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Stadionbad-Misere: Wiens Schwimmsport funkt S.O.S.

Stadionbad-Misere: Wiens Schwimmsport funkt S.O.S.

Eiskalter Steinboden, Schimmelflecken an den Wänden und eine Kraftkammer, die diese Bezeichnung nicht verdient.

Wer es in Wien im Schwimmen zu etwas bringen will, darf aktuell in puncto Trainingsbedingungen keine hohen Ansprüche stellen. LAOLA1 wurden Fotos des Stadionbades zugespielt, die ein erschreckendes Bild zeichnen.

Die Traglufthalle neben dem Happel-Oval ist seit dem Beginn der nicht enden wollenden Renovierung des Stadthallenbades – seit mittlerweile drei Jahren – das einzige 50-m-Becken in der Millionen-Metropole Wien. Jenes Wien, das sich auch gerne mal als „Sportstadt“ deklariert.

Männlein und Weiblein gemeinsam

Momentan grenzt die Traglufthalle aufgrund der Sanierung der Freibad-Garderoben, die noch aus der K.u.k.-Monarchie stammen, an eine große Baustelle. Der dadurch aufgewirbelte Staub in der Luft ist für die Athleten, die hier mehr als 20 Stunden pro Woche trainieren, aber nur ein geringes Übel.

Umziehen können sich die Sportler in Katakomben, die im Rahmen der Schwimm-EM 1995 errichtet wurden. Platz ist jedoch Mangelware. Fünf Garderoben mit einer Größe von rund drei mal fünf Meter stehen zur Verfügung. Geschlechter-Trennung ist in der Praxis nicht möglich.

„Seit einem Jahr haben wir einen Föhn“, präsentiert ein Athlet das seit kurzem montierte Elektro-Gerät. Ein Hauch von Luxus, den man ansonsten aber in den Räumlichkeiten, in denen die Temperatur des Duschwassers bei gleichzeitiger Betätigung der Toilettenspülung verrücktspielt, vergeblich sucht.

Wenn es von der Decke tropft

Am späten Nachmittag – wenn die meisten der über 200 Athleten  - zum Training ins Bad strömen, reichen die Garderoben, in denen sich das Zeug im wahrsten Sinne des Wortes stapelt, nicht aus. Viele ziehen sich am Gang oder direkt am Becken um.

Doch die privaten Klamotten am Beckenrand zu deponieren, ist keine gute Idee. Schuld ist die extreme Luftfeuchtigkeit, die unter der Tragluft-Kuppel herrscht. An der kalten Außenhülle bildet sich Kondenswasser und tropft auf Kleidung oder auf Gesichter von Rückenschwimmer herunter.

Die Luft-Qualität dürfte angesichts der Tatsache, dass viele Sportler seit dem Umzug in die Traglufthalle über Reizhusten unter Belastung klagen, eher dürftig ausfallen.

Jede Menge Rost

Nicht mehr zeitgemäß sind die Startsockel. Lediglich einer wurde mit handwerklichem Geschick und einer zwischengelegten Holzpalette provisorisch auf den neuesten Stand gebracht.

Optisch ist ihm und seinen sieben „Brüdern“ ihr Alter ohnehin deutlich anzumerken. Beim Anblick der Rostflecken drängt sich dem Betrachter die Frage nach der letzten Tetanus-Auffrischung auf. Nicht unbegründet, denn einige Unterkanten sind durchaus scharf.

Starts können in Wien also kaum trainiert werden. Zwar gibt es ein Becken mit neuen Sockeln, dieses befindet sich allerdings in der Stadthalle. Oh, welch Ironie…

Der kalte Boden der Realität

Eine große Uhr mit Sekunden-Zeiger – für Schwimmer ein immanent wichtiges Trainingsutensil – sucht man im Stadionbad vergebens. Einige Sportler haben deshalb bereits eine aus eigener Tasche gekauft,  die aber freilich nach deren Einheit wieder abgebaut wird.

Abgesehen von Exkrementen setzt dem Wasser auch abgewaschene Sonnencreme zu.

„Das Wasser wird dann regelrecht ölig“, meint besagter Athlet, der wie seine Leidensgenossen um jeden Preis ungenannt bleiben will. Wozu diese Anonymität? „Weil wir regelrecht Angst haben. Denn in Wahrheit müssen wir sogar noch dankbar sein, dass wir überhaupt eine Bahn haben. Und diese will niemand verlieren.“

Für die Einteilung der Bahnen sind der OSV und der Landesverband zuständig. Niemand will durch Kritik anecken, da er ansonsten Gefahr läuft, seine Bahn abtreten zu müssen. Woanders hinzugehen, geht nicht, weil in der näheren Umgebung die Alternativen fehlen. Das nächstgelegene 50-m-Becken ist in der Südstadt. Doch es ist wohl nicht das Bestreben des niederösterreichischen Verbandes, den dort ohnehin bereits ausgelasteten Betrieb mit Wienern zu überfüllen. Womit Graz und Linz die nächstgelegenen Möglichkeiten wären.

