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"Auf Nader zu wetten, wäre nicht präpotent"

Wenn am Freitagabend im Schwechater Multiversum Falcos „Vienna Calling“, der Einmarsch-Song von Marcos Nader, ertönt, dann ist er wie immer hautnah dran am Geschehen. Sigi Bergmann.

Der 74-jährige Kommentator lebt die Faszination Boxen wie kaum ein anderer. Blumige Wortkreationen in Kombination mit seinem schier unergründlichen Fachwissen machen ihn für viele zur Kultfigur.

Im LAOLA1-Interview spricht der Grandseigneur des Box-Kommentars über die Chancen Naders im EU-Titelkampf gegen Roberto Santos (ESP) sowie über die Ursachen der Klitschko-Fadesse im Schwergewicht:

LAOLA1: In welcher Rolle sehen Sie Marcos Nader in seinem ersten Titelkampf?

Sigi Bergmann: In der Rolle des Außenseiters wie es sich für einen Herausforderer gehört. Meiner Meinung nach hat er reelle Chancen, den Titel zu gewinnen.

LAOLA1: Wie schätzen Sie Gegner Santos ein?

Bergmann: Das ist ein sehr gefährlicher Mann. Man kann den Kampf in ein Schema pressen, indem man sagt: Faustfechter gegen Fighter. Das heißt Techniker Nader gegen den harten Schläger aus Spanien.

LAOLA1: Wie muss Nader den Kampf anlegen?

Bergmann: Er muss seine technische Überlegenheit in die Waagschale werfen. Es sind beide gleich groß, keiner hat Reichweiten-Vorteile. Aber wenn Nader sich so bewegt, wie er es kann, kann er den Gegner leerlaufen lassen und punkten. Die große Gefahr ist, Nader ist noch nie einen Zwölf-Runden-Kampf gegangen. Bisher hat er nur zwei Zehn-Runden-Kämpfe in den Beinen. Santos hat indes bereits einige Zehn-Runder sowie zwei Zwölf-Runder absolviert. Um zu gewinnen, sollte Nader deshalb nach zehn Runden punktemäßig ziemlich weit vorne liegen.

LAOLA1: Nader hat mit 22 Jahren nun seinen ersten Titelkampf. Liegt er damit auf der Karriere-Leiter im Plansoll?

Bergmann: Er liegt eigentlich präzise dort, wo ihn der Sauerland-Boxstall haben will. Man kann nicht über Generationen hinweg denken. Hans Orsolics war mit 20 Europameister. Wobei man eins nicht vergessen darf, das jetzt ist keine Europameisterschaft, sondern eine EU-Meisterschaft. Das heißt, es nehmen nur 27 Nationen, also die Mitglieder der EU, teil. Damit sind auch beispielsweise keine Russen oder Ukrainer dabei. Dadurch ist es von der Wertigkeit unter eine Europameisterschaft zu stellen. Trotzdem muss man bedenken, dass die EU rund 500 Millionen Einwohner zählt. Dort zu den Besten zu gehören, ist schon allerhand.

Die Stimme des Boxsports: Sigi Bergmann

LAOLA1: Kann man Naders boxerischen Horizont bereits abschätzen?

Bergmann: Obwohl ich schon viele Kämpfe von ihm übertragen habe, kann ich es noch nicht ganz. Ich weiß nämlich nicht, welche Nehmerqualitäten er hat. Er war in seinen bisherigen 16 Kämpfen so gut, dass er nur sehr wenig einstecken musste. Aber so ein Titelkampf gegen einen Santos wird sicher Aufschlüsse bringen. Denn der Spanier hat schließlich schon Dominik Britsch geschlagen. Der war in allen 26 Kämpfen ohne Niederlage und galt als ganz großes deutsches Talent, hat gegen ihn aber durch K.o. in der achten Runde verloren. Die Warnsignale sind also nicht zu übersehen. Aber ich glaube, es ist nicht präpotent, wenn man auf Nader wetten würde.

LAOLA1: Wettet ein Fachmann wie Sie eigentlich?

