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"Das sind wir aus der Bundesliga nicht gewohnt"

Bundesliga und internationales Geschäft sind halt doch zwei Paar Schuhe.

Das musste Rapid beim 2:2 im Hinspiel der CL-Quali gegen Ajax Amsterdam am eigenen Leib erfahren.

Jene Qualitäten und kadertechnischen Möglichen, die innerhalb Österreichs bewundert werden, erscheinen im Europacup in einem anderen Licht.

Fehlt Rapid die nötige Reife? Einige Schwächen offenbarten, dass dem Trainerteam vor den anstehenden Aufgaben noch viel Arbeit bevorsteht.

Ein lehrreiches Spiel

„Wir haben schon vor der Partie gewusst, dass es ein lehrreiches Spiel für uns wird. Wir sind noch eine junge Mannschaft und können viel mitnehmen“, musste Florian Kainz, Torschütze zum zwischenzeitlichen 1:2, zugeben.

Und zog Gegner Ajax gleich als positives Beispiel heran: „Ajax ist allerdings auch jung und mutig. Wir müssen schauen, dass wir in Amsterdam auch so mutig spielen.“

Die Anspannung vor 43.200 Zuschauern war vielen Spielern ins Gesicht geschrieben. Kein Wunder, war es doch für einige der erste internationale Auftritt bzw. der erste Probegalopp in einem fast ausverkauften Ernst-Happel-Stadion.

„Von Ehrfurcht würde ich nicht sprechen. Ich glaube, der nötige Respekt war da, vielleicht war er ein bisschen zu groß“, verwies mit Stefan Stangl einer der unerfahrenen Profis auf diesem Level auf die mentale Belastung gegen einen Top-Klub wie Ajax.

Reifeprüfung auf höchstem Niveau

Gerade auf den Außenpositionen wurde die fehlende Erfahrung offensichtlich. Einen besonders schweren Stand hatte Neuzugang Stephan Auer, der teilweise überfordert wirkte.

Allerdings nicht nur aus Eigenverschulden, sondern auch aufgrund der vernachlässigten Defensivarbeit seiner Vorderleute, besonders des enttäuschenden Philipp Schobesberger.

"Wir haben noch nicht die großen Gradmesser gehabt und müssen erst in die Saison reinfinden. Wir haben auch Spieler, die das noch nicht gespielt haben oder das Niveau noch nicht kennen, dadurch war es schwierig“, brachte es Trainer Zoran Barisic auf den Punkt.

Auer muss sich vorwerfen lassen, Fehler im Stellungsspiel begangen, nach Offensivaktionen teilweise zu langsam zurück in die Ausgangsposition gefunden und im Eins-gegen-Eins nicht die nötige Durchschlagskraft an den Tag gelegt zu haben.

Neo-Außenspieler mit Verbesserungsbedarf

Beim 0:1 hielt sich der Ex-Admiraner zu zentral auf und rutschte beim Versuch, den Stellungsfehler wett zu machen, entscheidend weg. Beim 0:2 war er nach einer Angriffsaktion noch im Offensivmodus, Thanos Petsos verabsäumte es, als Sechser den Raum zuzustellen, weshalb Mario Sonnleitner nach außen rücken musste, jedoch die Flanke von Arek Milik auf Doppeltorschütze Davy Klaassen nicht mehr verhindern konnte.

Zudem verlor Stangl das entscheidende Kopfballduell. Der 23-jährige Steirer hinterließ jedoch den besseren Eindruck, wurde vom umtriebigen Florian Kainz aber auch tatkräftig unterstützt. Vor allem werden bei ihm kleinere Fehler aufgrund erfolgreicher Vorstöße und Offensivaktionen besser kaschiert als beim harmloseren Pendant auf rechts.

„Sicher war es ein besonderes Spiel, aber man muss im Kopf rein sein, um wie in jede andere Partie hineinzugehen. Aber sicher, gegen Ajax spielt man nicht jeden Tag, das ist eine sehr gute Erfahrung“, stellte Stangl fest.

Bezahltes Lehrgeld

Nicht nur die Außenverteidiger mussten Lehrgeld zahlen, auch in der Mitte klaffte immer wieder ein großes Loch. Anders als gewohnt, versuchte Ajax auf alle Probleme eine spielerische Antwort zu finden.

„Ich denke, dass wir es aus der Bundesliga nicht hundertprozentig gewohnt sind, dass der Gegner alles von hinten herausspielt“, merkte Kainz an.

Dass auch routiniertere Spieler wie Stefan Schwab Aussetzer haben können, wurde beim Horror-Foul, das zum Ausschluss führte, offensichtlich.

Auch wenn der Mittelfeldabräumer jegliche Absicht bestreitet, stand die Gesundheit von Jairo Riedewald auf dem Spiel. Ajax-Coach Frank de Boer forderte für das Einsteigen, das im Internet international für Aufsehen sorgte, sogar eine Sperre von acht Spielen. Eine Aktion, die selbst in der Hitze des Gefechts nicht zu entschuldigen ist.

Lernprozess für Übeltäter Schwab und Co.

Die Strafe folgt jedoch auf dem Fuß, spätestens dann, wenn der UEFA-Strafsenat über das Strafmaß entscheidet. Somit wird Schwab Rapid nicht nur gegen Ajax geschwächt haben, sondern wohl auch längere Zeit im Europacup nicht zur Verfügung stehen.

Mitunter handelt es sich bei allen Beteiligten um einen Lernprozess. Dieser könnte jedoch schon weiter fortgeschritten sein, hätte man vergangene Saison nicht durch das Ausscheiden im Europa-League-Playoff gegen HJK Helsinki wertvolle Erfahrungen auf diesem Niveau leichtfertig hergeschenkt.

Barisic kann diese Sichtweise nachvollziehen. Da er die Zeit jedoch nicht zurückstellen kann, gilt der Fokus nun der Stärkung der Außenbahnen, dem konsequenteren Attackieren, dem Zustellen von Räumen sowie der Vermeidung leichtfertiger Ballverluste im Spielaufbau.

Ein Anfang wurde mit einer beherzten Vorstellung in der zweiten Halbzeit bereits gemacht. „Zoki“ ist sich auch sicher, dass ein ähnlicher Aussetzer wie während der ersten 45 Minuten nicht mehr vorkommen wird.

„Kann schauen, wie weit man in Europa ist“

„Es ist wichtig für die neuen und jungen Spieler, weil sie nun sehen, dass man gegen solche Mannschaften Tore erzielen und bestehen kann. Das ist für den Kopf viel besser. Man kann davor hundert Mal reden, dass wir gut und stark sind. Aber die Wahrheit liegt auf dem Platz“, streicht Sonnleitner die positiven Erkenntnisse des Remis in Wien hervor.

Mit dem nötigen Mut und Spielwitz, der großteils noch auf der Strecke blieb, ist selbst der Aufstieg noch ein Thema. Allerdings nur, wenn rechtzeitig an den richtigen Schrauben gedreht wird.

„Ajax ist ein sehr hoher Gradmesser und man kann schauen, wie weit man in Europa ist. Das ist für uns sehr wichtig“, wusste auch Stangl.

Fehlende Reife soll schon bald nicht mehr als Ausrede herhalten müssen.


Alexander Karper