Zum Kräftesammeln

Zurück aber zu Platzsituation und Hygiene im Stadionbad: Schwimmer, Triathleten und Wasserballer haben nicht einmal im Winter die Traglufthalle für sich. „Zuletzt waren mehrere Rattenfallen rund um die Mistkübel aufgebaut“, beweist ein anderer Sportler mit einem Schmunzler Galgenhumor.

Galgenhumor wird auch bei einem Blick in die hiesige „Kraftkammer“ benötigt. Die Anführungszeichen sind in diesem Fall angebracht. Die Geräte, die aufgrund ihrer Qualität teilweise einem Shopping-Kanal entsprungen scheinen, sind veraltet und oder beschädigt.

Die Gebrauchsspuren an den Wänden in Form von faustgroßen Löchern legen allerdings den Schluss nahe, dass sie tatsächlich genutzt werden. Chancengleichheit mit internationalen Trainingszentren oder mit Bedingungen, die Olympia-Medaillen-Gewinner vorfinden, sieht wohl anders aus.

Abhilfe lässt auf sich warten

Eine Verbesserung ihrer Situation ist für die Sportler noch nicht in Sicht. Abseits von der Suche nach dem Leck im Stadthallenbad läuft derzeit die Planung eines Schwimmsportzentrums in Wien. Eine Machbarkeitsstudie ergab zuletzt, dass der optimale Standort für eine Umsetzung ausgerechnet das Stadionbad ist.

Dieses Urteil wird „mit der größten Wirtschaftlichkeit in der Errichtung, der ausgezeichneten Erreichbarkeit, den städtebaulichen Rahmenbedingungen sowie der Nachhaltigkeit des Standortes im Hinblick auf spätere Erweiterungen“ begründet.

Da Wien mit dem Stadthallenbad zumindest theoretisch über eine Wettkampfstätte verfügt, würde das Schwimmzentrum als Trainingsstätte konzipiert werden. Die Kosten werden auf rund zehn Millionen Euro geschätzt. Der zeitliche Rahmen einer Realisierung ist jedoch noch völlig offen.

Doch Zeit ist etwas, das Athleten, deren vielleicht letzte oder einzige Hoffnung Rio 2016 ist, nicht haben.

Reinhold Pühringer

Die Aufbewahrung der Trainingsbehelfnisse ist nur in sperrigen Metall-Gitter-Kisten am Beckenrand möglich. Sonst müssen sie jedes Mal wieder mit nach Hause geschleppt werden.

Die Hallen-Temperatur ist trotz des beheizten Beckens vergleichsweise niedrig, was am Boden liegt. Da eine Traglufthalle nur auf dem Steinboden aufliegt, reicht dieser bis ins Freie und transportiert so die knackigen Minus-Grade ins Innere.

Zwischen Urinstein und Sonnencreme

Trotz all der Widrigkeiten gibt es im Stadionbad im Vergleich zum alten Stadthallenbad sogar Vorteile. Nämlich die Wasser-Qualität. „In der Stadthalle hat sich nach Schwimmkursen von Schulklassen oft sogar Urinstein am Beckenrand gebildet. Zudem sind reichlich Pflaster und anderes Zeug herumgeschwommen“, berichtet ein Athlet. Pilzbefall an den unmöglichsten Körperstellen war keine Seltenheit.

Das mit der Wasser-Qualität gilt allerdings nur für den Winter. Im Frühjahr wird die Halle für den Sommer-Betrieb abgebaut. Ein Prozess, der wie der Aufbau im September rund eine Woche dauert, in der die Sportler gar kein 50-m-Becken zur Verfügung haben.

Klettern die Temperaturen dann in die Nähe der 30-Grad-Marke ruft das die Badegäste auf den Plan, was den ohnehin bereits beinharten Kampf um Bahnen und Trainingszeiten noch einmal massiv verschärft. Während des Sommer-Badebetriebs werden gerade einmal drei Bahnen für die Leistungs-Schwimmer reserviert. Daran halten sich frivole Planscher in der Praxis aber oft nicht. Querende Pensionisten, Möchtegern-Lochtes und vom Beckenrand springende Kinder stehen an der Tagesordnung.