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Das Luxusproblem des Sky-Teams: Zu viele Stars

Das Luxusproblem des Sky-Teams: Zu viele Stars

Die Halbzeit-Bilanz des Sky-Rennstalls zur Halbzeit des 96. Giro d'Italia lässt viele Teams vor Neid erblassen.

Ein Sieg im Teamzeitfahren, ein Etappensieg auf der zehnten Etappe, zudem rangieren derzeit drei Fahrer unter den Top Zwölf des Gesamtklassements. Als Draufgabe führt die britische Equipe die Teamwertung an.

Zufriedenheit sieht dennoch anders aus. Es hagelt Kritik an Sky Procycling, besonders Bradley Wiggins muss in diesen Tagen viel einstecken.

Wiggins verliert an Boden

Nachdem der amtierende Tour-de-France-Sieger in der ersten Giro-Woche mehrfach gestürzt war und den Zeitfahrsieg durch einen Defekt um zehn Sekunden verpasste, verlor er auf der ersten Hochgebirgsetappe am Dienstag erneut Zeit auf den Gesamtführenden Vincenzo Nibali.

Der zum Ritter geschlagene Olympiasieger wirkt nicht richtig fit, Gerüchte gehen um, er leide an einem Magen-Darm-Infekt.

Zuletzt gab er an, etwas erkältet zu sein. „Das reicht, um am Ende einer Etappe nicht mehr mithalten zu können. Du musst bei 100 Prozent sein, um mit Nibali und den anderen Jungs mithalten zu können“, war der Brite am Dienstag froh, nicht noch mehr Zeit auf Leader Vincenzo Nibali verloren zu haben und freute sich über den Sieg seines Teamkollegen Rigoberto Uran – es war dessen erster bei einer großen Rundfahrt.

Zwist um Leaderrolle

Sky fuhr auf der ersten Hochgebirgs-Etappe auf Attacke, um den bislang höchst souverän wirkenden Nibali aus der Reserve zu locken.

Uran gelang es immerhin, eine gute halbe Minute gut zu machen und den Etappensieg zu holen. Doch dieser Sieg nährt nur die Spekulationen um ein leidiges Thema bei Sky: Die Kapitäns-Rolle.

Seit der letzten Tour de France, als Wiggins' Edelhelfer Chris Froome am Berg das eine oder andere Mal stärker wirkte als sein Kapitän, gab es Spekulationen um die Vorherrschaft zwischen den beiden Alphatieren. Diese sollten sich hartnäckig halten - bis vor wenigen Tagen.

Verunsicherung

Gleich zu Beginn der Italien-Rundfahrt sorgte Teamchef Dave Brailsford für Aufmerksamkeit, als er Froome zum Kapitän für die 100. Tour de France ernannte.

Teamkollege Bernhard Eisel (im LAOLA1-Interview) glaubt derweil an die Edelhelfer-Rolle Wiggins' bei der Frankreich-Rundfahrt: "Wiggins ist ein fairer Sportsmann, er wird bei der Tour de France für Froome arbeiten. Ich glaube nicht, dass es da Probleme geben wird. Auch weil das Team die Rollen klar verteilt hat. Es ist natürlich ein Luxusproblem mit den zwei stärksten Fahrern im Team, aber diese Doppelspitze macht es für uns sogar einfacher."

Auch wenn diese Hierarchie im Prinzip seit dem Vorjahr ausgemacht schien, sorgt die unglücklich getimte Aussage gemeinsam mit den Spekulationen um Wiggins‘ Giro-Form und die Frage, ob Uran oder Henao nicht die besseren Leader wären, nicht gerade für ein besseres Gefühl beim ersten britischen Tour-Sieger.

Ein Platz auf dem Podium ist das Ziel

Dazu gesellen sich Gerüchte, dass der 33-Jährige die Italien-Rundfahrt gar nicht zu Ende fahren wolle.

Doch diesen Vermutungen widerspricht Wiggins vehement - man darf bei aller Kritik nicht vergessen, dass "Wiggo" noch immer auf Platz vier des Gesamtklassements liegt, nur eine Sekunde hinter seinem Teamkollegen Uran und dem Podium.

Deshalb muss er seine Ziele zwar herunterschrauben, aber “es gibt noch eine Menge, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Auch wenn der Sieg jetzt in weite Ferne gerückt ist, werde ich dennoch einhundert Prozent geben, um aufs Podium zu kommen. Das bleibt mein Ziel.“

Mentale Erholung nötig

Bei all dem Trubel um seine Person, wundert es nicht, dass er sich nach etwas Ruhe sehnt.

