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Emotion bei moralischem Sieger - trotz Systemfehlers

Emotion bei moralischem Sieger - trotz Systemfehlers

Wahnsinn! Unfassbar! Was für eine Aufholjagd! Was für eine Stimmung!

Das 3:3 im großen Schlager zwischen Rapid und Salzburg hat auch den größten Kritikern der heimischen Bundesliga-Kost ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.

Den 26.800 Zuschauern im Ernst-Happel-Stadion wurde ein Spektakel präsentiert, das unumstritten zu den besten, herausragendsten und abwechslungsreichsten der letzten Jahre zählt.

Obwohl sich dieses Duell keinen Sieger verdient hatte, war die Euphorie im grün-weißen Lager nach der unglaublichen Aufholjagd nicht zu bremsen.

„Wir fühlen uns als moralischer Sieger. Ein 0:3 gegen so einen starken Gegner aufzuholen, ist schon aller Ehren wert“, strahlte Trainer Zoran Barisic nach dem Schlusspfiff.

„Das ist Emotion pur“

Auch Goldtorschütze Philipp Prosenik, der in der Nachspielzeit für den viel umjubelten Ausgleich sorgte, schwebte auf Wolke sieben.

„Wenn man gegen Salzburg 0:3 hinten ist und noch 3:3 spielt, ist das Emotion pur und auf jeden Fall ein schönes Gefühl.“

Allerdings musste der Salzburg-Spezialist, der schon im Herbst den ersten seiner zwei Bundesliga-Treffer daheim gegen die "Bullen" in Minute 94 erzielte, korrigierend ergänzen:

„Hätten wir die ersten 45 Minuten nicht so verschlafen, wäre auf jeden Fall mehr drin gewesen.“ Nach einer katastrophalen ersten Halbzeit hätten nicht mehr viele einen Cent auf einen Punktgewinn der Grün-Weißen gewettet.

Fehler im System

Den Fehler im System wollte man bei den Hütteldorfern gar nicht unter den Tisch kehren. Selbst Barisic musste zugeben: „In der ersten Halbzeit war das gar nichts.“

Dabei wollte der 44-jährige Wiener nur an jenem Konzept mit drei defensiven Mittelfeldspielern festhalten, das im Dezember für den 2:1-Erfolg in Salzburg verantwortlich war. Ein folgenschwerer Fehler, wie sich herausstellen sollte.

Ausgerechnet Brian Behrendt, der seinen letzten Liga-Einsatz vor der langen Verletzungspause im August absolvierte, und Dominik Wydra, im Frühjahr erst 166 Minuten im Einsatz, sollten zusammen mit Stefan Schwab Red Bulls Angriffspower eindämmen.

„Die Überlegung war, das Zentrum zu verdichten, in die Zweikämpfe zu kommen und Salzburg nicht die Möglichkeit zu geben, durch die Mitte zu kombinieren. Das ist uns nicht so gut gelungen“, erklärte sich Barisic.

„Es war zum Verzweifeln“

Konkret war Rapid mit dem nicht überraschenden Pressing der Gäste überfordert, fabrizierte Fehlpässe, verlor leichtfertig Zweikämpfe und kam kaum über die Mittellinie. Den ersten Torschuss gab Wydra erst in Minute 37 ab.

"Wir hatten überhaupt keinen Zugriff auf das Spiel und haben Salzburg in die Karten gespielt“, gestand Barisic den Fehler in der taktischen Ausrichtung ein. Nach der bitterbösen Bestrafung war im Rapid-Lager guter Rat teuer.

„Es war zum Verzweifeln auf der Bank“, musste Philipp Schobesberger zugeben, der im zweiten Durchgang für den Umschwung sorgen sollte.

Nach dem Ausschluss von Andreas Ulmer (44.) und dem Pausenstand von 0:3 galt ohnehin das Motto: Alles oder nichts!

Die Vorahnung des Andreas M.

Dabei sei die Vorahnung von Andreas Müller erwähnt. Gegenüber „Sky“ sprach der Deutsche in der Pause eine Partie an, die ihm erst wenige Stunden zuvor wieder in Erinnerung gerufen wurde und die nach der erschreckenden ersten Hälfte doch noch für Hoffnung beim Sportdirektor sorgte.

„Ich habe vorher eine Dokumentation über das CL-Finale zwischen AC Mailand und Liverpool 2005 (Anm.: Die Reds holten ein 0:3 auf und gewannen 3:2 im Elfmeterschießen) gesehen. Da kommen mir fast die Tränen, wie man so ein Spiel umbiegen kann. Das wünscht man sich. Wir müssen zusehen, dass wir eine vernünftige zweite Halbzeit spielen, damit es noch ordentlich für uns ausgeht.“

Gesagt, getan, Trainer Barisic reagierte. „Wir mussten riskieren. Ob wir 2:3 oder 2:4 verlieren, war dann schon wurscht. Wir haben umgestellt, einen Offensivspieler mehr gehabt und das besser gemacht. Da haben wir offensiver agieren können, was unsere Stärke ist. Schobesberger war mitverantwortlich, dass wir das Spiel gedreht haben“, analysierte der Rapid-Coach.

Entscheidend waren zwei schnelle Tore, quasi ein Spiegelbild der ersten Halbzeit. Nach dem 20. Saisontreffer von Robert Beric (51.) trug sich der eingewechselte Flügelflitzer selbst in die Torschützenliste ein (59.).

Ein Sieg für die Moral

Obwohl Rapid drängte, ließ der Ausgleich in weiter Folge auf sich warten. Da auch Salzburg im Konter scheiterte, machte sich schlussendlich die Einwechslung von Prosenik und die damit verbundene Umstellung auf zwei großgewachsene Stürmer bezahlt.

Der Joker stach und verwandelte den Wiener Prater in ein Tollhaus. „Anfangs hat Kainz auf der Seite den Ball gehabt, hätte reinspielen können, sich aber entschlossen, nach innen zu ziehen. Über vier, fünf Stationen ist der Ball dann zu mir gekommen. Ich habe einfach nur mehr draufgehaut.“

Nach dem Schlusspfiff lagen sich alle in den Armen und feierten das Remis, auch wenn der Meisterschaftszug damit endgültig abgefahren zu sein scheint. Viel mehr zählte aber die moralische Leistung, ein 0:3 noch in ein 3:3 verwandelt zu haben.

„Mitnehmen können wir auf jeden Fall, dass wir nie geschlagen sind, auch wenn es 0:2, oder 0:3 steht, dass wir immer wieder zurückkommen können und einfach eine geile Truppe sind, in der jeder für jeden kämpft“, schwärmte Schobesberger, der in den letzten vier Runden an fünf Treffern beteiligt war.

Zudem war es Werbung für den heimischen Fußball. Worte wie „Wahnsinn! Unfassbar! Was für eine Aufholjagd! Was für eine Stimmung!“, werden in der Bundesliga schließlich nicht oft in den Mund genommen. 26.800 Fans können aber nicht irren.


Alexander Karper / Bernhard Kastler

Rapid Salzburg
Ballbesitz 58,6% 41,4%
Zweikämpfe 55% 45%
Eckbälle 7 3
Torschüsse 17 10
Torschüsse außerhalb Strafraum 5 5
Torschüsse innerhalb Strafraum 12 5
Kopfballchancen 1 0
Abseits 6 1
Fouls 17 15