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"Gebe nur zurück, was Leverkusen mir gegeben hat"

Für Bayer 04 Leverkusen ist ein Mann wie Stefan Kießling Gold wert.

Der Werkself ist der 28-jährige Stürmer mittlerweile seit sieben Jahren treu, mit insgesamt 78 Volltreffern avancierte er zur Torgarantie schlechthin. An einen Wechsel verschwendet er seit Jahren keinen Gedanken.

Trotz des herausragenden Torschnitts (Anm. d. Red.: mit 18 Toren im Kalenderjahr 2012 ist er Deutschlands Nummer eins) des gebürtigen Oberfranken ist "Kies", wie er liebevoll gerufen wird, nicht vor Kritik gefeit und im DFB-Nationalteam weiter nur eine Randnotiz – doch er hat gelernt, damit umzugehen.

Die volle Konzentration gilt somit Leverkusen und dem anstehenden Spiel in der EL-Gruppenphase gegen Rapid.

Im großen LAOLA1-Interview gewährt Kießling Einblick in seine treue Seele und äußert sich über das Trainer-Tandem, Ballacks Standing und Wertschätzung.

LAOLA1: Stefan, zuletzt nur 2:2 gegen Mainz. Ein Dämpfer nach erfolgreichen Wochen?

Stefan Kießling: Kann man so sagen. Wir haben uns mehr vorgenommen, ganz klar. Wir wollten zuhause gewinnen, sind auch sehr gut gestartet. Wir haben uns dann das Leben in der zweiten Halbzeit selber schwer gemacht. Das war unnötig und hätte nicht sein müssen.

LAOLA1: Wie bewertest du Leverkusens bisheriges Abschneiden in der Liga?

Kießling: Ich denke, wir haben schon einige Punkte liegenlassen. In den Spielen gegen Frankfurt, Gladbach oder Stuttgart haben wir zu wenig Punkte geholt. Für unseren Anspruch, wieder international zu spielen, ist das einfach zu wenig. Wir müssen konstanter spielen.

LAOLA1: Steckt also durchaus noch mehr Potenzial im Team?

Kießling: Wenn man sieht, wie viele Torchancen wir uns erarbeiten, müssen wir versuchen, vorne noch konsequenter zu sein und das auch hinten umsetzen, in der Hinsicht besser stehen.

LAOLA1: Im Sommer haben einige Leistungsträger Leverkusen verlassen. Merkt man diesen Aderlass?

Kießling: Nein, wir spielen ja eigentlich einen guten Fußball. Natürlich ist es immer so, dass es eine Zeit lang braucht, wenn neue Spieler kommen und alte gehen. Aber soweit haben wir das ganz gut aufgefangen. Wir müssen halt einfach schauen, dass wir unsere Spiele souveräner runterspielen – nicht nur über eine Halbzeit, sondern über 90 Minuten.

LAOLA1: Ihr seid gut besucht, bisher war aber noch kein Heimspiel ausverkauft. Woran liegt’s? Fehlt es an einer Fan-Basis?

Kießling: Das ist schwer zu sagen, an was es genau liegt. In erster Linie liegt es hauptsächlich daran, wie erfolgreich wir sind. Dann kommen auch die Zuschauer. Nichtsdestotrotz haben wir unseren Stamm und haben 18.000 Dauerkarten verkauft. Das ist trotzdem gut für Leverkusen. Sie machen eine gute Stimmung, aber wir versuchen, das wieder voll zu kriegen.

LAOLA1: Ist die Erwartungshaltung des Umfelds aus deiner Sicht zu groß?

Kießling: Wir haben natürlich nicht das Ziel ausgegeben, deutscher Meister zu werden. Wir wollen wieder in den internationalen Bereich, die Zielsetzung ist ganz klar dorthin ausgerichtet. Das wollen wir auch erreichen.

LAOLA1: Nach dem letzten Jahr in der Champions League, diesmal nur Europa League. Eine Enttäuschung?

Kießling: Wir waren letztes Jahr zum ersten Mal seit Jahren wieder in der Champions League. Wenn man das einmal mitgemacht hat, will man dort natürlich wieder hin. In die Europa League sind wir dieses Jahr gerade noch reingekommen, das war dann auch noch ein Erfolg. Das nehmen wir jetzt mit, aber natürlich ist das Ziel, irgendwann wieder in der CL zu spielen.

LAOLA1: Ihr seid mit einem Remis und einem Sieg gestartet. Was kannst du bisher über das Kräfteverhältnis in der Gruppe sagen?

