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St. Hanappi: "Bin stolz, mich nie verkauft zu haben"

St. Hanappi:

Gestatten, St. Hanappi!

Zum letzten Mal in der 37-jährigen Geschichte des ehemaligen West-Stadions ist die Rapid-Heimstätte am Sonntag Austragungsort eines offiziellen Fußball-Spiels (Rapid-Celtic Glasgow, ab 18:05 Uhr LIVE bei LAOLA1.tv).

Bevor sich die einst zu den modernsten Stadien Österreichs zählende Sportstätte in den Ruhestand verabschiedet und für das nachfolgende Allianz-Stadion Platz macht, stand „St. Hanappi“ LAOLA1 im nicht ganz so ernst gemeinten Abschiedsinterview noch einmal Rede und Antwort.

Dabei spricht es über den verdauten Schock über das plötzliche Aus, fehlende Wertschätzung über die Jahre, das Leben mit Pilzinfektion, Taufpate Hans Krankl und die Heiligsprechung durch Josef Hickersberger.

Für viele Zuschauer war das Hanappi-Stadion eine willkommene Zuflucht, für viele ihr Wohnzimmer. Wir erweisen der Kultstätte noch einmal die letzte Ehre: Es war sehr schön, es hat uns sehr gefreut!

LAOLA1: 37 Jahre lang zählten Sie zu den Aushängeschildern in Österreich, aber plötzlich ist alles anders. Wie stecken Sie es weg, durch etwas Neues ersetzt zu werden?

St. Hanappi: Wie soll ich denn damit umgehen? Es ist einfach ein Scheißgefühl, wenn man viele Jahre alles mit sich machen lässt – vom Platzsturm über Randale bis hin zum ständigen Zertreten meines Rasens. Dann kommt plötzlich so ein Neubau daher, der glaubt, er ist was Besseres. Aber mit mir kann man es ja machen, werden sich einige denken. 37 Jahre – das ist doch kein Alter, das können Ihnen Ryan Giggs oder Paolo Maldini bestätigen. Ich fühle mich noch immer in Topform, auch wenn es kleine Wehwehchen gibt. Auch Steffen Hofmann muss sich immer wieder Kritik gefallen lassen, er sei nicht mehr in Top-Form. Bei mir ist es ähnlich, auch ich hätte ihnen gerne noch gezeigt, dass ich es noch immer drauf habe. Zumindest zehn Jahre hätte ich schon noch durchgehalten.

LAOLA1: Personen aus ihrem Umfeld meinen, sie stehen kurz vor dem Burnout, haben schon Verschleißerscheinungen und wären den heutigen Anforderungen nicht mehr gewachsen. Was entgegnen Sie diesen?

St. Hanappi: Nach so vielen Jahren auf höchstem Niveau ist das doch ganz normal, oder nicht? Aber was mich nicht umbringt, macht mich nur härter. Diese „Pilz“-Infektion war schon eine blöde Geschichte, das gebe ich ja zu. Alles war befallen, bis hin zu den Kabinen der Spieler. Aber anstatt Verständnis dafür zu zeigen, haben sich die Spieler, die ich dort beherbergt habe, auch noch aufgeregt. Wenn man sich mal so eine Krankheit einfängt, bekommt man die nicht mehr so schnell weg. Ich habe damit leben gelernt, nicht aber diese verwöhnten Fußballer.

LAOLA1: Bei ihrem Nachfolger, dem Allianz-Stadion, wurde immer wieder auf die Vielzahl an sanitären Anlagen, Business-Logen und diversen Schnickschnack hingewiesen. Braucht man diesen Luxus heutzutage?

St. Hanappi: Bei Rapid spricht man immer von Tradition und dem Bewahren alter Tugenden. Aber in der Hinsicht orientiert man sich dann doch wieder an neuen Trends. Gibt es etwas Kommunikativeres als mit anderen Fans in der WC-Schlange ins Gespräch zu kommen? Und zieht man wirklich die Schlipsträger, die sich in den VIP-Räumlichkeiten den Ranzen vollschlagen, dem bisherigen Stadionpublikum vor? Ich weiß nicht, wohin das noch führen soll. Vielleicht ist es sogar besser, dass ich mich komplett aus dem Geschäft zurückziehe und nicht an mir herumgeschnippelt wird. Denn ich bin gegen Schönheits-Sanierungen.

