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"Ich drücke Deutschland die Daumen"

Das Warten hat ein Ende - die EURO 2012 startet!

Am Freitag um 18:00 Uhr (LAOLA1-Ticker) wird der spanische Schiedsrichter Velasco Carballo das Eröffnungsspiel zwischen Gastgeber Polen und Griechenland in Warschau anpfeifen.

Neben tausenden Fans kann auch Radoslaw Gilewicz den Ankick kaum mehr erwarten. „Endlich geht es los. Alle sind bereit für das Großereignis“, so der 41-Jährige.

Acht Jahre verbrachte der Pole in der österreichischen Bundesliga. Vier Meisterschaften (3x Tirol, 1x Austria) in Folge (2000-2003), zwei Cupsiege (2003, 2005) und der Titel Torschützenkönig 2001 waren die Ausbeute.

2007 kehrte der Stürmer in seine Heimat zu Polonia Warschau zurück, ehe er zwei Jahre später seine aktive Karriere beendete.

Mittlerweile arbeitet „Radogoal“ beim polnischen Fernsehen und ist bei der EURO daher mittendrin statt nur dabei.

Im LAOLA1-Interview spricht Gilewicz über die Chancen der Polen, das Verhältnis zu Co-Veranstalter Ukraine und seine Beziehung zu Jogi Löw.

LOALA1: Endlich startet die Europameisterschaft. Wie große ist die Freude, dass es losgeht?

Radoslaw Gilewicz: Die Freude ist natürlich riesengroß. Einzig das Wetter bereitet noch Sorgen. Es ist nicht wirklich schön, aber ich hoffe, dass es besser wird. Im Ernst, alle sind bereit für das Großereignis. Es kann losgehen.

LAOLA1: Wie würdest du die Stimmung im Land beschreiben. Herrscht schon eine gewisse Euphorie?

Gilewicz: Euphorie würd ich noch nicht sagen. Es ist eine Vorfreude vorhanden. Die Euphorie kommt, wenn Polen erfolgreich spielt. Wenn man gewinnt, kommt sie automatisch Die Stimmung ist jedenfalls sehr, sehr positiv – innerhalb der Mannschaft, bei der Bevölkerung und in den Medien. Viel wird auch vom Auftakt gegen Griechenland abhängen. Der Gegner ist in Ordnung. Ich will nicht sagen, dass Polen hundertprozentig gewinnen wird, aber die Chancen stehen gut.

LAOLA1: Ist das Auftaktmatch für Polen eine dankbare Aufgabe bzw. ist es gleich ein Schlüsselspiel für den weiteren Verlauf?

Gilewicz: Ich denke schon. Bei der WM 2006 in Deutschland und bei der EURO 2008 in Österreich und der Schweiz haben wir das erste Spiel nicht gewonnen. Deshalb hatten wir in Folge Probleme und sind jeweils in der Vorrunde ausgeschieden. Daher ist es ganz wichtig, dass man das erste Match in einem Turnier gewinnt. Polen trifft im zweiten Gruppenspiel auf Russland – ein schwieriger Gegner. Dabei geht es auch um das Prestige. Deswegen wäre ein Sieg beim Eröffnungsspiel ganz wichtig.

LAOLA1: Wem drückst du außer Polen die Daumen?

Gilewicz: Deutschland. Speziell wegen Jogi Löw. Ich kenne ihn sehr gut, habe bei drei Vereinen (Stuttgart, Tirol und Austria, Anm. d. Red.) mit ihm zusammengearbeitet. Wir stehen nach wie vor in Kontakt. Ich drücke ihm die Daumen. Wenn Polen allerdings im Viertelfinale auf Deutschland trifft, ist es eine andere Sache (lacht).

LAOLA1: Wie würdest du das Verhältnis mit Co-Veranstalter Ukraine bezeichnen?

Gilewicz: Es gibt wenig Kontakt. Wir haben wenige Informationen. Ich bin mit dem polnischen Fernsehen in der Ukraine in Kharkiv stationiert, werde über die Gruppe B berichten. Ich habe gemischte Gefühle. Es gibt innerhalb des Landes große Probleme – speziell im Fall Tymoschenko. Ich hoffe, dass Turnier wird nicht zu politisch. Der Sport sollte im Vordergrund stehen. Ich finde es schade, aber man muss es akzeptieren. Persönlich wünsche ich mir, dass nichts passieren wird, denn Julija Tymoschenko ist ja in Kharkiv inhaftiert.

LAOLA1: Könnte der Heimvorteil der Mosaikstein für eine erfolgreiche EM sein?