Kießling: Wir haben im Heimspiel gegen Kharkiv eigentlich auch gut gespielt, viele Tormöglichkeiten gehabt, aber einfach wenig daraus gemacht. In Trondheim haben wir zum Glück noch gewonnen. Jetzt haben wir zwei Spiele gegen Rapid, die wir beide gewinnen wollen und müssen. Wenn wir das schaffen, dann schaut es ganz gut aus, um die nächste Runde zu erreichen. Da wollen wir natürlich so weit wie möglich kommen.

LAOLA1: Einer davon war Michael Ballack. Inwieweit hat sich durch seinen Abgang die Hierarchie innerhalb der Mannschaft verändert?

Kießling: Na gut, „Balle“ war ja eigentlich nur zwei Jahre hier. Natürlich hat er in Deutschland, im Nationalteam und auch hier ein Standing gehabt. Nichtsdestotrotz war nicht Ballack der ausschlaggebende Spieler, sondern wir haben alle versucht, was zu erreichen. „Balle“ ist eine große Persönlichkeit, deswegen war das alles in Ordnung. Er hatte nicht die alleinige Verantwortung, sondern wir haben erfahrene Spieler, die schon lange da sind. Da ist jeder gefordert gewesen.

LAOLA1: Die Konstellation mit zwei Trainern (Hyypiä/Lewandowski) ist ungewöhnlich. Wie nimmst du das wahr?

Kießling: Klar, es ist was anderes, aber es ist auch kein Problem. Wenn etwas ist, geht man mal zum einen, mal zum anderen. Die Trainer tauschen sich aus und hören auch von uns Spielern, was man verbessern kann. Es ist nicht viel anders als mit einem Trainer.

LAOLA1: Wie sieht die Rollenverteilung aus? Haben zwei Trainer auch Vorteile?

Kießling: Von den beiden hat jeder was zu sagen. Man merkt es einfach auch bei Ansprachen, da wechseln sie sich ab am Trainingsplatz. Wir kommen gut damit zurecht, der Erfolg ist das Entscheidende. Wenn der ausbleibt, ist es egal, ob du einen oder zwei Trainer hast.

LAOLA1: Nach Castro (seit 2004) und Rolfes (2005) bist du der längstdienende Bayer-Akteur (2006). Was macht Leverkusen für dich so reizvoll?

Kießling: Ich fühle mich hier einfach wohl. Ich habe hier meine Familie gegründet und bin schon seit sieben Jahren hier. Ich bin letzte Woche zum zweiten Mal Vater geworden, beide Kinder sind hier geboren. Ich fühle mich hier wirklich pudelwohl. Ich gebe einfach zurück, was Leverkusen mir gegeben hat, als ich hierhergewechselt bin. Deswegen gibt es für mich im Moment überhaupt keine Gedanken an irgendwas anderes.

LAOLA1: Das heißt, ihr geht von einem Pflichtsieg aus oder wie schätzt du die Wiener ein?

Kießling: Rapid schätze ich als sehr starke Mannschaft ein. Wir müssen dort konzentriert spielen und nicht nur über eine Halbzeit, sondern über 90 Minuten. Dann müssen wir dort einfach gewinnen, ganz klar. Wir haben die Gruppenspiele verfolgt, aber werden uns noch auf das Spiel vorbereiten.

LAOLA1: Du bist mittlerweile Führungsspieler und Leistungsträger. Würdest du sagen, es war ein harter Weg dorthin, wo du heute bist?

Kießling: Es war schon ein harter Weg, ich habe immer an mir gearbeitet. Es gab immer Höhen und Tiefen, aber ich habe nie aufgegeben. Es war harte Arbeit und hat ein ganzes Stück gedauert, dort hinzukommen.

LAOLA1: Bist du deiner Meinung nach auch oft unter Wert geschlagen worden?

Kießling: Ich kann eigentlich mit Kritik immer ganz gut umgehen. Der Verein weiß, glaube ich, was er an mir hat. Ich versuche immer mein Bestes auf dem Platz zu geben. Wenn es mit Toren klappt, klappt es mit Toren. Wenn es mit guten Spielen und meinen Einsätzen klappt, klappt es damit. Deshalb gebe ich nicht viel drauf, was die Medien großartig darüber sagen.

LAOLA1: Im DFB-Team heißt es oft: „Hinter Klose und Gomez kommt nichts nach.“ Du bekommst selten die Chance (6 Länderspiele). Ärgern dich solche Aussagen?

Kießling: Sie ärgern mich nicht. Seit der WM 2010 bin ich ganz gut mit dem Thema gefahren. Ich komme damit gut zurecht und beschäftige mich eigentlich überhaupt nicht damit. Ich versuche meine Leistung zu bringen, alles andere liegt nicht in meiner Hand. Ich will mich auch gar nicht beurteilen, das sollen andere machen. Ich habe keinen Kontakt zum DFB-Trainerteam.


Das Gespräch führte Alexander Karper