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De Rossi in Tradition legendärer Liberos

De Rossi in Tradition legendärer Liberos

„Die Italiener mit ihrem halben Libero, da erkenne ich mich selbst wieder.“

So beantwortete DFB-Sportdirektor Matthias Sammer die Frage nach taktischen Besonderheiten bei dieser EURO.

Die angesprochene „Reinkarnation“ des 44-jährigen Deutschen im italienischen Team hört auf den Namen Daniele De Rossi und rief in seinen zwei bisherigen EM-Spielen herausragende Leistungen ab.

Dabei ist die größte Überraschung in den verschiedenen Spielsystemen bei der Endrunde in Polen und der Ukraine eher widrigen Umständen geschuldet.

Aus der Not eine Tugend

Teamchef Cesare Prandelli war gezwungen, auf die personelle Not in der Defensive nach den Ausfällen von Andrea Barzagli und Domenico Criscito zu reagieren, opferte die davor bevorzugte Viererkette und verhalf dem Dreier-Abwehrbund zu einem illustren Comeback.

„Es ist schon bemerkenswert, dass man für Veränderungen immer nur Mut in schwierigen Phasen hat“, stößt Sammer Kritik aus, ohne dabei den sichtbaren Teilerfolg in Frage zu stellen.

Zwar steht Italien nach zwei Spielen noch ohne Sieg da, die Defensive hielt sich in beiden Spielen, allen voran im EM-Auftakt gegen Spanien, aber größtenteils schadlos.

Vom Mittelfeld-Abräumer zum „Aushilfs-Libero“

Für De Rossi selbst bedeutete die erzwungene Umstellung kein absolutes Novum, füllte er in der abgelaufenen Serie-A-Saison im Dress der Roma doch mehrmals diese Rolle aus.

Der mittlerweile geschasste Luis Enrique vertraute vor allem zu Beginn der Spielzeit auf den 28-Jährigen im Abwehrzentrum eines 3-4-3, vier Mal lief der Ersatz-Kapitän der „Giallorossi“ zudem in der Viererkette auf.

Von diesen Defensiv-Erfahrungen profitiert nun auch das Nationalteam, das in De Rossi den prädestinierten Nachfolger für die ehemaligen Granden auf der Libero-Position wie Gaetano Scirea oder Franco Baresi sieht.

Wie der Juventus-Verteidiger der Siebziger und Achtziger Jahre und Milans legendäre Nummer sechs besticht auch der Weltmeister von 2006 neben seinem Zweikampfverhalten durch Qualität im Spielaufbau.

Spielmacher als Verteidiger

Eine Analyse der bisherigen zwei Gruppenspiele offenbart, dass De Rossi auch als defensivster Mann auf dem Platz seiner ursprünglichen Aufgabe, Andrea Pirlo im Spielaufbau zu unterstützen, nachkommt.

Gegen die starken Spanier etwa brachte er 45 seiner 53 Pässe an den Mann und wählte dabei auffällig oft weiter entfernte Anspielstationen auf der Außenbahn. Dies stellte sich als ideale Ergänzung zu Pirlo dar, der vorwiegend mit kurzen Zuspielen aus dem Zentrum operierte.

Die numerische Überlegenheit der Spanier im Mittelfeld – die Del-Bosque-Elf lief nominell in einem 4-6-0 auf – wurde so immer wieder geschickt übergangen.

Pirlo und De Rossi: Italiens Schaltzentrum in unterschiedlichen Rollen

Nicht mehr „letzter Mann“

In der Rückwärtsbewegung hielt die Abwehr der „Squadra Azzurra“ dem Offensiv-Drang der Iberer lange stand, ehe ein Genieblitz von David Silva die Unverwundbarkeit widerlegte. Im zweiten Gruppenspiel fand Kroatien erst dann probate Mittel, als bei den Italienern eine leichte „Laissez faire“-Mentalität in der zweiten Hälfte auszumachen war.

De Rossi ist bei beiden Gegentreffern jedoch die Schuld abzusprechen. Ohnedies muss festgehalten werden, dass die heutige Auslegung des Mittelmannes in der Dreier-Abwehr nicht der historischen Definition eines Liberos entspricht.

Anders als zu Zeiten von Scirea, Baresi oder auch dem eingangs erwähnten Sammer, der ebenso als Mittelfeldspieler umfunktioniert wurde, spielt die Dreierkette meist auf gleicher Höhe, der Roma-Akteur situationsbedingt teils sogar davor. So lässt sich erklären, dass Prandelli schon nach der Spanien-Partie von seinem Schlüsselspieler forderte, „mehr Kontakt zum Mittelfeld zu halten“.

„Mannschaft glaubt an das System“

Da sich mit Barzagli der angestammte Innenverteidiger vor dem Duell mit Giovanni Trapattonis Iren rechtzeitig fit gemeldet hat, spekulieren italienische Medien nun mit einer Rückkehr zum 4-4-2.

„Die Mannschaft glaubt an das System mit De Rossi hinten und ein Trainer darf nicht gegen die Überzeugung der Gruppe agieren. Aus diesem Grund denke ich momentan nicht daran, ihn wieder im Mittelfeld aufzubieten“, widerspricht Prandelli allerdings und fügt hinzu: „Die Sicherheit meiner Spieler ist unsere Stärke“.

Es scheint, als ob die taktische Finesse im Retro-Look den EM-Zusehern noch weiter erhalten bleibt.

Zumindest für eine weitere Partie.


Christian Eberle