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The Normal One

The Normal One

Der Hipness-Faktor geht gegen Null. Carlo Ancelotti scheint nicht so recht in seine Zeit zu passen.

Da wäre etwa Jürgen Klopp, der Typ. Ein Mann, dessen Ruhepuls bei rund 100 Schlägen pro Minute zu liegen scheint. Oder Pep Guardiola, das Genie. Ein Mann, der das Tiki-Taka perfektioniert hat, dem die Fach-Welt zu Füßen liegt, wenn er nicht gerade gegen Real Madrid untergeht (Nachbericht). Oder Jose Mourinho, der Exzentriker. Der Mann, dem Erfolg über alles zu gehen scheint.

Und da ist Ancelotti. Der Mann, dem – zumindest im deutschsprachigen Raum – wenig bis gar nichts nachgesagt wird. Es mag daran liegen, dass er keiner dieser jungen, aufstrebenden Generation ist. Es mag auch daran liegen, dass er aus einem Land kommt, das seit einigen Jahren fußballerisch nicht mehr als der letzte Schrei gilt.

"Mit ihm hat noch nie jemand Probleme gehabt"

In erster Linie liegt es aber daran, dass der Italiener einfach nicht aneckt. Der 54-Jährige arbeitet, ohne großes Aufsehen zu erregen. Keine Verschwörungstheorien und absurde verbale Angriffe auf Schiedsrichter, keine bösen Worte gegen die Kollegen, keine Wutausbrüche an der Seitenlinie.

Während eines Spiels ist „Carletto“ im Vergleich zu Klopp, Mourinho und Diego Simeone scheintot. Der Kaugummi macht in seinem Mund ungefähr genausoviele Meter wie Ancelotti in der Coaching-Zone.

„Mit ihm hat noch nie, nie, nie jemand Probleme gehabt“, sagt Arrigo Sacchi, unter dem er von 1992 bis 1995 als Co-Trainer des italienischen Nationalteams gearbeitet hat. Das ist nicht zuletzt beachtlich, wenn man sich die Klub-Eigentümer bzw. Präsidenten, unter denen der Real-Coach gearbeitet hat, ansieht.

"Mein Hintern ist erdbebenresistent"

Die Agnellis bei Juve, Silvio Berlusconi beim AC Milan, Roman Abramovich beim Chelsea FC, die katarische Herrscher-Familie bei Paris St. Germain und nun Florentino Perez in Madrid. Allesamt keine Persönlichkeiten, die die Konfrontation scheuen.

„Mein Hintern ist erdbebenresistent. Die Trainerbänke unter mir haben schon alle Ausschläge auf der Richterskala ertragen müssen“, schreibt Ancelotti in seiner Autobiographie. Es ist seine Einstellung zum Leben, die ihn mit dem Druck umgehen lässt.

Ein Bild aus den Anfangstagen als Trainer - 1996 beim FC Parma

„Ich bin nicht so deprimiert, wenn das Resultat schlecht ist, und ich bin nicht so glücklich, wenn das Resultat gut ist“, sagt der Italiener. Das spüren freilich auch seine Spieler. Das ist eine der größten Stärken dieses Mannes – seine Unaufgeregtheit.

Die Befriedung der "Königlichen"

Deswegen scheint der ehemalige Mittelfeldspieler, der als Aktiver 26 Länderspiele bestritten hat, auch so gut zu den „Königlichen“ zu passen. Nachdem Mourinho die Madrilenen verlassen hatte, glich die Kabine einem Schlachtfeld. Grüppchen-Bildung, vermeintliche Maulwürfe und in Ungnade gefallene Legenden. Ancelotti hat Ruhe und Frieden gebracht. In einem Verein, für den nicht nur der unbedingte Erfolg, sondern auch noch die Art und Weise, wie er eingefahren wird, zählt, eine Kunst.

Der Coach hat Iker Casillas rehabilitiert, er hat es irgendwie geschafft, dass Gareth Bale nicht an seinem Preisschild zerbricht, er hält Cristiano Ronaldo mit verbalen Streicheleinheiten bei Laune. Und das Wichtigste: Er hat Real erstmals seit 2002 wieder ins Finale der „Königsklasse“ geführt, die Erfüllung des Traums von „La Decima“ also in greifbare Nähe gebracht.

Ein Mann und seine Witze

„Das Erfolgsgeheimnis liegt in seiner Normalität. Wenn du gewinnen willst, bringt es nichts, The Special One, Special Two oder Special Three zu sein“, sagte Paolo Maldini, der unter ihm bei Milan trainierte, einmal. Fabio Cannavaro bezeichnete ihn als „mehr Bruder als Trainer“. „Ich kann nicht autoritär sein“, sagt Ancelotti.

Für ihn ist es normal, vor Spielen in der Kabine Witze zu erzählen. Ob Pflichtaufgabe im Cup oder Endspiel in der Champions League – da macht er keinen Unterschied. Nils Liedholm, jener Mann, unter dem er als Spieler bei der Roma arbeitete, dient in diesem Zusammenhang als Vorbild. So gewann er einst auch Berlusconi für sich. Vor dem CL-Finale 2003 gegen Juventus ließ er den Milan-Eigentümer vor dem Spiel im Umkleideraum die Witze reißen.

Der Bauernsohn mit der Liebe zum Essen

Ein Teil von Ancelottis Humor ist auch die Selbstironie, die er regelmäßig an den Tag legt. „Hier kommt der dicke Junge mit einer Schüssel voll Tortellini“, charakterisierte er sich selbst einmal. Überhaupt spielt seine große Liebe zum Essen eine wichtige Rolle – wer seine Autobiographie liest, wird das feststellen.

Kein Wunder, ist der Trainer doch der Sohn eines Bauern aus der Region Emilia-Romagna. Ancelotti weiß, wie man Kühe melkt und wie man Parmesan herstellt. „Mein Charakter kommt von dort“, sagt er über seine Herkunft. Wenn der Mann die Taktiktafel irgendwann einmal endgültig in die Ecke stellt, wird er sich wieder auf seinen Bauernhof zurückziehen.

Bis dahin wird aber noch jede Menge Wasser den Po herunter fließen. Zunächst steht das vierte CL-Finale als Trainer an. Zwei Mal hat der Italiener die „Königsklasse“ mit dem AC Milan schon gewonnen (2003 und 2007). Hinzu kommen zwei Erfolge im Europacup der Landesmeister als Milan-Spieler (1989 und 1990).

Auch dieses Mal wird „Carletto“ wieder vor dem Spiel seine Witzchen erzählen. Auch dieses Mal wird er bei den Pressekonferenzen vor der Partie keine große Show abziehen. Und vielleicht wird er erneut erfolglos versuchen, mit dem Rauchen aufzuhören.

Das ist nicht hip. Das ist ganz normal.

Harald Prantl