„Der Ruhetag war sehr wohltuend. Ich habe ihn mental wirklich gebraucht. Physisch ist alles in Ordnung. Die Lücke ist weit davon entfernt, unüberwindbar zu sein“, gab er am Tag nach dem Ruhetag an.

"Niemals vorbei"

„Richtig enttäuscht bin ich vom Zeitfahren. Ich wollte gewinnen und Zeit gut machen, aber wir wurden zu Beginn des Giro überrascht und man muss auch daran denken, dass ich durch einen Sturz und eine Panne zurückgeworfen wurde ... aber so ist das im Sport.“

Der "Sir" gibt sich weiterhin zuversichtlich, doch was bleibt ihm auch anderes übrig? Gedanken an seinen letztjährigen Triumphzug durch Frankreich stimmen ihn zuversichtlich. “Nibali hatte bei der letzten Tour einige schlechte Tage. Das kann auch beim Giro passieren, vor allem, wenn man bedenkt, wie schwierig die Strecke ist.“

Zudem zeigt er sich bei der Antwort auf die Frage, ob der Kampf um den Giro-Sieg für ihn vorbei sei, kämpferisch: „Es ist niemals vorbei. Nein, nein."

Es läuft nicht

Doch seine Saison läuft bisher nicht wie gewünscht. Der 33-Jährige wartet noch auf seinen ersten Einzelsieg, nachdem er beim Giro del Trentino im letzten Monat Fünfter wurde – auch dort hatte er mit technischen Problemen zu kämpfen.

Zudem musste er aufgrund von Problemen mit einem wunden Hintern vor dem Rennen im Trentino Antibiotika nehmen. Nun kommt aktuell die Verkühlung hinzu.

Kälte und Regen seien auch nicht sein Wetter, gab Wiggins zu. „Bei solchen Witterungsbedingungen denke ich immer, dass dies mein Ende ist“, so der Sky-Profi.

Selbstkritik

Über seine Abfahrkünste auf der neunten Etappe und die Verunsicherung nach dem Sturz zeigte er sich selbstkritisch: “Wenn ich ehrlich bin, bin ich wie ein Mädchen bergab gefahren nach dem Sturz. Ohne respektlos gegenüber Frauen zu sein. Ich habe ja selbst eine zu Hause.“

„Bei ihm liegt es nicht am Material, sondern daran, dass er einfach Angst hat“, hieb Ex-Profi und Abfahrspezialist Paolo Savoldelli bei "cyclingnews.com" in dieselbe Kerbe.

„Sein Problem ist, dass seine Konkurrenten nun wissen, dass Abfahren seine Schwäche ist und sie werden versuchen, daraus Vorteile zu ziehen. Ich hätte nie gedacht, dass ein Tour-de-France-Sieger eine derartige Schwäche hat.“

Ändert sich die Hierarchie?

Auf die Frage, ob Wiggins Uran für den neuen Leader hält, antwortete er nach der zehnten Etappe: „Hmmmm… Ich werde heute mit Rigoberto sprechen. Er hat auf der Etappe alles gegeben. Es liegt nun daran, ob er glaubt, dass er ums Gesamtklassement fahren kann. Wie ihr wisst, gibt es noch ein Zeitfahren (Bergzeitfahren in Polsa auf der 18. Etappe, Anm.). Darin ist er eher unbeständig, er kann einen sehr guten Tag haben und eine Etappe gewinnen, so wie heute, und dann am nächsten Tag einige Sekunden verlieren, also werden wir sehen, wie er sich fühlt."

Diesmal, so scheint es, wollen die Fahrer die Kapitänsfrage lieber hinter verschlossenen Türen diskutieren.

Auch Uran gab sich diplomatisch: "Ich bin jetzt eine Sekunde vor Brad. Ich bin somit in einer guten Ausgangsposition für die nächsten Tage und für das Team kann es nur von Vorteil sein, mit zwei Fahrern in der Gesamtwertung so weit vorne zu liegen."

"Sind anders als Froome"

Der Kolumbianer versicherte, dass es beim Giro keine Wiederholung des Dramas der letzten Tour gäbe. „Ich weiß nicht, was passieren wird, aber Henao und ich sind anders als Froome. Wir arbeiten immer für das Team und wir hatten nie Probleme damit.“

Klare Worte fand Teamchef Dave Brailsford. "Es ist enttäuschend, dass Wiggins Zeit verloren hat, aber man muss auch berücksichtigen, dass das eine der schwersten Etappen war. Aber natürlich hatten wir uns mehr erhofft."

Dieser letzte Satz steht sinnbildlich für die bisherige Sky-Saison, von der auch Eisel sagt: "Als Team können wir mit der bisherigen Saison nicht zufrieden sein."

Henriette Werner