LAOLA1: Blicken wir ein wenig auf die glorreichen Tage zurück. Offiziell wurden sie am 14. September 1977 eröffnet und lösten die Pfarrwiese ab. Keiner kennt Sie wohl so gut wie Hans Krankl.

St. Hanappi: Ja, der Hansi, mei Bua – das waren noch Zeiten. Meinen „Taufpaten“ kann ich nur in den höchsten Tönen loben. Er war da, als ich das Licht der Welt erblickt habe. Er lockte die Leute an, wir waren einfach ein gutes Team. Als er dann beim FC Barcelona für Furore gesorgt hat, „ging mir das Herz auf“, wie der Goleador immer zu sagen pflegte. Trotzdem ist er immer wieder gerne zurückgekommen und hat mich besucht, schließlich brauche ich keinen Vergleich mit dem Camp Nou zu scheuen. Ich liebe mich!

LAOLA1: Sie hießen anfangs West-Stadion, dann ab April 1981 Hanappi-Stadion. Hat diese Namensänderung irgendetwas in Ihnen verändert?

St. Hanappi: Nein, ich habe mich freiwillig darauf eingelassen. Gerhard Hanappi hat sich das durch seine Leistungen verdient, schließlich war er als Architekt wie ein Vater für mich. Doch man darf das nicht mit heutigen Entwicklungen vergleichen. Ich habe ja nicht irgendeinen Namen angenommen, schon gar nicht, um damit Geld zu machen. Ich habe mich nie verkauft, darauf bin ich stolz. Ich kann mich mit Sponsoren im Stadionnamen nicht anfreunden und pflege auch keine Kontakte zu derartigen Arenen. Ich werde auch meinen Nachfolger meiden. Alle sprechen immer von „modernem Fußball“ und dem Wandel der Zeit, der das notwendig macht. Eigentlich kann ich da nur froh sein, dass meine Zeit dem Ende zugeht.

LAOLA1: Sie galten stets als Rapid-Heimstätte, obwohl auch das Nationalteam und sogar der Erzrivale Austria hier Spiele abhalten durften. Konnten Sie das nicht verhindern?

St. Hanappi: Da musste ich mich der Stadt Wien beugen. Aber Sie können mir glauben: Das war auf keinen Fall freiwillig! Ich habe gelitten, als sie mir die Austria in den 1980er Jahren ins Wohnzimmer gesetzt haben. Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Gegen die Besuche des Nationalteams hatte ich lange Zeit nichts, bis ich nach dieser Geschichte mit Andreas Ivanschitz im Spiel gegen Schottland endgültig genug hatte. Wer so mit einem Gast von mir umgeht, hat bei mir nichts mehr zu suchen. Seitdem war das auch kein Thema mehr.

LAOLA1: Sie haben in 37 Jahren eine Vielzahl an Besuchern kennengelernt. Auf der einen Seite sorgten diese für die eindrucksvolle Stimmung, auf der anderen für den schlechten Ruf.

St. Hanappi: Das war ein zweischneidiges Schwert, das stimmt schon. Ich habe ganz schlimme Zeiten in den 90er-Jahren erlebt. Die Tiefpunkte waren 1993 1.000 Zuschauer gegen den Wiener Sportclub und 2011 nach den Derby-Krawallen - der "Hass-Grieche" bereitet mir heute noch Albträume - das Geisterspiel gegen Admira. Doch es ging bergauf. Auf einmal war ich der Zuschauermagnet, jeder wollte dabei sein. Dass dann ein paar aus der Reihe tanzen, konnte ich nicht verhindern. Doch es ist ja immer so: Wenn sich ein paar daneben benehmen, werden gleich alle in einen Topf geworfen. Da bin ich strikt dagegen. Ich habe die unterschiedlichsten Leute auf meinem Rücken getragen und habe mich über jeden einzelnen gefreut. Und von den Spielern, die bei mir aufliefen, kann ich nur schwärmen. Dieser Dejan, wie hieß er noch…ahja, Savicevic, das war schon ein Guter. Wer fällt mir da noch ein? Von Antonin Panenka über Jan-Age Fjörtoft bis hin zu Steffen Hofmann. Und natürlich der Hansi-Bua.

