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Die zwei Gesichter von Borussia Dortmund

Die zwei Gesichter von Borussia Dortmund

In Dortmund sehnen sie Mittwochabend herbei.

Endlich wieder Champions League.

Während sich der deutsche Vize-Meister auf nationaler Ebene einer handfesten Krise gegenübersieht, läuft es auf europäischem Parkett wie am Schnürchen.

Zwei Spiele, sechs Punkte, 5:0 Tore. Mit einem weiteren Erfolg bei Galatasaray (ab 20:45 Uhr LIVE im LAOLA1-Ticker) würde der BVB die Tür für die K.o.-Phase weit aufstoßen.

Überschattet wird die makellose Europacup-Bilanz von einer desaströsen Liga-Ausbeute. Mit gerade mal sieben Pünktchen aus acht Spielen finden sich die Borussen auf dem 14. Tabellenplatz wieder.

In den Reihen der Westfalen macht sich zunehmend Ratlosigkeit breit. Aus Schwarz-Gelb wird Schwarz-Weiß. Unter der Woche läuft‘s, an den Wochenenden herrscht Tristesse.

Die Frage nach dem Sinn

„Wir haben eine Art Fußball gespielt, die absolut keinen Sinn macht“, schüttelte Jürgen Klopp fassungslos den Kopf, nachdem sein Team dem 1. FC Köln mit 1:2 unterlag. Es war ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Der zweifache Meistertrainer findet kein Mittel gegen die sich weiter verschärfende Krise.

Der eloquente, sonst immer zu einem Scherz aufgelegte 47-Jährige wirkt verzweifelt und ratlos. Wie schon in den Wochen zuvor bemängelte er eine hohe Fehlpassquote sowie einfache Fehler. Nur 78 Prozent aller Pässe brachten seine Mannen in dieser Saison an den Mann. Zum Vergleich: Branchenprimus FC Bayern hält bei 87,2 Prozent.

„Sogenannte Führungsspieler“

„Es fehlt an Konsequenz im Offensiv- und im Defensivbereich. Wir schenken die Tore wieder her. Sogenannte Führungsspieler machen kapitale Böcke“, schimpfte Sportdirektor Michael Zorc. Seine Wortwahl ist erstaunlich, denn die „sogenannten Leistungsträger“ waren Mats Hummels und Roman Weidenfeller.

Kapitän Hummels war maßgeblich am ersten Gegentreffer beteiligt, Vize-Kapitän Weidenfeller verschuldete das Siegtor der „Geißböcke“. Es ist frappierend, in welch schlechter Form sich zahlreiche Stammspieler der letzten Jahre präsentieren. Auch die (weiteren) Weltmeister Erik Durm, Matthias Ginter und Kevin Großkreutz sind aktuell weit von ihrer Bestform entfernt.

Viel zu viele Gegentore

Während der Vize-Meister selbst 14,2 Torschüsse braucht, um zu treffen, benötigen die Gegner im Schnitt nur 5,1, um Weidenfeller ein Tor einzuschenken. Die neu zusammengestellte Offensive um Rückkehrer Shinji Kagawa, Adrian Ramos und Ciro Immobile erzielte bislang lediglich zehn Treffer, die beiden Stürmer konnten Robert Lewandowski nicht ansatzweise ersetzen.

Dem gegenüber stehen 14 Gegentore, die man sich bisher einfing – nur Schießbude Werder (22), die Hertha (16) und der VfB Stuttgart (15) kassierten mehr. Es brennt an mehreren Fronten.

Jürgen Klopp: "Die ganz großen, schlaue Sprüche habe ich nicht auf Lager."

Keine schlauen Sprüche

„In so einer Phase muss man sich überlegen, ob es nicht besser ist, erst mal defensiv sicher zu stehen und aus einer kompakten Abwehr heraus zu agieren“, deutete Trainer-Legende Ottmar Hitzfeld gegenüber „Sport Bild“ an, einen konservativeren Stil dem Klopp’schen Hurra-Fußball – zumindest vorübergehend - vorzuziehen. Berthold pflichtete ihm bei, Klopp sollte „seinen taktischen Stil überdenken“. In so einer Phase müsste man „sicher stehen, Fehler abstellen“.

Der will davon nichts wissen und kündigte an, seiner Linie treu zu bleiben. „Wir müssen die Fehler abstellen. Nicht morgen, nicht übermorgen, sondern sofort!“, forderte er, ohne eine Lösung zu präsentieren, wie er das anstellt. Anders lässt sich sein „die ganz großen, schlauen Sprüche habe ich nicht auf Lager. Das ist ganz, ganz hart für uns“ bei „Sky“ nicht erklären.

Rückkehrer brachten (noch) keine Wende

Die erhoffte Erlösung durch die Rückkehr einiger Verletzter blieb zuletzt aus und warf weitere Fragen auf. Reihenweise meldeten sich Kritiker, die Klopps Entscheidung, Marco Reus und Ilkay Gündogan (nach 430 Tagen Pause) ad hoc in Köln in die Startformation zu hieven, in Frage stellten.

