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"Kann ein absoluter Gegenpol zur Formel 1 sein"

Audi geht als riesengroßer Favorit in die "24 Stunden von Le Mans".

Nicht nur, dass die Ingolstädter zehn der letzten zwölf Auflagen des Langstrecken-Klassikers gewinnen konnten, mit Peugeot ist auch der Hauptkonkurrent der letzten Jahre nicht mehr am Start.

Da das Projekt von Toyota noch in den Kinderschuhen steckt, dürfte ein Erfolg für die Marke mit den vier Ringen heuer nur Formsache sein.

Die Oberaufsicht am Kommandostand hat ein Wiener: Dr. Wolfgang Ullrich, der seit fast zwanzig Jahren die Motorsport-Geschicke Audis leitet.

LAOLA1 sprach mit dem 61-Jährigen über die Favoritenrolle, Audis Zukunftspläne und eine mögliche Konkurrenz zur Formel 1.

LAOLA1: Herr Ullrich, die „24 Stunden von Le Mans“ stehen vor der Tür. Audi zeigte sich mit dem Dreifachsieg zuletzt in Spa-Francorchamps bereits in toller Form. Worum ging es bei den Vor-Tests überhaupt noch?

Dr. Wolfgang Ullrich: Man versucht bei diesen letzten Tests nur noch, die Anpassung an die Rennstrecke zu vollziehen, um auf einer guten Basis loslegen zu können, wenn die Le-Mans-Woche beginnt.

LAOLA1: Audi tritt heuer mit vier Autos an – je zwei „R18 Ultra“ und zwei „R18 e-tron quattro“. Worin liegt der Unterschied dieser beiden Modelle?

Ullrich: Beide sind Leichtbau-Autos im absolut gleichen Rahmen. Der „e-tron quattro“ ist ein Hybrid auf der Basis des Leichtbaus. Das zusätzliche Gewicht, welches das Hybridsystem mit sich bringt, wird beim Leichtbau mit Zusatzgewichten ausgeglichen, weil ja beide Autos mindestens 900 Kilo haben müssen.

LAOLA1: Hat Audi zuletzt in Spa-Francorchamps damit gerechnet, dass der Leichtbau über den Hybrid triumphiert?

Ullrich: Wenn man unter so wechselnden Bedingungen Rennen fährt, kann man nicht voraussagen, wer die Nase vorne haben wird. Der „e-tron quattro“ hat sein Potenzial deutlich aufgezeigt, so lange die Autos eng zusammen lagen. Durch eine Safety-Car-Phase sind sie leider um über 50 Sekunden voneinander getrennt worden, damit war alles entschieden. Wir gehen aber davon aus, dass es unter normalen Umständen leichte Vorteile für den „e-tron quattro“ gegenüber dem „ultra“ geben sollte.

LAOLA1: Durch den Ausstieg von Peugeot hat man den großen Konkurrenten der letzten Jahre verloren. Sorgt das auch bei Audi für ein bisschen Wehmut?

Ullrich: Dass sich Peugeot so kurzfristig zurückgezogen hat, war für uns genau so überraschend wie für die gesamte Motorsport-Szene. Wir haben mit Peugeot über viele Jahre hinweg hochwertigen Motorsport betrieben und uns gegenseitig zu Höchstleistungen angespornt. Sie waren aber mehr als nur ein Gegner, den wir besiegen wollten. Wir haben uns mit der Zeit auch zu schätzen und achten gelernt. In Le Mans war es zuletzt immer so, dass – egal wer von uns beiden das bessere Ende für sich hatte – der Unterlegene gekommen ist, und man gemeinsam gefeiert hat. Das ist im Motorsport meistens nicht mehr üblich.

LAOLA1: Mit Toyota hat man nun einen neuen Gegenspieler. Was kann man von den Japanern erwarten?

Ullrich: Wir wissen, dass sie auf einem hohen Niveau agieren werden. Wir können ihre aktuelle Performance aber überhaupt nicht einschätzen, da wir noch nie gegen sie gefahren sind.

LAOLA1: Toyota kommt ohne Rennkilometer nach Le Mans. Kann das überhaupt gut gehen?

