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"Diese dummen Leute kriegst du nicht los"

Wenn ZSKA Moskau heute Abend den FC Bayern München zum zweiten Gruppenspiel in der Champions League empfängt (ab 18 Uhr live im LAOLA1-Ticker), dann tun das die Russen vor leeren Rängen.

Grund für das Geisterspiel sind rassistische Vorfälle in der Vergangenheit. Leider kein Einzelfall in Russland, dem WM-Veranstalter von 2018.

"Das ist zum Verzweifeln"

Der Fremdenhass ist in Putins Reich allgegenwärtig, nicht nur in den Fußballstadien, sondern auch im täglichen Leben. Gewaltsame Überfälle auf Migranten sind keine Seltenheit, rassistische Schimpfwörter sind fixer Bestandteil des gängigen Sprachgebrauchs.

In Umfragen gaben mehr als die Hälfte der Russen an, bestimmte ethnische Minderheiten des Landes verweisen zu wollen. Man glaubt, Ausländer würden Arbeitsplätze wegnehmen. Der Polizei wird nachgesagt, auf der Straße überproportional häufig Menschen zu kontrollieren, denen man ansieht, dass sie anderer Herkunft sind. Die regelmäßigen Vorfälle im russischen Fußball spiegeln nur ein gesamtgesellschaftliches Problem wieder, das im größten Land der Erde besonders ausgeprägt ist.

"Das ist zum Verzweifeln, diese dummen Leute kriegst du nicht los", zeigt sich Kevin Kuranyi gegenüber der "Welt am Sonntag" geknickt.

Samba nach Fan-Beschimpfungen gesperrt

Der ehemalige deutsche Nationalspieler mit brasilianischen Wurzeln spielt seit 2010 für Dynamo Moskau und hat in seinen bald viereinhalb Jahren in Russland schon mehrere Zwischenfälle miterlebt. "Vergangenes Wochenende hatten wir ein Spiel gegen Torpedo Moskau, da sind unsere dunkelhäutigen Spieler von gegnerischen Fans provoziert worden", berichtete der 32-Jährige.

Sein Teamkollege Christopher Samba wurde Opfer der Torpedo-Fans und reagierte mit dem ausgestreckten Mittelfinger. Daraufhin wurde er zur Pause ausgewechselt und vom russischen Verband nachträglich mit einer Sperre von zwei Spielen bedacht.

Der kongolesische Nationalspieler entschuldigte sich zwar, stellte aber auch klar: "Ich will Fußball spielen und muss mir keine rassistischen Sticheleien anhören." Nicht zum ersten Mal wurde Samba Ziel von Provokationen, schon in seiner Zeit bei Anzhi Makhackkala wurden ihm in einem Auswärtsspiel bei Lok Moskau Bananen vor die Füße geworfen.

Samba wurde erneut Opfer

Torpedo fasste für das nächste Match einen Teilausschluss der Fans aus. "Die (vom Verband, Anm.) versuchen schon viel zu tun, aber die auf den Rängen, das sind einfach Leute, die nichts im Kopf haben. Mich erschüttert das immer wieder. Wir leben im Jahr 2014, solche Sachen dürfen einfach nicht mehr passieren", sagt Kuranyi.

Rummenigge gegen Geisterspiel

Die Stadion-Sperre gegen ZSKA sieht der Stürmer als Schritt in die richtige Richtung, er erwartet aber auch mehr Initiative auf den Rängen. "Dass die UEFA durchgreift, finde ich gut, so ein Geisterspiel ist ein klares Zeichen, auch wenn es damit auch die Fans erwischt, die mit Rassismus nichts am Hut haben. Es bräuchte bei uns hier sicher mehr Zivilcourage. Seinem Nachbarn auf der Tribüne zu sagen, er solle seinen Mund halten, wenn er mit Affenlauten anfängt, das wäre ein erster großer Schritt."

Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge sieht den Ausschluss aller Zuschauer indes als schlechten Ansatz. "Das ist einfach nur schade, das braucht niemand. Es tut mir für unsere Fans leid", forderte er, zumindest den Fans der Münchner Einlass zu gewähren.

