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"Der Realitätssinn geht verloren"

Paul Gludovatz sieht im LAOLA1-Interview die gestiegene Erwartungshaltung des Rieder Umfelds kritisch.

Verwunderlich ist es aber nicht, dass man im Innviertel zum 100. Geburtstag vom Meistertitel träumt. Immerhin haben die „Wikinger“ zum zweiten Mal in Folge den Herbstmeistertitel erobert.

Das überrascht selbst den SVR-Trainer. Weit weniger erstaunt ist der 65-Jährige darüber, dass Manager und Berater mittlerweile eine wichtige Rolle spielen.

Zudem sieht der Burgenländer die frühen Wechsel ins Ausland durchaus kritisch. Wenngleich er zugibt, in einigen Fällen zunächst eine falsche Einschätzung getroffen zu haben.

LAOLA1: Sie sind mit Ried zum zweiten Mal in Folge Herbstmeister geworden. Macht Sie das stolz?

Paul Gludovatz: Ja, weil es schwieriger ist, das zu bestätigen. Jeder weiß, dass ein großer Umbruch stattgefunden hat. Was mir besonders imponiert hat, waren die stabilen Leistungen ohne große Wellentäler – vor allem jener Leute, die relativ spät integriert worden sind.

LAOLA1: Muss man die SV Ried jetzt schon zu den Großen zählen?

Gludovatz: Nein! Ich kann nicht anders antworten. Das ist eine Momentaufnahme. Andere können noch etwas nachlegen. Gegen Ende wird das – wahrscheinlich mit Punkten belegt – in einen Ordnungsrahmen gesetzt, der in Österreich schon Bekanntheitsgrad erlangt hat – die großen Vier und die anderen Sechs.

LAOLA1: Merken Sie, dass die Erwartungshaltung im Umfeld gestiegen ist?

Gludovatz: Leider ja. Es geht ein gewisser Realitätssinn verloren. Wer mich kennt, weiß, dass ich absolut realitätsnah denke. Dieses Understatement, das mir immer wieder vorgeworfen wird, ist es nicht.

LAOLA1: Den ganz großen Wurf zum 100. Geburtstag des Klubs halten Sie also für unrealistisch?

Gludovatz: Natürlich stirbt auch bei uns der Glaube zum Schluss. Der Traum wird hoffentlich nicht zu schnell platzen. Wir haben Ziele. Diese Ziele sind in Schritten festgehalten – zuerst die vier Spiele und dann die gesamte zweite Hinrunde werden zeigen, wie wir in die letzten neun Partien gehen.

LAOLA1: Ist Ried als Meister überhaupt vorstellbar?

Gludovatz: Ich habe mit anderen Voraussetzungen in das heurige Jahr Ziele verfolgt, die wir innerhalb des Vereins abgesprochen haben. Sonst wäre ich nicht geblieben. Die von ihnen erwähnten Ziele sind mit Anfang Herbst, als uns zwei, drei Spieler verlassen haben, etwas nach unten revidiert worden. Das für mich etwas unaussprechliche Wort könnte zwar Realität werden, kann aber nicht ausgegebenes Ziel sein.

LAOLA1: Eine der großen Stärken Ihres Teams sind die Standardsituationen. Ried hat nach Standards zwölf Tore geschossen und nur zwei kassiert. Warum?

Gludovatz: Ich habe in der Vorbereitung statistische Auswertungen vorgenommen. Warum sollen wir bei Standards nicht noch besser werden? Ich glaube, dass da noch Potenzial vorhanden ist. Ich glaube nicht, dass wir ganz besondere Varianten vorzeigen können.

LAOLA1: Sind Standards im modernen Fußball der einfachste Weg, um zum Erfolg zu kommen?

Gludovatz: Es gehört eine realistische Einschätzung der Spieler und Spielertypen dazu. Es geht nicht darum, dass ich der sogenannte „Torverhinderer“ oder „Betonierer“ der Nation bin. Aber wenn ich einmal zwei Gegentreffer bekomme, nützt es mir nicht viel, ein Standard-Tor zu erzielen. Es geht um die Gesamtheit des Spiels.

LAOLA1: Statistisch ist auch auffällig, dass Ried in der Schlussviertelstunde zehn Treffer erzielt hat, aber nur einen hinnehmen musste. Hat ihre Mannschaft einfach mehr Kraft?