Bergmann: Nein, ich übertrage den Kampf ja und ich finde, das sollte man trennen. Von einem Reporter, der alle anderen Europameisterschaftskämpfe von Orsolics bis Pachler übertragen hat, darf man ohnehin erwarten, dass er patriotisch ist. Sicherlich verletzt man mit Patriotismus zwar die Objektivität, aber das gehört dazu. Stellen Sie sich einen Fußball-Reporter bei Österreich gegen Aserbaidschan vor, der nicht zu Österreich hält. Darum kann ich das auch im Boxen machen.

Wladimir Klitschko boxt am 10. November gegen Mariusz Wach (POL')

LAOLA1: Woran liegt die angesprochene Schwäche der USA? Eventuell am dortigen Aufkommen der Mixed Martial Arts, die dem Boxen das Wasser abgraben könnte?

Bergmann: Das ist durchaus denkbar und eine große Gefahr für das Boxen. Aber die Amerikaner, die die Olympischen Box-Turniere jahrzehntelang dominiert haben, haben bei den Spielen in Peking nur eine geschenkte Bronzene geholt. Diesmal in London haben sie nicht einmal eine Medaille nachgeworfen bekommen. Sie waren total abgehalftert. Und genau das ist der wahre Grund. Die können das Handwerk nicht! Ich habe Evander Holyfield interviewt. Er hat gesagt, die können die grundlegenden Dinge nicht. Als wäre ich der Direktor eines großen Konzerns und würde nicht schreiben können. Die US-Boxer beherrschen die einfachen Schläge nicht und sind nicht durch die harte Schule des Amateurtums gegangen. Die sind schlecht! So lange das so ist, wird der US-Boxsport in der Krise stecken.

LAOLA1: Wo ist dieses Knowhow plötzlich hingekommen?

Bergmann: Die Ursache ist, weil sie alle mit 18, 19 Jahren gleich Profi werden. Alle Großen des Boxsports – Ali, Foreman, Frazer – waren Olympiasieger. Holyfield hat immerhin Bronze geholt. Der Punkt ist aber, die haben sich alle durchgekämpft. Ali hat mit 18 Jahren 170 Amateur-Kämpfe gehabt. Der hat gewusst, wie der Boxsport von Grund auf funktioniert. Nun ist es oftmals so, dass die Boxer oder deren Manager das schnelle Geld wittern.

Das Interview führte Reinhold Pühringer

LAOLA1: Apropos Geld: Lassen Sie uns noch ein wenig über ein paar Gehaltsstufen darüber sprechen – und zwar über die Klitschkos. Die beiden Brüder kommen allmählich in die Jahre. Nur wie lange dauert es noch, bis die endlich jemand umhaut?

Bergmann: Bis Bessere kommen. Der Boxsport befindet sich auf einem Tiefpunkt. Ich habe in 30 Jahren an die 3.000 Boxkämpfe übertragen und so viele schlechte Boxer, wie derzeit im Schwergewicht herumrennen, habe ich noch nie gesehen.

LAOLA1: Ein Zeitvergleich ist freilich kaum zulässig, aber wie hätten die Klitschko Ihrer Meinung nach beispielsweise in der Ära eines Mike Tyson abgeschnitten?

Bergmann: Naja, sie sind immerhin knapp 30 Zentimeter größer als Tyson, der einer der kleinsten war. Natürlich wäre er wie immer in den Mann hineingegangen, aber nur wenn er an der langen rechten oder linken Sperrangel vorbeigekommen wäre. Ich glaube, dass jede Generation ihre Boxer hat und die Klitschkos sind nun mal die Besten der Welt. Das spricht zum einen freilich für die Klitschkos, aber zum anderen auch für die Schwäche der anderen. Da gibt es kaum jemanden. Die sind zudem fast alle kleiner. Jetzt boxt Wladimir Klitschko mit Mariusz Wach (10. November; Anm.) einmal gegen einen Größeren. Schauen wir einmal, wie das ausgeht. Im Großen und Ganzen muss das für die USA das totale Desaster sein. Wenn man sich die vier großen Weltverbände ansieht, werden diese von zwei Boxern beherrscht, die wiederum ihrer Mutter versprochen haben, nie gegeneinander zu kämpfen.