LAOLA1: Trotzdem erhielten Sie nicht immer jene Wertschätzung, die Ihnen gebührt hätte. Wie haben Sie darauf reagiert, als die Highlights im Prater- bzw. Happel-Stadion stattfanden?

St. Hanappi: Das war schon bitter! „Ich bin zu klein“, haben Sie immer gesagt. Diese „Immer-auf-die-kleinen-Dicken-Mentalität“ hat mich extrem gestört. Der Grundstein für den Aufstieg ins Finale des Cups der Cupsieger 1984/85 wurde noch bei mir gelegt. Auch sonst kann ich mich an riesige Schlachten erinnern. Doch plötzlich gab es Wartelisten und die Verantwortlichen haben nachgegeben und sind ins 50.000 Zuschauer fassende Happel-Oval übersiedelt. Die großen Spiele in der Champions- und Europa League habe ich immer nur aus der Ferne gesehen, für die Vorrunden-Spiele war ich aber immer gut genug. Ich wäre für die größten internationalen Gegner bereit gewesen, hätte mich schön herausgeputzt. Aber meine Wünsche wurden nicht erhört.

LAOLA1: Ein großes Fest steht ja noch bevor. Zum Abschied trifft Rapid vor ausverkauftem Haus auf Celtic Glasgow. Alle kommen, um sich noch einmal von Ihnen zu verabschieden, bevor schon bald die Bagger anrollen. Wieviel Wehmut spielt da mit?

St. Hanappi: Ich freue mich darauf, noch einmal im Blickpunkt zu stehen. Mit Celtic kommt ein alter Bekannter, den Rapid bei mir am 24. Oktober 1984 mit 3:1 schlagen konnte. Dass das Skandal-Rückspiel im Celtic-Park wegen einem Wurfgeschoss auf Rudi Weinhofer annulliert wurde, ist bekannt. Nach dem Wiederholungsspiel im Old Trafford (1:0) standen die Grün-Weißen dann erstmals in einem Europacup-Finale, das gegen Everton 1:3 verloren ging. Ich hatte bereits Zeit, mich auf diesen letzten Auftritt vorzubereiten, aber Tränen und Emotionen werden sich wohl nicht vermeiden lassen. Wenn in deinem Wohnzimmer insgesamt 721 Rapid-Spiele stattfanden, von denen 463 von meinen Hauptmietern gewonnen werden konnten, fällt der Abschied natürlich schwer. Ich wünsche meinem Nachfolger, dem Allianz-Stadion, alles Gute. Für mich ist es nun Zeit zu gehen.

LAOLA1: In all den Jahren haben Sie großen Ruhm erlangt, sind über die Grenzen bekannt geworden. Auch weil sie unter Trainer Josef Hickersberger heilig gesprochen wurden. Wie sind Sie mit dieser Bürde und dem Beinamen „St. Hanappi“ umgegangen?

St. Hanappi: Anfangs dachte ich, es handle sich um einen Scherz. Ich war doch noch in meiner Blütezeit. Und welche aktive, noch lebende Größe wird heilig gesprochen? Einerseits hätte ich mir dabei schon denken können, dass etwas im Busch ist und sie langsam aber doch versuchen, mich abzusägen. Andererseits habe ich mich schon geschmeichelt gefühlt. Es erfüllte mich schon mit Stolz, wenn die Rede davon war, in St. Hanappi Fußballfeste zu feiern. Welches Stadion kann schon von sich behaupten, als Heiliger verehrt zu werden? Danke Hicke! Aber diese Auszeichnung wird wiederum geschmälert, wenn man sich vor Augen führt, welche Stadien sonst in Österreich stehen. Das soll nicht abwertend klingen, aber so eine Fußboden-Heizung ist schon was Angenehmes. So eine Überdachung auf den Fan-Tribünen, wie es bei mir seit 2002 der Fall ist, ist auch was Schönes. Und die Infrastruktur rundherum kann sich auch sehen lassen. Ich bin mir sicher: Ihr werdet mich alle vermissen – ob Freund oder Gegner.


Das Gespräch führte Alexander Karper