Ullrich: Die haben ihre Hausaufgaben gemacht, das wissen wir. Sie werden ein Auto an den Start bringen, das meiner Meinung nach schnell und auch zuverlässig sein wird. Toyota hat Rennfahrer mit großer Le-Mans-Erfahrung verpflichtet und ein erfahrenes Team zusammengestellt. Sie werden versuchen, daraus das Beste zu machen. Und wir werden aufpassen, versuchen unser Knowhow zu nutzen, keine Fehler zu machen und konstant schnell zu fahren.

LAOLA1: Hat man außer Toyota weitere Teams am Zettel, die einem den Sieg streitig machen könnten?

Ullrich: Ich bin davon überzeugt, dass die Rebellion-Autos auf einem hohen Niveau laufen. Ich bin auch sicher, dass der Pescarolo-Bolide in der weiterentwickelten Form ein Stück näher dran ist an uns.

LAOLA1: Audi fährt seit 1999 in Le Mans. Immer wieder gab es auch Gerüchte über einen Formel-1-Einstieg. Ist die Langstrecke aus technologischer Sicht und im Hinblick auf die Entwicklung von Serien-Autos die bessere Wahl?

Ullrich: Die Langstrecke ist – im Vergleich der aktuellen Reglements – viel relevanter für die Technologie von Serien-Fahrzeugen. Audi hat immer schon den direkten Link zwischen Rennsport und Serie genutzt, Technologien im Rennsport eingesetzt und dann für die Serie weiter entwickelt. Le Mans und die World Endurance Championship passen sehr gut zu diesem Ansatz. Wenn sich das Reglement für die Formel 1 irgendwann dramatisch verändern sollte, kann sich das aber auch umkehren. Seit ich bei Audi Sport bin (1993), haben wir uns jedes Jahr mit diesem Thema beschäftigt und sind immer zu dem gleichen Schluss gekommen.

LAOLA1: Wie sehr war Audi in die Planungen zur Langstrecken-WM (WEC) involviert?

Ullrich: Ich persönlich engagiere mich seit 2000 in diesem Bereich. 2002 waren wir gemeinsam mit dem ACO schon einmal ganz knapp dran, eine ähnliche Rennserie auf die Beine zu stellen.  Daraus wurde leider nichts. Nun haben wir die WEC und ich bin davon überzeugt, dass sie sich zu einer hochwertigen Meisterschaft entwickelt, die für Konstrukteure und Hersteller interessant ist und ein absoluter Gegenpol zur Formel 1 sein kann. Wir bieten zwar eine andere Art Motorsport, die aber mindestens genau so faszinierend ist.

LAOLA1: War der Machtwechsel an der Spitze der FIA für die Bestrebungen einer Weltmeisterschaft hilfreich? Immerhin war Jean Todt als Sportchef von Peugeot Anfang der Neunzigerjahre ja selbst in Le Mans engagiert.

Ullrich: Das war und ist auf jeden Fall hilfreich. Jean Todt hat sich vom ersten Moment an in seiner neuen Funktion sehr mit dem Langstrecken-Sport beschäftigt und war bereits in seinem ersten Jahr im Amt bei den „24 Stunden“ zu Besuch. Zwischen Todt, dem damaligen ACO-Präsidenten Jean-Claude Plassart und uns Herstellern war das Verhältnis von Anfang an ein sehr gutes.

LAOLA1: Mit Porsche (geplanter Einstieg 2014, Anm.) erwächst Konkurrenz aus dem eigenen Konzern. Welche Auswirkungen hat das auf das Engagement von Audi?

Ullrich: Aktuell hat das keine Auswirkungen auf uns. Wir konzentrieren uns auf die Entwicklung des neuen Reglements, das noch mehr die Effizienz in den Vordergrund stellt. Jeder starke Gegner ist willkommen.

LAOLA1: Wie sehr ist Audi in die Erstellung des neuen Reglements involviert?

Ullrich: Sehr intensiv. Es liegt noch viel Arbeit vor uns.

Das Interview führte Michael Höller