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"Einheit aus meiner Sicht immer weniger erkennbar"

Dass Sturm Graz turbulente zwölf Monate hinter sich hat, ist ob der Personalfluktuation beinahe schon eine Untertreibung.

„In der Geschäftsführung kommt es mir auch schon vor wie ein Jahr, es sind aber erst vier Monate. Ich hoffe, dass es noch ein Jahr wird“, übt sich Gerhard Goldbrich, der sein Amt Anfang Dezember antrat, in Galgenhumor.

Von Amtsmüdigkeit ist beim General Manager der Steirer nichts zu bemerken. Eben erst war er an einer Entscheidung großer Tragweite für den Verein beteiligt: der Beurlaubung von Trainer Peter Hyballa und der daraus folgenden Installierung von Markus Schopp als Interimslösung für die letzten sechs Saison-Spiele.

Der Spirit, mit dem der Deutsche im vergangenen Sommer gestartet ist, ist laut Meinung des 46-Jährigen irgendwo auf dem Weg verloren gegangen. Vor allem in diesem Kalenderjahr lief es beim Meister von 2011 nicht mehr rund.

„Keine Weiterentwicklung erkennbar“

„Zehn Punkte im Frühjahr sind für Sturm Graz zu wenig. Es hat die Konstanz gefehlt, es war aus unserer Sicht keine Weiterentwicklung erkennbar. So ist der Druck immer größer geworden“, verdeutlicht Goldbrich.

Vielerorts fragt man sich, warum die Trennung von Hyballa zum jetzigen Zeitpunkt erfolgt ist und nicht zum Beispiel schon vor sechs Wochen, als der Übungsleiter nach der 0:1-Heimpleite gegen die Admira in einer Krisensitzung von Aufsichtsrat, Vorstand plus Geschäftsführung bereits an der Kippe stand.

Damals wollte man laut Goldbrich nicht nur allen Beteiligten noch eine Chance geben, sondern sie auch in die Pflicht nehmen, gemeinsam das weiterzuentwickeln, was sich die Vereinsleitung vorstelle: „Sechs Wochen später sind wir zur Erkenntnis gelangt, dass das richtig war, aber die Ziele in dieser Form nicht erreicht wurden.“

Den genauen Zeitpunkt, wann er selbst zur Erkenntnis gelangt sei, dass es mit Hyballa nicht mehr funktionieren würde, kann der frühere Sturm-Kicker nicht benennen. Letztlich war es wohl ein schleichender Prozess.

Externer Druck, interner Druck, wirtschaftlicher Druck

„Es hat sich in den letzten Wochen so hochgespielt, dass der Druck immer größer wurde – der externe Druck, der interne Druck und vielleicht auch ein bisschen der wirtschaftliche Druck, sodass ich das Gefühl hatte, es ist schwierig, noch einmal einen Schritt weiterzugehen, das noch einmal zusammen zu formen und wieder in die richtige Richtung zu bringen. Das Gesamtpaket hat sicher auch an Peter genagt, das hat man gemerkt. Ich glaube, es war jetzt der richtige Zeitpunkt, diese Entscheidung zu treffen.“

Besagtes Gesamtpaket habe laut Goldbrich mit Hyballa nicht gepasst. Aus der individuellen Qualität des Trainers und dem qualitativ sehr guten Kader sei keine Einheit entstanden.

„Ein langjähriger Funktionär von Sturm hat mich vor sechs Wochen sehr scharf damit konfrontiert, warum wir denn nicht reagiert, den Trainer abgelöst und Markus die Chance gegeben haben. Nach der Beurlaubung von Hyballa hat mich der Gleiche gefragt, ob es denn nicht zu früh ist für Markus. So ticken in Wahrheit oft die Öffentlichkeit und das Funktionärswesen. Meine Antwort ist: Nein, es ist definitiv nicht zu früh. Markus ist aus meiner Sicht der richtige Mann.“

Lehren aus dem Vastic-Fehler

Der 39-Jährige habe im Frühjahr aus einem stark verjüngten Amateur-Team eine schlagkräftige Mannschaft geformt, sei ein akribischer Arbeiter und bringe zudem die Voraussetzung mit, für Zusammenhalt zu sorgen.

Eine Integrationsfigur quasi. Man dürfe jedoch keine Wunderdinge fordern. In den kommenden sechs Spielen sei die Forderung, als Einheit aufzutreten und alles dem Ziel Europacup unterzuordnen.

Die derzeitige Interimslösung sei Ansprechpartner Nummer eins, wenn es um den Trainer-Job für die neue Saison geht. Damit wollen sich jedoch beide Parteien derzeit nicht belasten, diesbezüglich habe man aus andernorts begangenen Fehlern gelernt:

„Wir wollen als Verein keinen Druck aufbauen, weder auf die Mannschaft noch auf den Trainer, wie es vielleicht vor einem Jahr bei Austria Wien bei Ivica Vastic war: ‚Wenn du das nicht machst, dann…‘ Das soll es nicht sein.“

„Ich traue Markus sehr, sehr viel zu“

Grundsätzlich ist Goldbrich überzeugt, dass Schopp auch als Coach seinen Weg machen wird: „Ich traue Markus sehr, sehr viel zu. Er hat schon als Spieler konsequent seinen Weg verfolgt und alles dafür gegeben, dorthin zu kommen, wo er hinwill. Ich glaube, es ist für jeden, der jemals bei diesem Verein war, aber auch für viele andere, immer ein Traum, Trainer von Sturm Graz zu sein. Markus ist jetzt da. Jetzt liegt es ein gutes Stück an ihm. Aber das Vertrauen, das auch zu bleiben, bekommt er auf jeden Fall.“

„Eine Fußball-Mannschaft ist ein komplexes System. Solch eine Mannschaft braucht eine Hierarchie, die mit der Führungsqualität des Trainers beginnen und sich unweigerlich in der Mannschaft fortsetzen muss. Diese Einheit, die Sturm immer stark und erfolgreich gemacht hat, war aus meiner Sicht immer weniger erkennbar“, veranschaulicht Goldbrich.