Gludovatz: Die Basis unseres Spiels muss so sein, dass wir um 20-25 Prozent mehr laufen müssen. Auf dieser physischen Kraft bauen wir auf. Dass sich die dann letztlich so ausgewirkt hat, ist schön für uns. Es fragt heutzutage niemand mehr, ob du 120 Minuten voll durchgehen kannst, oder nicht.

LAOLA1: Sie sprechen es an, einige Leistungsträger sind gegangen. Ist in Ried jeder ersetzbar? Es hat zumindest den Anschein…

Gludovatz: Man arbeitet daran. Es war etwas verwunderlich, dass es im Herbst geklappt hat.

LAOLA1: Geht Ihnen einer dieser Spieler ab?

Gludovatz: Dadurch, dass wir nach vorne schauen, ist es schwierig, all jenen mit Wehmut nachzublicken.

LAOLA1: Wird die SV Ried jemals in der Lage sein, Spieler wie Daniel Royer längerfristig zu halten?

Gludovatz: Das ist nicht das Ziel des Vereins. Wir sprechen da von einer Philosophie, die den wirtschaftlichen und sportlichen Teil so richtig in der Waage hält. Wenn sich der sportliche etwas in die Höhe bewegt, muss er den wirtschaftlichen abdecken, das ist auch klar. Wir rechnen Jahr für Jahr damit, den einen oder anderen Spieler zu verlieren und dadurch unser Budget ausgeglichen zu halten.

LAOLA1: Das Stadion ist gut ausgelastet, das Budget ist ausgeglichen, die junge Linie ist Realität. Ist Ried ein Vorzeigeverein?

Gludovatz: Ich wäre nicht nach Ried gekommen, wenn ich das nicht erwartet hätte.

LAOLA1: Das Fußballgeschäft hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Vor allem die Rolle der Manager und Berater. Sie waren in diesem Winter mit einem Fall konfrontiert, in dem einer Ihrer Spieler, nämlich Anel Hadzic, offensichtlich zum Spielball eines Managers wurde. Wie sehen Sie das?

Gludovatz: Ich habe das bis vor dreieinhalb Jahren nur gerüchteweise gehört. Jetzt bin ich mittendrin. In diesem Geschäft ist eine Tagesordnung da, die man vielleicht zu Mittag noch kennt, am Abend ändert sich dann aber einiges. Ich sehe das nicht so negativ. Es ist toll, dass Spieler sich selbst gehören. Der Verein hat Verpflichtungen und der Spieler auch. Ich bin ein gebranntes Kind – siehe letzte Saison. Da ist mir erst bewusst geworden, dass das Tagesgeschäft ist.

LAOLA1: Sie haben im ÖFB viele Jahre mit jungen Spielern gearbeitet. Braucht ein junger Kicker einen Manager?

Gludovatz: Ja. Die Verwinkelungen des Geschäfts sind so krass geworden, dass sich ein junger Mann kaum auskennt. Bei einem Immobiliengeschäft braucht man auch einen Berater. Ich sehe das drastisch, als Geschäft – da braucht man jemanden, der einem hilft. Wenn es jemand ehrlich meint, ist das mehr als notwendig und geht in eine gute Richtung. Manchmal setzt aber Profitgier ein und es wird nicht so ehrlich gemeint.

LAOLA1: Kommen Spieler zu Ihnen und fragen, ob dieser oder jener Schritt der richtige ist?

Gludovatz: Ich habe Martin Stranzl im Alter von 15 Jahren zu jedem Spiel der Auswahl gebracht. Plötzlich hat er gesagt, er geht weg. Ich habe ihn gebeten, noch zu bleiben, aber er hat Recht behalten. Ich habe nicht immer Recht. Allgemein glaube ich aber, dass viel zu viele in jungen Jahren wechseln. In einem 30-Mann-Kader nur die zweite oder dritte Wahl auf einer Position zu sein, ist schwierig. Aber Geld stinkt nicht.

LAOLA1: Wir haben schon kurz über Daniel Royer gesprochen. Er hat einen rasanten Aufstieg hinter sich. Wie beurteilen Sie seine Entscheidung, nach Hannover zu gehen, mit einigen Monaten Abstand?

Gludovatz: Ich habe damals lange mit ihm gesprochen und gemeint, dass er noch warten soll. Er wollte diese Zeit nicht abwarten, hat gesagt, dass er ein halbes Jahr durchsteht, bevor er sich dort durchsetzt. Er scheint Recht behalten zu haben. Außerdem verdient ein Vielfaches von dem, was er bei uns verdient hat. Da kann man schlecht dagegen sein.


Das Gespräch führten Harald Prantl und Kurt Vierthaler