Gilewicz: Möglicherweise. Zuhause spielt man jedenfalls mit großer Freude, andererseits auch mit großem Druck. Wir haben aber erfahrene Spieler, die mit dieser Situation umgehen können. Ich bin der Meinung, dass wir mit der positiven Stimmung der Fans jeden Gegner schlagen können. Sollten wir ins Viertelfinale kommen, würden wir auf eine Mannschaft aus der Gruppe B treffen. Ob das Portugal, Deutschland oder Niederlande sein wird, kann man noch nicht sagen, weil alles möglich ist. Ich wünsche mir jedenfalls Deutschland. Wir wollen aber erst einmal unsere Gruppe überstehen. Das wird nicht einfach, ist aber machbar.

LAOLA1: Würdest du deinen Landsleuten gar den Titel zutrauen?

Gilewicz: Nein. Das muss man ehrlich zugeben. Die Qualität reicht nicht für den Titel. Wir haben sicher eine bessere Mannschaft als 2008, aber es reicht nicht für den ganz großen Coup. Der Viertelfinaleinzug wäre schon eine tolle Sache. Gelingt noch mehr, wäre es für mich eine Sensation.

LAOLA1: Wieviel hängt von der Form der Dortmund-Achse Piszczek, Blaszczykowski und Lewandowski ab?

Gilewicz: Diese Drei haben schon internationale Klasse. Das muss man sagen. Sie hatten eine sensationelle Saison und sind super drauf. Ich hoffe, sie beflügeln das Team. Es gibt aber nicht nur das Trio. Tormann Szczesny hat trotz seiner erst 21 Jahre schon über 50 Pflichtspiele für Arsenal bestritten. Er kann alleine Spiele gewinnen. Nicht zu vergessen Spielmacher Obraniak von Bordeaux.

LAOLA1: Als Schwachstelle gilt dafür die linke Abwehrseite, oder?

Gilewicz: Das ist richtig. Aus mangelnden Alternativen wird Boenisch von Werder Bremen dort zum Einsatz kommen. Sein Problem: Er hat in den letzten zwei Jahren kaum gespielt. Es wird für ihn daher schwer werden. In der Meisterschaft kann man sich ein paar Fehler leisten, kann es sich erlauben, nicht gut auszusehen. Bei einer EM sollte man aber keine Schwäche zeigen. Ich hoffe, dass ich mich täusche, aber auf links haben wir Probleme. Ansonsten ist das Team gut aufgestellt.

LAOLA1: Wer ist für dich der Favorit auf den Titel?

Gilewicz: Deutschland oder Niederlande. Warum? Es gibt kein anderes Team, das so hungrig und ausgeglichen ist. England hat Verletzungspech, Italien hat Probleme durch den Korruptionsskandal. Frankreich wird erst in zwei Jahren ein heißer Tipp sein und Spanien hat bereits alles gewonnen.

LAOLA1: Wie störend sind die negativen Berichte über die Ukraine für Polen?

Gilewicz: Ich bedauere, dass Polen die EURO 2012 nicht alleine ausgetragen hat. Wir hätten bestimmt auch sechs Stadien zur Verfügung stellen können. Ich möchte aber wirklich nicht negativ über die Ukraine reden – das steht mir auch nicht zu. Doch durch die Schwierigkeiten im Land rückt das sportliche Ereignis in den Hintergrund. Kaum jemand spricht dort über die EM, sondern nur über die Probleme.

LAOLA1: Es stellt sich dann natürlich die Frage, warum sich Polen auf einen Partner wie die Ukraine eingelassen hat?

Gilewicz: Ich glaube, das hat viel mit UEFA-Exekutivkomitee-Mitglied Grigory Surkis zu tun. Er ist auch Präsident des ukrainischen Fußballbunds. Er hatte die Idee, die EM im eigenen Land auszutragen. Sie haben Polen als Partner ausgesucht. Es hat also viele politische Gründe.

LAOLA1: Abschließend: Kann die EURO 2012 das letzte Ereignis in Österreich und der Schweiz toppen?

Gilewicz: Ja. Unser Land schon. Seit Tagen gibt es im Fernsehen nur Fußball. Es wurden alle Trainings von Deutschland, Niederlande, Portugal usw. gezeigt. Vieles hängt aber mit dem Auftritt der polnischen Nationalmannschaft zusammen. Spielt sie gut, wird es eine fantastische EURO, die alle Erwartungen erfüllen wird.

Das Gespräch führte Martin Wechtl