Keine emotionale Antwort

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass der GM so verklausuliert die kolportierten Dissonanzen zwischen weiten Teilen der Mannschaft und Hyballa bestätigt. Konkret wird Goldbrich diesbezüglich nicht, auch nicht auf die Frage, ob sich der polarisierende Übungsleiter mit zu vielen Leuten angelegt habe:

„Ich will jetzt nicht beurteilen, ob er sich mit Leuten angelegt oder nicht angelegt hat, denn das wäre eine emotionale Antwort. Die Emotionen gehören auf den Platz. Ich würde es eher so beurteilen, dass es die Aufgabe eines Trainers ist, einen 28-Mann-Kader zu einer Einheit zu formen. Das ist aus meiner Sicht in dieser Form nicht gelungen.“

Letztendlich verabschiedet Goldbrich den scheidenden Trainer, der das Angebot des Vereins, bei einem Medientermin öffentlich Stellung zu beziehen, ausschlug, jedoch mit versöhnlichen Tönen.

Dieser habe „sehr viele individuelle Akzente gesetzt“ und sei „einfach ein cooler Typ, der seinen Weg geht und redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Das sind durchaus Attribute, die keine schlechten sind.“

Rückläufige Einnahmen

Sollte keine einvernehmliche Lösung gefunden werden oder Hyballa nicht vorzeitig einen neuen Arbeitgeber finden, steht der 37-Jährige im für Sturm schlechtesten Fall bis Vertragsende im Sommer 2014 auf der Gehaltsliste. Ähnliches gilt für den früheren Geschäftsführer Sport Ayhan Tumani, von dem man sich im März getrennt hat.

Während das Duo einen nicht unwesentlichen Budgetposten darstellt, wird die Trennung von Hyballa gleichzeitig auch mit zuletzt rückläufigen Einnahmen aus dem „fanbezogenen Bereich“ – gemeint sind etwa Ticketing und Merchandising – begründet. Das Ausbleiben von Zuschauern und der Protest vieler Fans gegen den Trainer hätten sich negativ auf den wirtschaftlichen Erfolg niedergeschlagen.

Der österreichische Fußball sei nicht so aufgestellt, dass man Rückgänge im sechsstelligen Bereich aus der Portokasse bezahlen könne, betont Goldbrich. Gerade in einem Umbruchsjahr müsse man verstärkt auf die Kosten schauen.

„Sind Gott sei Dank einer der wenigen schuldenfreien Vereine“

Anlass zu Sorge gebe es ob der entstandenen Personalkosten und der verringerten Einnahmen jedoch nicht, da Sturm sehr konservativ budgetieren würde:

„Natürlich trifft das den Verein. Es ist ja nicht so, auch wenn Sturm Gott sei Dank einer der wenigen schuldenfreien Vereine ist, dass solche Kosten spurlos an einem vorüber gehen. Aber bei Sturm wird grundsätzlich sehr gut gewirtschaftet, wir haben das auch wohl überlegt und kalkuliert. Nach Meisterjahren explodieren die Kosten oft ein bisschen, dann muss man wieder genauer darauf schauen. Wenn wir jetzt mit aller Kraft wieder die Emotion und das Feuer bei Sturm reinbringen und die Fans zurückholen, bin ich guter Dinge, dass wir relativ rasch wieder komplett auf Kurs sind.“

Besagtes Feuer soll bekanntlich Schopp neu entfachen. Als Vereinslegende hat er im traditionsbewussten Sturm-Umfeld tendenziell keine schlechten Voraussetzungen. Ein Umfeld, das jedoch auch durchaus launisch sein kann. Goldbrich erzählt folgende Episode:

Dem Verein, oder zumindest dessen Spitzenfunktionären, das Vertrauen offenkundig entzogen hat Friedrich Santner, der am Montag seinen Rücktritt als Aufsichtsratschef erklärt hat. Ein herber Verlust, da dieser in der steirischen Wirtschaft exzellent vernetzt ist. Zudem bedeutet dies einen weiteren Prestigeverlust für das von Präsident Christian Jauk vor gut einem Jahr ins Leben gerufene Projekt „Sturm Neu“.

Das Vereinsoberhaupt blieb der Präsentation von Schopp fern. Der freiwillige Rückzug Santners bleibt somit von offizieller Seite unkommentiert, da Goldbrich nicht dafür zuständig ist, Personalrochaden im Kontrollgremium zu bewerten.

Santner-Rückzug „nicht positiv für den Verein“

„Es steht mir überhaupt nicht zu, als Geschäftsführer in irgendeiner Form zu kommentieren, was im Aufsichtsrat passiert“, stellt der 46-Jährige klar.

Persönlich tue ihm diese Entscheidung jedoch leid: „Wir haben Gott sei Dank sehr viele Wirtschafts- und Sachexperten im Aufsichtsrat und Vorstand, die uns mit aller Kraft unterstützen. Einen wirklichen Experten und tollen Menschen wie Friedl Santner jetzt ein Stück weiter weg zu haben oder zu verlieren, ist für den Verein natürlich nicht positiv. Aber auch da ist es so, dass wir nach vorne schauen und so gut, wie wir aufgestellt sind, das Beste daraus machen müssen.“

Kommt Sturm zurück auf Kurs, besteht wohl auch keine Gefahr, dass aus dem eingangs erwähnten Galgenhumor so bald ernst wird.

Peter Altmann