlegt. Den Grundstein des Erfolgs bildet aber die eingespielte Hintermannschaft.

„Sie sind sehr kompakt, nehmen ihre Aufgaben ernst, verschieben im Block, wechseln dort ins 4-4-2 und wollen das Zentrum beschützen. Sie sind im Spiel gegen den Ball sehr diszipliniert“, konnte Oesen vor Ort feststellen.

Obwohl nach dem Studium des Video-Materials schon Unterschiede in der taktischen Ausrichtung zu erkennen waren.

MÖGLICHE AUFSTELLUNGEN:

Während gegen Pilsen und Salzburg auf internationaler Ebene tiefstehen angesagt war und die Konzentration dem Umschaltspiel galt, zeigt Minsk in der heimischen Liga ein anderes Gesicht.

National und international mit zwei Gesichtern

Im europäischen Vergleich forciert Minsk sehr oft den Spielaufbau über den zweiten Ball, steht tief und versucht, die Räume durch Konter auszunützen.

„In der Meisterschaft bauen sie aber eigentlich kontinuierlich auf, haben mehr Ballbesitz und einen anderen Spielaufbau - was im letzten Drittel dann eigentlich nicht so viel Unterschied macht, wie ich den Ball dorthin bringe, weil sie ganz vorne dann sehr variabel sind“, beobachtete Oesen.

„Sie müssen nicht notgedrungen so oder so spielen. Das ist sicher ein Vorteil für sie, dass sie sehr leicht umstellen können.“

Gegen das ballbesitzorientierte Spiel der Wiener mit ihren individuell starken Außenspielern ist die Mauer-Taktik aber durchaus wahrscheinlicher und in dieser Form zu erwarten.

Eine gar nicht übergewichtige Offensivwaffe

Rapids Defensive muss bei den Gegenangriffen vor allem den 27-jährigen Stürmer und montenegrinischen Nationalspieler Fatos Beqiraj unter Kontrolle haben.

„Mit ihm haben sie vorne einen Spieler, der immer sehr gefährlich ist und Spiele entscheiden kann, auch im Alleingang“, ist Barisic über die Qualitäten des Stoßstürmers informiert.

Beqiraj trifft am 9. Oktober mit Montenegro auf Österreich

Auch Oesen konnte beim bulligen Angreifer, der auch mal bei Everton im Gespräch war, nur positive Anlagen erkennen und warnt sein Team vor dem robusten Offensivspieler.

„Beqiraj spielt nicht umsonst in Montenegros Nationalteam, hat auch eine gewisse Historie und ist in der Welt ein bisschen herumgekommen. Der hat schon seine Qualitäten. Da gab es Stimmen, dass er wohl übergewichtig wäre, aber der hat einen sehr gedrungenen Körperbau und ist vielleicht bei den ersten zwei Schritten nicht so wendig wie andere Spieler, etwa Adamovic. Wenn er Raum bekommt und seine Masse in Bewegung setzt, ist er schnell, wuchtig und hat einen super Abschluss mit dem rechten Fuß. Durch seinen Körperbau kann er noch dazu Bälle gut ablegen und sichern, was Minsk entgegenkommt“, holt Rapids Beobachter weit aus.

Keine Tipps von Salzburg, nur Rückschlüsse

Auf Tipps von den leidgeprüften Salzburgern verzichtete man im grün-weißen Lager freiwillig. Laut Oesen hatte dies bestimmte Gründe:

„Das wollten wir ganz einfach nicht. Es ist auch komisch, wenn wir uns zuerst austauschen, Infos haben wollen und schon am Sonntag wieder gegeneinander spielen.“

Außerdem sei man mit ausreichend Video-Material gesegnet, wo man sich bewusst die Auftritte von Rapids Titel-Rivalen noch einmal näher vor Augen führte.

„Es ist immer ganz nett, wenn man den Gegner gut kennt, dann kann man die jeweiligen Gegenspieler gut einschätzen. Ich weiß, was ein Ulmer, Schwegler und andere für ein Leistungs-Niveau haben, wie sie agieren, ob sie schnell sind oder nicht. Wenn sich dann ein Spieler gegen sie im Zweikampf durchsetzt, kann man sehr gute Rückschlüsse ziehen.“

„Wir stellen uns auf alles ein“

Wie gewohnt, will Rapid – möglicherweise in einem Geduldspiel - aber die eigenen Stärken ausspielen. Agieren statt Reagieren heißt auch in Weißrussland die Devise.

„Wir stellen uns auf alles ein. Der Gegner wird es uns sicher schwer machen. Wir können nicht mehr, als alles geben“, meint Barisic und vertritt damit eine ähnliche Meinung wie Video-Analyst Oesen:

„Für uns wird es notwendig sein, dass wir uns an die Gegebenheiten und den Spielverlauf anpassen. Es ist ja grundsätzlich so, dass wir zwar eine Philosophie haben, aber nicht ausrechenbar sein und viele Spielanlagen beherrschen wollen. Darauf wird es ankommen.“

Ob Favoritenrolle oder nicht – für Rapid fliegt Dinamo Minsk dank der Erkenntnisse schon lange nicht mehr unter dem Radar.


Alexander Karper