Speziell Gündogan war anzumerken, dass er noch Zeit braucht. Das Timing bei den Zweikämpfen war naturgemäß suboptimal, wenngleich er auf Anhieb mit vielen Ballkontakten versuchte, das Spiel an sich zu reißen.

Charakterfrage stellt sich

Die Tatsache, dass die Westfalen international ihr Potenzial ausschöpfen, national aber nicht, verwundert und wirft die Charakterfrage auf: Haben Hummels und Co. die Bundesliga bereits abgeschrieben und konzentrieren sich daher voll und ganz auf die Königsklasse?

Schwer vorstellbar, aber es wäre ein Armutszeugnis für die Mannschaft und ein Schlag in die Magengrube der Klubverantwortlichen. Dank einer Kapitalerhöhung lukrierten die Borussen zu Saisonbeginn 114 Millionen Euro und wollten Jagd auf die Bayern machen.

Funktioniert das Team noch?

„Mental, körperlich und fußballerisch ist der BVB in keiner guten Verfassung. Es gibt nicht einen Spieler, der auf seinem höchsten Niveau agiert“, kritisierte „Sport1“-Experte Thomas Berthold. Sein Kollege Thomas Strunz ging sogar noch einen Schritt weiter.

„In Dortmund muss man sich fragen, ob die Mannschaft noch funktioniert“, mutmaßte er, dass es intern rumort. „Die Mannschaft spürt, ob der Weg des Trainers wirklich der Truppe entspricht. Mir fällt auf, dass der letzte Biss fehlt.“

Schuld abwälzen ist zu einfach

Kritik an Klopp – Neuland für den erfolgsverwöhnten Fußballlehrer, der in den letzten sechs Jahren von Fans und Medien angesichts seiner Erfolge mit Samthandschuhen angefasst wurde. Zwar steht die Teamführung weiterhin voll und ganz hinter dem Coach, doch es wäre zu einfach, wie Zorc alle Schuld der Mannschaft zuzuschieben.

Die Schwächen sind eklatant, vor allem, wenn der BVB selbst das Spiel machen muss. Entsprechend selbsterklärend ist auch die beste Saisonleistung. Beim 2:0-Sieg über den FC Arsenal wollten die “Gunners“ mitspielen, konnte Dortmund sein spektakuläres Umschaltspiel aufziehen.

Wo bleibt Plan B?

Es scheint, als fehle ein Plan B. Seit seinem Amtsantritt 2008 hat Klopp den BVB zu einer „Pressing-Maschine“ entwickelt, die Mannschaft frisst Kilometer wie kaum eine andere. Aus großen Ballbesitzanteilen, wie etwa Pep Guardiola sie präferiert, macht sich der Blondschopf nichts.

Jene 64 Prozent, die der BVB in Köln hatte, bezeichnete er als „unnützen Kram“. Klopp will auf Biegen und Brechen sein Spiel durchziehen und weicht nicht von seinem Weg ab. Grundsätzlich eine positive Eigenschaft, die inzwischen aber in Sturheit ausartet.

„Im Hinblick auf Hannover (Samstag, 15:30 Uhr, Anm.) ist es ein megawichtiges Spiel, um ein gutes Gefühl mit nach Hause zu nehmen“, erklärte Zorc. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, der sich zuletzt entgegen seiner Gewohnheit auffällig zurückhielt, ergänzte, man wolle sich „ein Stück weit Sicherheit holen“.

Taten statt lauter Worte

Klopp, der sich bislang immer vor die Mannschaft stellte und sich nach schlechten Leistungen „diesen Schuh anziehen“ wollte, ist in der Bringschuld. Die Stimmung innerhalb des Klubs ist aktuell nicht die beste. „Nach dem Spiel gegen Köln wurde es deutlich lauter, klarer und fordernder“, verriet der 47-Jährige im Rahmen der Pressekonferenz vor dem Galatasaray-Spiel.

Am Mittwochabend werden laute Worte nicht reichen. Es wird Zeit, endlich Taten für sich sprechen zu lassen.

 

Christoph Nister

Lücke könnte größer werden

Der BVB kann es sich nicht leisten, die Champions League zu verpassen. Seit Jahren klagt man, dass man finanziell nicht mit dem Rivalen von der Isar mithalten kann. Ein Verpassen der Königsklasse käme daher einer mittleren Katastrophe gleich und würde die monetäre Lücke zwischen den beiden erfolgreichsten deutschen Klubs der letzten Jahre weiter vergrößern.

Von der Bayern-Jagd redet in Dortmund ohnehin niemand mehr. „Wir müssen nicht von Titeln reden“, hakte Zorc die Meisterschale schon Ende September ab. „Wir müssen sehen, dass wir da unten rauskommen“, stellte er am Wochenende klar.

BVB braucht Sicherheit

In der ersten „echten Krise“ (Zorc: „Wie soll man sonst noch dazu sagen“) seiner Amtszeit ist Klopp gefordert wie nie. Eilte er bislang von Erfolg zu Erfolg, muss er sich nun aus dem Tabellenkeller rausarbeiten. Aufbauhilfe soll dabei die Champions League leisten.