"Fußball ist Atmosphäre, Fußball ist Emotion. Aber dort werden bis auf ein Häuflein Funktionäre und Journalisten keine Menschen im Stadion sein. Einige Fans von uns haben seit 25 Jahren kein Auswärtsspiel verpasst. Aber diesmal mussten wir ihnen mitteilen, dass sie nicht reinkommen, auch wenn sie sich nichts zu Schulden haben kommen lassen", erläuterte Rummenigge.

Wiederholungstäter ZSKA

Das Geisterspiel bekam ZSKA für Vorfälle in der vergangenen CL-Saison aufgebrummt. Verschiedene rassistische und rechtsextreme Symbole der Moskauer Anhänger im letzten Gruppenspiel bei Pilsen veranlassten die UEFA zu diesem Schritt, der auch ZSKAs Rolle als Wiederholungtäter geschuldet war.

Schon im Spiel gegen Manchester City war Yaya Toure beleidigt worden. Im Zuge dessen geriet auch die Weltmeisterschaft 2018 in den Fokus.

"Wenn wir uns bei der WM nicht sicher fühlen, kommen wir nicht nach Russland", stellte der Star der Elfenkeinküste damals einen Boykott der afrikanischen Teams in Aussicht.

Kein Einfluss auf WM 2018

Für FIFA-Boss Sepp Blatter steht Russland 2018 aber weder wegen der Ukraine-Krise, noch wegen des Rassismus-Problems zur Diskussion.

"Wir stellen die WM in Russland nicht in Frage. Wir sind in einer Situation, in der wir den Organisatoren der WM 2018 und 2022 (Katar, Anm.) unser Vertrauen aussprechen", erklärte der Schweizer unlängst und sprach sportlichen Sanktionen eine Wirkung auf die Politik ebenso ab, wie etwa DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.

Dass sich Blatter bei selber Gelegenheit für ein härteres Vorgehen gegen Rassismus stark machte und meinte, "Ich bin für Punktabzüge oder einen Ausschluss aus dem Wettbewerb. Dann hört das auf. Das verspreche ich", ließ den FIFA-Präsidenten dabei einmal mehr inkonsequent erscheinen.

Kritik an der FIFA-Umgang mit Diskriminierung

Und dass, obwohl selbst aus den eigenen Reihen Kritik aufkommt. Jeffrey Webb, Chef der Anti-Diskriminierungs-Arbeitsgruppe der FIFA, monierte schon nach der WM in Brasilien Entscheidungen der FIFA-Disziplinarkommission. Er prangerte u.a. an, dass die mexikanischen Fans vom Vorwurf homophober Gesänge freigesprochen wurden und keine Ermittlungen gegen die Verbände Russlands und Kroatiens eingeleitet wurden, trotz Fan-Transparenten mit Nazi-Symbolen in den Stadien.

Webb sieht Handlungsbedarf in Russland

"Viele Menschen zählen auf uns, und alles was ich will, ist Gleichheit. Menschen sind für den Wunsch nach Gleichheit gestorben. Aber es ist offensichtlich, dass es einen Unterschied gibt, zwischen dem, was wir in der Task Force als Rassismus betrachten und dem, was das Disziplinarkomitee als Rassismus und Diskriminierung ansieht", sagte Webb.

Für 2018 sieht er besonderen Handlungsbedarf: "Es ist ein viel größeres Problem in Russland. Russland braucht selbst eine spezielle Task Force, nur für Russland, aus Erziehungsgründen."

Russlands Rassismus-Problem ist ein Thema und muss es auch bleiben. Wenngleich niemand mit einem Fußballmatch auf höchstem Niveau vor leeren Rängen glücklich ist, bleibt zumindest die Hoffnung, dass das Geisterspiel zwischen ZSKA und dem FC Bayern vielleicht einen kleinen Teil zur Veränderung beitragen kann.

 

Christoph Kristandl